@Spüler
Die Frage zu Beginn des Threads war Zitat: "Nachdem die Politik nun ganz aktuell wieder Richtung Einsetzen der Wehrpflicht bzw. eines Pflichtdienstes tendiert, wird auch das mittelfristige Wiedereinsetzen der Musterung zur Diskussion stehen. Obwohl ich die Musterung selbst als schrecklich empfand, hat der Gedanke doch was interessantes, dass bald alle Jungs (und ggf. Frauen) nach Schulabschluss zur Musterungsuntersuchung antreten müssen. Geht es Euch da genauso?" Zitatende
Die Frage ist weniger politisch dafür umso mehr emotional und auf den medizinischen Fetisch gerichtet.
Der Post von @san4us fast es kurz und knackig zusammen:
... aber gerade heute sind doch themen wie Wehrpflicht und Pflichtsozialdienst wieder aktuell wie lange nicht - sogar Wehrpflicht für die Damen ist im Gespräch und Musterungspflicht für alle, also die Diskussion nimmt richtig Fahrt auf in Politik und Medien. Speziell Zity ist kein Geschichts- oder Soziologieforum, darum ist der Fokus hier mehr auf anderes gerichtet 😉
Was ja nicht heißt dass wir hier nicht auch das Thema politisch diskutieren können.
Ich finde die Einführung der Musterung ohne einen unmittelbaren Zweck d.h. ohne die Einführung von Pflichtdiensten so oder so ähnlich wie es sie in Schweden gibt sinnlos. Eine Begründung habe dafür in Post 626 geliefert
Zitat: "Wir haben schon lange einen Ärztemangel in Deutschland. Wo sollen die Ärzte für die Musterung herkommen? Über die Hälfte (54,1%) aller Ärztinnen und Ärzte waren 2019 laut Wikipedia älter als 65 Jahre. Ärzte für eine Tätigkeit wie die Musterung einzusetzen würde der medizinischen Versorgung der Menschen in Deutschland nicht nur nichts bringen sondern hätte eine zusätzliche Verknappung an medizinischem Fachpersonal insbesondere von Ärztinnen und Ärzten zur Folge. Dann würden noch die Kosten für Personal, Ausstattung und Räumlichkeiten dazukommen die keinen greifbaren Gegenwert haben würden“ Zitatende.
Zum Thema allgemeine Wehrpflicht und Pflichtdienst:
Grundsätzlich würde sich die Begeisterung für einen verpflichtenden Dienst (Wehrdienst, sozialer Pflichtdienst usw.) in der Bevölkerung sicherlich in Grenzen halten und als eines der ersten Argumente würde wohl das Argument „Fachkräftemangel“ kommen. Die, die den Dienst ableisten stehen in der Zeit nicht als Arbeitskräfte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung und die Ausbildung des Nachwuchses verzögert sich.
Vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in den letzten Jahren ist die Idee wie sie in Schweden umgesetzt wurde meiner Meinung nach sinnvoll oder zumindest es wert darüber gründlich nachzudenken. In Schweden kann jeder einen der drei Dienste leisten, wird dafür geschult und ist anscheinend bis zum 70 Lebensjahr in Reserve und bekommt immer wieder „Auffrischungen“ z.B. Schulungen, Trainings usw. um jederzeit einsatzbereit zu sein. Wenn der Staat es salopp gesagt ernst meint, dann kostet das viel Geld, garantiert aber im Ernstfall, dass die Bevölkerung nicht hilflos ist sondern dass Land vor dem Zusammenbruch bewahrt und verteidigt. Ich bin wahrscheinlich nicht der geborene Krieger aber für einen zivilen Dienst ähnlich wie in Schweden würde ich mich ohne wenn und aber zur Verfügung stellen. D.h. das schwedische Model (Allgemeine Dienstpflicht, Wehrpflicht, Zivilpflicht) hat aus meiner Sicht definitiv einen Sinn der auch den Aufwand wert wäre. Ob es Sinn macht extrem unwillige Menschen zu einem der Dienste zu zwingen wage ich aber zu bezweifeln. Wenn 80 - 90 % der Menschen können und wollen, kann man auf den Rest aber wohl verzichten. Ein einmaliger Dienst wie es ihn während der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland gab hat ein Mako. Von den Reserveoffizieren abgesehen, wurde die Ausbildung nach dem Wehrdienst nicht mehr benötigt. Der LKW-Führerschein war einer der praktischen Dinge aber ansonsten war die Grundausbildung bei der Bundeswehr für die Rekruten und den Staat danach kaum noch nützlich. Das schwedische Modell ist ja längerfristig angelegt und setzt darauf das die Menschen in Schweden vom 16 bis zum 70 Lebensjahr einsatzfähig sind. Ich finde das sinnvoller als das deutsche Modell zu Zeiten der allgemeinen Wehrpflicht. Und nun zum Thema Geschlechter. Grundsätzlich kann jeder körperlich und mental halbwegs gesunde Mensch etwas tun. Wenn eine Pflicht zu einem Dienst (Wehrdienst, usw.) eingeführt werden sollte dann für alle Menschen. Ich gehe aber davon aus dass es erheblichen Widerstand dagegen geben würde und dass die Grundgesetzänderung damit Frauen diesen Pflichtdienst auch leisten (können) nicht durchkommt.
Zum Schluss noch dieses Thema:
Die vor Kriegen zur Abwehrvorbereitung übliche Bewertung der vorgesehenen Vaterlandsverteidiger ist doch nur ein kleiner unangenehmer Anteil der körperlich wie seelischen Belastungen aus künftigem Kampfeinsatz. Der neben Zerstörung der Sachwerte über Leiden, Erschöpfungszustände, Verwundungen bis zum Tod führen kann. Sollte nicht gesellschaftlich das größere Thema erst abgeklärt werden, bevor hier weiter über psychisch -sexuelle Überbeanspruchungen bei Musterungen geklagt wird?
Ich bin nicht sicher ob das von @Spüler nun vollkommen ernst gemeint ist. Den Formulierungen nach zu Urteilen hat es doch auch einen Unterton selbst wenn Spülers Meinung im Kern sinngemäß genau das ist.
Die Musterungspraxis , die ja hier in den meisten der mehr als 600 Posts das Thema war, sehe ich als eigenes Thema an. Um ein Land zu verteidigen oder im Katastrophenfall am Laufen zu halten bedarf es Menschen die diese Aufgaben übernehmen. So etwas wie eine Eignungsprüfung für die Aufgaben, die mental und körperlich eine große Herausforderung sind, ist sicherlich notwendig. Definitiv nicht notwendig ist eine obligatorische körperliche Untersuchung inklusive Untersuchungen im Intimbereich für alle Menschen eines Jahrgangs. Bei der in Schweden üblichen Musterung wird nur ein relativ kleiner Teil eines Jahrgangs auch körperlich untersucht. Es sind diejenigen die ein Interesse haben den Wehrdienst zu leisten und die bei den vorherigen Untersuchungen nicht durchgefallen sind. Die schwedische Politik hat erkannt, dass die für alle Bürgerinnen und Bürger verpflichtenden Dienste nur dann auf Akzeptanz treffen, wenn sie als mündige Menschen angesehen und entsprechend behandelt werden. Es geht also: Menschen können ihr Land verteidigen, Katastrophenhilfe leisten und vieles mehr ohne eine Musterung, die die Gemusterten wie unmündige Menschen behandelt. Die Bundeswehr kann es, wenn sie will oder muss wie z.B. dann wenn sie um Menschen werben muss. Und dieses Plus an Respekt gegenüber den Menschen, die untersucht bzw. gemustert werden, kostet die Bundeswehr nichts, bringt ihr aber Vorteile bei der Akzeptanz und reduziert die Arbeit. Das Argument von @Spüler, dass die Aufregung über die Musterung unverhältnismäßig ist verglichen mit Dingen die noch auf uns zukommen könnten z.B. wenn der Krieg in Europa nicht mehr nur den Gaspreis anhebt sondern möglicherweise zu einer existenziellen Bedrohung für uns wird oder wir im Extremfall Krieg auf deutschem Boden hätten, würde konsequent angewendet bedeuten, dass alles was uns oder der Mehrheit von uns wichtig ist hinter den existenzbedrohenden Dingen zurück steht und bedeutungslos wird. Respekt und Menschen wie mündige Erwachsene zu behandeln wäre dann bedeutungslos, denn wir könnten angegriffen, gefangen genommen, gefoltert und getötet werden, was viel schlimmer wäre. Stimmt möglich wäre das, aber bis es so weit ist, falls es denn jemals so weit kommt, kann der Staat seine Bürgerinnen und Bürgern mit Respekt behandeln insbesondere wenn er rechtsstaatlich und demokratisch sein möchte.