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Projekt Edenweiß

Yanjiu [1-8] Max - Der Trott

Als mich um 8:00 das Armband zur ersten Melkung des Tages weckt, sind Fiona und Rhea bereits ausgeflogen. Mist, die fünf Minuten ticken munter gegen Null und ich bin noch nicht geduscht. Im Eiltempo brause ich mich kurz ab, um frisch zu sein und mache mich auf den Weg. Nur 17 Sekunden trennen mich von der ersten Verspätung. Eine relativ harmlos wirkende Schwester mit dunkelbraunen Locken empfängt mich im angegeben Melkzimmer. Sie frägt mich, ob ich etwas Samentreibendes verabreicht bekommen möchte. Ich lehne freundlich ab. Sie nickt und bietet an, es mir mit der Hand zu machen. Da sage ich nicht nein. Die Alternative wäre wohl, es mir selbst machen zu müssen. Ihrer Meinung nach ist sie noch nicht besonders geschickt mit den Händen und bittet mich daher vorab um ehrliches Feedback.

Tatsächlich sind ihre Griffe und Auf-Ab-Bewegungen noch nicht komplett rund, aber ich kann mich in ihrer Gesellschaft relativ gut entspannen und erreiche nach einigen Minuten einen schönen Höhepunkt. Da ich ihr nicht wirklich sagen könnte, was sie konkret anders machen müsste, damit es noch besser wäre, lobe ich sie einfach nur und bedanke mich für die angenehme Bekanntschaft. Dann heißt es auch schon wieder auf Wiedersehen. Gerne hätte ich mich noch etwas mit ihr unterhalten, doch das rote Licht über der Tür signalisiert offenbar, dass der nächste Kerl bereits auf der anderen Seite wartet.

Zurück in unserem Ruheraum ist Fiona etwas farblos in eine Decke eingerollt. Es scheint ihr zwar deutlich weniger dreckig zu gehen als bei unserem ersten Aufeinandertreffen, aber auch nicht wirklich gut. Ich gebe ihr so viel Raum wie möglich und setze mich in die entgegengesetzte Ecke zwischen den zwei Türen. Ich finde keine passenden Worte für das Geschehene und entscheide mich für Stille. Fiona bricht nach einer Weile das Eis und fragt mich, ob ich weiß, wo Rhea ist. Ich sage, dass ich es nicht weiß. Die Drohung, Rhea würde ‚ihr Fett auch noch wegbekommen‘ behalte ich für mich.

Nach ein paar weiteren Minuten des Schweigens versichert mir Fiona schließlich, dass sie weiß, dass ich nicht bei Bewusstsein war, ich das andernfalls niemals gemacht hätte und kein schlechtes Gewissen wegen der Sache haben soll. Doch ich sehe auch an ihren Augen, dass sie mich nicht mehr sieht wie zuvor. Das vermummte Gesicht des unreaktiven Chirurgen hatte sich von mir tief in ihre Seele eingebrannt. Ich beschließe daher für mich, dass es auch weiterhin das Beste ist, wenn ich sie in ihrem Tempo auf mich zukommen lasse.

In den nächsten Tagen nähern wir uns wieder stückweise aneinander an und kuscheln regelmäßig, doch wir haben uns nach wie vor nicht mehr sonderlich viel zu sagen. Zu viel ist kaputtgegangen. Rhea fehlt zudem bitterlich, zum einen war sie mir persönlich sehr sympathisch, zum anderen war sie eine erstklassige Informationsquelle. Seit sie weg ist, habe ich kaum noch etwas Interessantes herausgefunden. Zumindest nichts, was ansatzweise für einen Ausbruch relevant wäre. Jedes Mal, wenn ich von einem Termin zurück zum Ruheraum komme, hoffe ich daher, Rhea endlich wieder begrüßen zu können. Es bleibt eine Hoffnung, die böse Vorahnung scheint sich wieder einmal zu bestätigen. Sie wird wohl nicht mehr zurückkommen und nur Gott weiß, was sie ihr angetan haben.

Ich habe zwischen sechs und acht Termine pro Tag, die meisten davon natürlich zur Samenspende und bei fast jeder Melkung mache ich eine neue Bekanntschaft. Es scheint dutzende Melkschwestern zu geben. Attraktiv sind sie eigentlich alle, manche vielleicht nicht ganz mein Typ, doch sie könnten unterschiedlicherer Charakternatur nicht sein, und während die meisten sich trotz ihrer Machtposition als Entsamerin menschlich verhalten und versuchen auf Augenhöhe mit mir zu kooperieren, gibt es leider auch nicht wenige Ausnahmen, die mich mit einem misandrischen Touch von oben herab behandeln und mir unangemessen wirkmächtige Zwangsentsamungsmittel verabreichen.

Als sich nach einer Durststrecke voller Hexen und 08/15-Melkerinnen endlich wieder eine außergewöhnlich freundliche und zärtliche Schwester eine dicke, willige Ladung meines Samens abzapft, frage ich sie, ob sie mich nicht öfter zu sich einbestellen könne. Sie erklärt mir, dass sie darauf leider keinen Einfluss hat, sondern ein Algorithmus für die Melkpläne zuständig ist. Sie meint aber immerhin, dass dieser die abgegebene Menge berücksichtigt und da mehr besser ist, man dann eine bessere Chance hat, öfter zu den Schwestern zu kommen, bei denen man zuvor bereits besonders viel abgeliefert hatte. Doch wer noch neu ist, wird zunächst bevorzugt so eingeteilt, dass er jede Melkschwester zumindest einmal zu Gesicht bekommt. Sie mutmaßt noch, dass sie denkt, dass so die Melkschwestern untereinander auf ihr Geschick hin verglichen werden. Dann ist wieder einmal die Zeit um.

Nach etwa zehn Tagen beginnt sich langsam das Gefühl eines Alltags einzustellen. All das, was hier geboten war und in der ‚alten Welt‘ bestenfalls als sehr skurriler Plot für einen Roman oder Indie-Videospiel hätte dienen können, fühlte sich bereits ein Stück weit als Normalität an. Es ist erstaunlich, wie schnell sich das menschliche Gehirn auf völlig neue Umgebungen einstellen kann.

Die ständigen Melkungen zehren mich allerdings nach wenigen Wochen bereits körperlich und seelisch ziemlich aus, vor allem dadurch, dass es dazwischen keinen sinnstiftenden Zeitvertreib gibt, der mir dazu dienen könnte, meine Akkus wieder aufzuladen. Mit Fiona ist es im Ruheraum nur noch ein beschämtes, wortkarges Aufeinanderhocken und die Hoffnung, dass wieder einmal eine dritte Person dazukommt, am liebsten natürlich immer noch Rhea, habe ich inzwischen weitgehend aufgegeben.

Ich brauche dringend einen Tapetenwechsel, um mehr nützliche Informationen über diesen Ort zu sammeln. Dazu kommt noch, dass ich Fiona nicht mehr täglich durch meine bloße Präsenz an unsere Strafbehandlung erinnern möchte, denn so kann sie wohl kaum je einen vernünftigen Abstand dazu finden. In meinem nächsten wöchentlichen Regeltermin mit Dr. Xiao erbitte ich daher in einem anderen Ruheraum untergebracht zu werden und zu meiner Überraschung wird dieser Anfrage wenige Tage später einfach so stattgegeben.

Wieder lande ich in einem Zimmer mit zwei Mädels. Sie sind cool drauf und sehr witzig, aber auch sie haben leider keine Ahnung, wie der Laden wirklich läuft. Es ist eine nette Ablenkung mit ihnen zu schäkern, aber mehr auch nicht. Ich merke, wie der eintönige Alltag an meinem Willen nagt und verstehe jetzt, warum fast alle, die nicht komplett neu im Edenweiß sind, sich mit ihrem Schicksal abgefunden haben und ihren Alltag so vor sich hin plätschern lassen. Durch tägliche Meditationen schaffe ich es, die Flamme der Hoffnung und Freiheit in mir am Brennen zu halten. Ich mag zwar jetzt gerade noch nichts ausrichten können, aber ich kann so lange lauern, bis sich eine Chance ergibt und sie dann am Schopf packen!