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Aufrufe: 277 Created: Vor 6 Monate Updated: Vor 6 Monate

Projekt Edenweiß

Yanjiu [1-9] Max - Der Außenbereich

Nach etwa sechs Wochen geht es für mich zum ersten Mal ins Freie. Genauer gesagt, in den Außenbereich der edenweißschen Biokuppel, die offenbar alle vier Kliniken sowie das weitreichende Polstergelände dazwischen überdacht. Den Blick nach oben gerichtet bietet sich mir ein atemberaubendes Schauspiel. Der Himmel entpuppt sich als Glaspalast, gestützt von einer aufwändigen, futuristischen Trägerkonstruktion. Die Fläche hinter dem Glas teilen sich strahlend blauer Himmel und exotische Dschungelpflanzen. Trotz der Überdachung ist die Luft jedoch so frisch, wie man sie inmitten ländlicher Idylle unter freiem Himmel erwarten würde. Es muss eine hervorragende Klimaanlage am Werk sein. Ich atme tief ein und genieße das Licht und die Wärme der vormittäglichen Sonnenstrahlen, die durch die Urwaldkrone in etwa 40 Meter Höhe brechen.

Ich bin zusammen mit einigen anderen zum Waschdienst eingeteilt. Fiona ist ebenfalls mit von der Partie. Sie ist wie die meisten mit dem Waschen beschäftigt, während ich und zwei weitere Kerle zum Aufhängen angewiesen wurden. Etwas ironisch, dass es ausgerechnet hier im Zentrum des High-Techs keine Waschmaschinen und Trockner zu geben scheint.

Der Waschplatz befindet sich in einer Art Burghof, die Begrenzungen waren frontal das Haupthaus der Klinik mit den vielen Behandlungszimmern, links der Flügel mit den Wohnräumen, rechts der Flügel mit den Disziplinarpraxen, OPs sowie der Labors und der Studiensäle. Gegenüber des Haupthauses umzäunt eine hohe begehbare Mauer aus dem gleichen polsterartigen Material wie der Boden das Klinikum. Es patrouillieren einige Aufpasserinnen darauf mit ihren respekteinflößenden schneeweißen Narkosepfeil-Kanistergewehren im Anschlag.

Das Reden wurde uns untersagt, daher werkle ich im Stillen vor mich hin und hänge nacheinander hunderte triefende Ärztinnenkleider, Kasacks, Blusen, Arztkittel, Shirts, Hosen, BHs, Höschen und Shorts möglichst sauber auf die Leine. Fiona hingegen hat eine ganz andere Methode sich trotz Wortlosigkeit die stupide Arbeit interessanter zu gestalten. Sie wirft sich immer wieder heimlich verspielte Blicke mit einem anderen Typen zu. Ich freue mich, dass es ihr nun in ihrem Alltag deutlich besser zu gehen scheint als zu Beginn. Sie strotzt nur so vor Energie und hat zudem offenbar auch noch jemanden ins Auge gefasst.

Als nach etwa einer Stunde knapp die Hälfte der Wäsche gemacht ist, kommt plötzlich Stunk auf. Zwei der Wäscherinnen kriegen sich in die Wolle und beginnen sich lautstark zu raufen. Den Patrouillen entgeht dies nicht, doch noch bevor diese schlichtend eingreifen können, gesellen sich jeweils ein paar Freundinnen der beiden Streitparteien dazu und ein großer, hässlicher Bitchfight mit ungestümen Kratzen, Beißen und Haareziehen ist geboren. Ich halte mich wie viele andere vornehm daraus zurück und wir Unbeteiligten nehmen sicherheitshalber ein paar Schritte Abstand vom Getümmel in Richtung Mauer, als die Wächterinnen den Vorfall ins Visier nehmen.

Diese versuchen mit klaren Anweisungen und schließlich auch mit Drohungen wieder für Ordnung zu sorgen. Mit begrenztem Erfolg, nur vereinzelt zieht sich eine der Streithühner aus dem Gerangel zurück. Ich ahne bereits, dass das kein schönes Ende nehmen wird und bin nicht überrascht, dass ich kurz daraufhin einige scharfe Plopp-Geräusche vernehme. Dies konnten nur die Schüsse der druckluftbetriebenen Kanistergewehre sein. Zu meiner Verwunderung ändern aber auch diese kaum etwas an dem bunten Treiben vor meinen Augen.

Dann geht alles sehr schnell. Vier Strickleitern fallen von der Mauer herab, begleitet von mehreren Rangerinnen, die sich über die Zinnen lehnen und nun auf uns Unbeteiligte zielten. „Achtung! An alle Männer, klettert so schnell wie möglich hier hoch und macht keine Faxen!“, ergreift eine davon unüberhörbar das Wort. Mit vielen Fragezeichen im Gesicht erklimme ich, ohne zu zögern die Strickleiter, schließlich hatte ich inzwischen gelernt, mich klaren Anweisungen nicht zu widersetzen.

Oben angekommen sehe ich wie zwei Rangerinnen bewusstlos auf dem Mauergang liegen. Eine mit Narkosepfeil im Po und eine, die in ihre Brust getroffen wurde. Ich begreife endlich: Dies ist ein Raid. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit. Wer weiß, wo mich mein Schicksal nun wieder hinführen wird. Ob es besser wird als bei den Yanjiu? Kaum oben heißt es aber direkt wieder auf der anderen Seite runterklettern. Unten wartet bereits eine Hand voll weitere Angreiferinnen auf uns. Als schließlich alle unten angekommen sind, werden wir von der mutmaßlichen Anführerin des Trupps angewiesen in sauberen Zweierreihen wortlos zu folgen und nichts Dummes zu versuchen.

Es bietet sich ein skurriler Anblick. Das komplette Außengelände scheint aus einer Art weißen Sitzwürfeln zu bestehen. Die Würfel besitzen etwa eine Kantenlänge von 80cm und sind rundum etwas gepolstert, insgesamt aber sehr robust, wie die Auflagefläche einer Behandlungsliege. Was ich noch nicht begreife, ist, wie sie trotz ihrer glatten Kunstlederoberfläche so fest aufeinandersitzen. Per Ausschlussverfahren bleibt eigentlich nur eine magnetische Lösung mit einem ausgetüftelten Ver- und Entriegelungsmechanismus. Der Boden ist überwiegend eine ebene Fläche aus diesen Würfeln, doch gelegentlich gibt es "Dünen" an Würfeln und die Elevation verändert sich. Vereinzelt beobachte ich auch Wälle, Mauern und Gräben. Irgendwie scheinen sie sich also frei anordnen zu lassen.

Ein Fluchtversuch, soweit draußen im Freien wirkt verlockend, schließlich ist es gerade nur noch die Kuppel selbst, die mich von der Außenwelt trennt. Doch die Rangerinnen wirken aufmerksam, ich würde wahrscheinlich nicht einmal bis zur Kuppelwand kommen. Die Zeit ist noch nicht reif. Kurze Zeit später werde ich in meiner Entscheidung bestätigt. Einer der Kerle vor mir setzt zum Sprint an, doch es kommt wie es kommen musste und ein Betäubungspfeil trifft prompt seinen Po. Das Narkotikum entzieht ihm momentan sein Tempo und bringt ihn zu Boden. Zum Dank für seinen hirnlosen Aktionismus dürfen wir ihn den Rest des Weges tragen.

Als wir wieder eine der Würfeldünen überqueren erscheint dahinter in der Ferne der Umriss einer Klinik, auf die wir zielstrebig zumarschieren. Das war also das Ziel. Auch dieses Gebäude hatte wie alles in dieser Welt einen weißen Grundton, doch diesmal wurde das Weiß durch blaue Elemente komplementiert, statt dem Gelb der Yanjiu. Mit jedem Schritt, den wir der Klinik näherkommen, werde ich ein bisschen nervöser und tausend Fragen zur nahen Zukunft schießen mir in den Kopf. So unzufrieden ich bei den Yanjiu mit dem schalen Alltag war, ich hatte mich dort in gewisser Weise eingelebt und nun könnte sich wieder schlagartig alles ändern. Wo wohl die Unterschiede liegen werden? Ob ich es dort zu mehr bringen kann als nur zu einem Samenspender? Welches der Häuser könnte das am ehesten sein, Lacroix, Jolies oder Larynx? Die Antworten auf diese und viele weitere Fragen werde ich wohl bald erfahren, denn wir stehen ziemlich erschöpft endlich vor dem Tor des Komplexes, das uns zum Empfang wie bei einer mittelalterlichen Zugbrücke heruntergelassen wird.

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LittleDevil Vor 6 Monate