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Projekt Edenweiß

Yanjiu [1-7] Max - Die Kalibrierung

Auf der anderen Seite der Türe werde ich unerwartet bereits von einer kleinen zierlichen Schwester mit rot gefärbtem Messy Dutt abgepasst. „Hi, ich bin OP-Schwester Lea. Ich habe dich schon überall gesucht. In knapp 15 Minuten ist deine Kalibrierung. Komm bitte mit, wir müssen dich noch für den Eingriff vorbereiten.“ Ich stehe vom Horror der Disziplinareinheit komplett neben mir und stehe nur wie paralysiert da. Sie nimmt meine Hand. „Komm jetzt bitte, es wird sonst zu knapp. Du brauchst keine Angst zu haben, du wirst davon nichts mitbekommen.“ Sie schleift mich hinter sich her.

Wir kommen an einem sternförmigen OP-Bereich an. Von dem runden Foyer aus geht es in jeder Richtung in ein kleines Vorzimmer, das dann wiederum in einen größeren OP-Saal mündet, so viel ist durch die teils offenen ausladenden Schiebtüren gut zu erkennen. Insgesamt sind es acht Vorzimmer und OP-Säle. Wir gehen in den zweiten von links. Lea lächelt sehr freundlich und beruhigend, als sie mir erklärt, dass ich für den Eingriff eine Narkose bekommen werde. Sie kramt ein paar Minuten etwas herum, ich stehe da und bin weiterhin nur körperlich anwesend. Gerade als ich dann doch nachfragen will, was es überhaupt für ein Eingriff ist, bittet sie mich, mich auf das Krankenbett zu legen und meine Hose etwas herunterzustreifen. Robotisch folge ich den Anweisungen. Kaum ist die Hose unter meiner Pofalte, sagt sie: „Ein kleiner Pieks“. Ich spüre, wie eine Nadel in mein Gesäß eindringt. Plötzlich fühle ich mich zusätzlich schwindelig und bringe gerade noch so ein verzweifeltes: „Warum???“, heraus. Lea erklärt mir streichelnd, dass ich gleich einschlafen werde und erst in ein paar Stunden wieder aufwache, dann aber alles gut sein wird.

Als ich wieder aufwache, liege ich auf einem Einzelzimmer und Lea sitzt zu meiner Rechten. Trotz der Narkose, die mir noch merklich in den Knochen steckt, befinde ich mich nun zumindest geistig wieder in meinem Körper, als wäre der Reset-Knopf gedrückt worden. „Wie geht’s dir? Magst du etwas trinken?“, fragt Lea mit sanfter Stimme. „Geht so. Ja bitte.“ Sie reicht mir eine Schnabeltasse. „Danke.“ Als ich ihr den Becher wieder zurückgebe, bemerke ich etwas Kaltes in meinem Schritt und hebe die Decke an. Mein Hodensack ist bandagiert und thront auf einem Kühlpad. Doch damit nicht genug. Es hängt ein dicker gelber Schlauch aus meinem Penis. Was wurde da schon wieder alles an MEINEM Intimbereich rumgedoktort?!?!?!? Ich verfalle in Schnappatmung und bin drauf und dran komplett auszuflippen, gar wild um mich zu schlagen.

„Shhhhhhhhh, es sieht viel schlimmer aus als es ist. In ein bis zwei Tagen ist alles wieder normal. Wahrscheinlich schon morgen, die OP ist wirklich sehr gut verlaufen. Die operierende Ärztin hatte bereits beim zwölften Versuch die optimalen Parameter gefunden.“, versucht Lea mich sichtlich nervös zu beruhigen. „Bitte, du darfst dich absolut nicht bewegen, beziehungsweise zumindest nicht so, dass deine Hoden sich bewegen. Sonst dauert es deutlich länger mit der Heilung. Deshalb hast du auch den Katheter von mir bekommen, weil du komplett liegen bleiben musst.“ Ihr zärtliches Streicheln und ihre sanfte Stimme helfen mir meinen Zorn gerade noch unter Kontrolle zu halten.

„Was wurde denn gemacht?!“ „Na deine Kalibrierung… wurdest du nicht darüber aufgeklärt?“ „Nein…“ „Ohh, das ist blöd, das sollte eigentlich nicht passieren. Also ich bin nur eine OP-Schwester, ich kann dir das nur grob erklären. Ich hole schnell eine Ärztin.“ Ich umfasse ihr Handgelenk: „Nein, bitte bleib da. Ich bin mir sicher, deine Erklärung wird völlig ausreichen.“ Ihre fürsorglich-feminine Aura ist das Einzige, was mich im Moment von einer kompletten Eskalation abhält, würde sie auch nur einen Meter von meiner Seite weichen, stünde einem Vulkanausbruch nichts mehr entgegen. „Okay. Also simpel gesagt, ab sofort produzieren deine Hoden keine Spermien mehr, sondern Stammzellen. Das Ejakulat, was du zukünftig absonderst, wird daher auch nicht mehr Sperma genannt, sondern Stama. Wie der Eingriff abläuft und wie es wissenschaftlich funktioniert, ist glaube ich nicht so wichtig für dich, oder?“ „Nein, nicht wirklich.“ Es klingelt. Rhea hatte davon erzählt. Das ‚Umfunktionieren‘, wie sie es nannte war hieß also in Fachkreisen ‚Kalibrierung‘.

„Doch, Moment, wieso nennt man es denn Kalibrierung? Was wird dabei eingestellt?“ „Also wie gesagt, das kann ich dir jetzt nur ohne Garantie auf Richtigkeit beantworten. Es muss eine Kombination aus siebzehn speziellen Hormonen in die Hoden injiziert werden, damit anschließend Stammzellen produziert werden. Das Problem dabei: Die genauen Mengenverhältnisse der Hormone hängen von der individuellen DNA ab, und man kann das nur grob vorberechnen. Für die Feineinstellung muss etwas herumexperimentiert werden, daher dauert die OP auch mehrere Stunden. Man macht das, indem man in jeden Hoden einen Parameter anders spritzt und dann mit zwei Sonden, die Differenz ausliest und dann kann man das irgendwie erkennen, wie man im nächsten Schritt angleichen muss. Das geht immer so weiter dann, bis es irgendwann komplett passt. Aber an der Stelle bin ich jetzt wirklich überfragt, wie es im Detail funktioniert. Ich passe während der OP eigentlich nur auf, dass es dem Patienten gut geht.“

„Okay danke.“ „Da wären wir auch beim Thema. Bis deine Hoden abgeschwollen und damit dann fertig einsatzbereit sind, werde ich mich um dich kümmern. Wenn du Schmerzen hast oder sonst in irgendeiner Form Hilfe brauchst, drück diesen Knopf hier, dann bin ich sofort da. Denk dran, nicht bewegen. Brauchst du jetzt für die nächste halbe Stunde noch was? Ich muss gleich für etwa 20 Minuten in den OP für einen kleinen Eingriff.“ „Nein. Danke… Lea.“ „Gut, ich bin so schnell wie möglich wieder da, um dir etwas Gesellschaft zu leisten.“

Lea ist wahrlich ein Engel. Eine bessere Krankenschwester kann man sich nicht wünschen. Sie frägt ständig ob ich Schmerzen, Durst oder Hunger habe und lenkt mich mit ihrer unschuldig-witzigen Art von meinen wundgespritzten Eiern ab. Den halben Tag sitzt sie an meinem Bett und sorgt dafür, dass die Zeit wie im nu vergeht. Immer, wenn sie in den OP muss, ist die Zeit jedoch wie angehalten und ich langweile mich zu Tode – ich kann ja nichts machen… außer die Disziplinareinheit aufzuarbeiten. Darauf könnte ich zwar nur zu gut verzichten, doch ich weiß, dass es notwendig ist und da ich wirklich nichts Besseres zu tun habe, setze ich mich in diesen Stunden wohl oder übel damit auseinander.

Die Erinnerungen kommen häppchenweise zurück, ich puzzle mir über den Tag die folgende Timeline zusammen: Die Aktion im Ruheraum flog auf, woraufhin Fiona und ich in die Disziplinarabteilung beordert wurden. Zur Strafe sollte ich Fionas Spritzenkur nun selbst fortsetzen, mit dem Ziel mir traumatisch einzutrichtern, dass ich durch Regelbrüche vor allem jenen schade, die ich dadurch eigentlich schützen wollte. Als ich mich verweigerte, kassierte ich eine KO-Spritze, die mich für die Anweisungen der Disziplinatrices gefügig machte. Die Message dahinter kommt ebenfalls klar heraus: Ungehorsam ist keine Option, sondern macht alles nur noch schlimmer.

Soweit die Fakten, doch wie gehe ich nun damit um? Werde ich nochmal einen ähnlichen Regelbruch begehen? Nein, sofern ich nicht absolut sicher sein kann, dass es nicht herauskommt, gewiss nicht mehr. Werde ich in Zukunft noch einmal Anweisungen missachten? Auch hier habe ich meine Lektion gelernt. Selbst bei der durchaus wohlwollenden Dr. Xiao ging es schon fast ins Auge, von Dr. Allen brauchen wir gar nicht zu reden. Ich muss hier dringend meinen Stolz und meine rebellische Art zukünftig hintenanstellen, denn mein Trotz schadet nicht nur mir, sondern auch den Mädels um mich herum. Nach außen hin werde ich zu einem Vorzeigespender werden müssen. Denn nach der Disziplinareinheit ist klarer denn je: Dieser Ort darf keine Zukunft haben. Ich muss einen Weg finden aus der Kuppel auszubrechen, und dann mithilfe der Medien einen Skandal auslösen, sodass durch den öffentlichen Druck dann das Edenweiß zerschlagen wird und endlich alle wieder freikommen. Dies kann mir aber nur gelingen, wenn ich hier eine ganz gewöhnliche und unverfängliche Rolle spiele, denn sobald mir genauer auf die Finger geschaut wird, fällt mein bereits stark beschränkter Handlungsspielraum vollständig in sich zusammen.

Was Fiona betrifft, plagen mich weiter große Bauchschmerzen. Obwohl mir rational betrachtet völlig klar ist, dass ich hier selbst weit mehr Opfer als Täter bin und zudem erst unter medikamentösem Schwitzkasten wie gefordert handelte, war es letztlich trotzdem ich, der ihr die grausamen Injektionen verpasste und das fickt schwer mit meinem Gewissen. Ich weiß nicht wie ich ihr nach diesem Vorfall je wieder in die Augen schauen können soll. Es bleibt mir nur zu hoffen, dass irgendwann ihre Erinnerung an diesen Straftermin und insgesamt an das Einspritzen verblasst, und vor allem auch, dass ihre kommende Zeit als eine Schwester in der Klinik sich für sie möglichst annehmbar gestaltet. Denn diese neue Realität annehmen können und das Beste für sich daraus zu machen, das ist wohl der Schlüssel, um hier nicht den Lebensmut zu verlieren.

Nach knapp anderthalb Tagen ist es so weit und Lea ist nach einem konzentrierten Blick der Meinung, dass die Schwellung bereits weit genug abgeklungen sein könnte. Kurzerhand ruft sie Dr. Xiao auf die Station, diese nimmt die Bandage ab, tastet etwas herum und bestätigt schließlich, dass ich entlassen werden kann. Da ich auf ihre vorsichtigen Berührungen hin empfindlich zappelig reagiere, verordnet sie mir noch ein Schmerzzäpfchen. Es ist mir sehr peinlich, aber ehrlicherweise ist es wahrscheinlich sinnvoll beziehungsweise sogar notwendig, wenn ich herumlaufen können soll. Während Lea mir eine Art Smartwatch anlegt, den Katheter entfernt, das angeordnete Zäpfchen einführt und anschließend höchst vorsichtig meinen Intimbereich wäscht, klärt mich Dr. Xiao über die nächsten Schritte auf:

„Durch deine erfolgreiche Kalibrierung bist du jetzt ein Stammzellenspender. Das heißt du wirst mehrmals täglich deinen Samen abgemolken bekommen. Das Gerät an deinem Handgelenk ist zur Terminplanung. Auf dem Display steht dein nächster Termin, Uhrzeit und Raum. Pünktlichkeit ist Pflicht, es gibt meistens nur einen Joker pro Monat, wer öfter zu spät kommt, darf zur Disziplinarärztin. Genau fünf Minuten vor einem Termin vibriert das Gerät, bis du aufs Display tippst. Ab da entsperrt sich automatisch die Türe und du kannst die Gänge betreten. Diese fünf Minuten reichen völlig aus, um überall hinzukommen. Wenn du außerhalb von diesem Fünf-Minuten-Zeitfenster irgendwo herumstreunerst, wird automatisch ein Alarm ausgelöst. Dann werden ein paar Ranger-Mädels zu dir geschickt und du solltest eine gute Erklärung parat haben. Wenn es spontan vibriert, machst du einfach was draufsteht. Auch hier gilt die Fünf-Minuten-Regel.“ Daraufhin verabschiedet sie sich und zieht von dannen.

„Soll ich dich noch auf dein Zimmer bringen?“, frägt mich Lea. Ich nicke. Auf dem Weg fasse ich mir ein Herz: „Wollen wir mal zusammen Mittagessen?“ „Sorry, das geht nicht, meine Chefin möchte, dass wir vom OP-Team immer alle gemeinsam an einem Tisch essen. Das würde nicht gut ankommen, wenn du dich da dazusetzt.“ Es fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Ich hatte zumindest mit einem Gegenvorschlag gerechnet. Aber nichts. Es war eine coole Zeit mit ihr, die kurzweiligste bisher im Edenweiß und das trotz glühenden, geschwollenen Eiern. Doch diese Zeit fand hiermit ihr abruptes Ende. Mehr als einen flüchtigen Blick in der Kantine wird es von Lea offenbar nicht mehr geben. Ich reiße mich zusammen: „Danke für Alles, Lea.“ „Es war schön und vor allem sehr lustig mit dir. Mach’s gut, Max.“ Spontan umarmen wir uns kurz. Dann geht sie.