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Tollwütig

Kapitel 1

In halb dämmernden Zustand wurde Vincenzo bei Dr. Berger eingeliefert. Er war in den Appenzeller Alpen von einem offensichtlich tollwütigen Fuchs angefallen und in den linken Oberschenkel gebissen worden. Dr. Berger, die an diesem Herbstabend eben ihre Praxis schließen wollte, war sofort voll gefordert. Ohne dass der Mann es zu merken schien, zog sie ihm die Hose aus und begutachtete die Bisswunde. Mit Tollwut war nicht zu spaßen, da musste man umgehend handeln.

Obwohl sie schon einige Jahre hier ordinierte, hatte sie zuvor noch nie mit der Tollwut zu tun gehabt. Sie wusste wohl, dass sie ein Set mit dem unter Umständen lebensrettenden Serum immer im Kühlschrank bereitliegen hatte - benutzen musste sie es aber noch nie.

Vincenzo, der ein vitaler, athletischer Mann in den besten Jahren war, kam in der warmen Arztpraxis nun wieder mehr zur Besinnung und betrachtete die Ärztin, den einzigen Menschen, der ihm nun helfen konnte. Sie schenkte ihm aus ihrem sympathischen Gesicht ein warmes Lächeln. "Dottoressa ..." stammelte er. Sie nahm seine ausgestreckte Hand in die ihre und bemerkte sofort, welche elektrisierende Wirkung der hilflose Mann auf sie ausübte. Er mochte Anfang bis Mitte 40 sein - das schätzte sie zumindest. Er hatte braungebrannte, kräftige Hände und Arme und ein kantiges Gesicht mit vielen, ganz kurzen Bartstoppeln. "Er ist also italienischsprachig", dachte Silvia Berger bei sich, "dann werde ich in dieser Sprache mit ihm reden." Während und kurz nach ihrem Studium hatte die nun schon erfahrene Ärztin in verschiedenen Teilen der Schweiz gearbeitet und sprach alle drei bedeutenden Amtssprachen des Landes fließend. Beruhigend erklärte sie dem Italiener in seiner Sprache, was nun zu tun sei: "Das Tier, das Sie gebissen hat, war bestimmt tollwütig. Ich muss Ihnen nun schnell ein Gegenmittel spritzen. Ich habe für diesen Fall ein Set im Kühlschrank und werde es nun holen. Haben Sie keine Angst, wir werden Sie bald wieder auf die Beine bringen." Mit diesen Worten wandte sie dem Mann ihren Rücken zu und ging in einen Nebenraum.

Vincenzo war froh, dass die kompetent wirkende dottoressa seine Sprache konnte. Überhaupt gefiel sie ihm ausnehmend gut und er fasste sofort Vertrauen zu ihr. Vincenzo schätzte sie ein klein wenig älter als sich selbst, bemerkte aber auch, dass sie sich für ihr Alter sehr gut gehalten hatte. Die braunen Haare waren von eleganten grauen Strähnen durchzogen. Sie war groß und hatte eine weibliche Figur. Sie trug einen weißen, offenen Arztkittel, der einen Blick auf dieselbe zuließ. Ein hellblauer Rollkragenpulli war in den knielangen dunkelgrauen Rock gesteckt. Das rückte ihre üppigen Rundungen vorteilhaft ins Licht. Durch die feine, schwarze Strumpfhose erkannte Vincenzo muskulöse, schön lange Beine, die durch die farblich mit dem Rock abgestimmten Schuhen mit den leichten Absätzen noch eleganter wirkten. Wäre Vincenzo nicht so entkräftet gewesen, hätte er bei ihrem Anblick normalerweise unweigerlich nicht jugendfreie Gedanken gehegt: Silvia Berger war eine Ärztin, wie sie durch seine feuchten Träume geisterte.

Mit einer Art Mappe in der Hand kam sie zurück und lächelte dem Mann wieder aufmunternd zu. Sie öffnete de Reißverschluss des Sets und klappte es aus. Es beinhaltete sechs fertig aufgezogenen Injektionen. Vincenzo durchlief ein wohliger Schauder. Es fiel ihm nun wieder ein, dass er schon ein, zweimal davon gehört hatte, wie Tollwutbisse behandelt würden. Man bekam eine Injektion in jeden großen Muskel des Körpers. Eine in jeden Oberarm, eine in jeden Oberschenkel und eine in jede Pobacke. Vincenzo hatte auch gehört, dass diese Injektionen sehr schmerzhaft sein sollten - daher, das musste er sich selbst gegenüber nun wohl eingestehen - befiel ihn ein aufregendes, aber auch ziemlich mulmiges Gefühl. Doch es half nichts, er musste da durch - und wenn er das mit jemandem durchstehen wollte und konnte, dann genau mit dieser tollen Ärztin. Er versuchte also möglichst zuversichtlich dreinzublicken und rang sich sogar zu einem Lächeln durch.

"Der Mann sieht nicht nur toll aus, er scheint auch so tapfer zu sein, wie sein Äußeres vermuten lässt", dachte Silvia bei sich, "ich würde beim Anblick dieser Spritzen vermutlich in Panik verfallen. Zum Glück weiß er nicht, dass ich das noch nie gemacht habe. Die Spritzen sollen ja sehr schmerzhaft sein, ich muss besonders vorsichtig hantieren." In Frau Dr. Berger stiegen zwei Gefühle auf: Sie hatte großen Respekt vor der Aufgabe, die ihr nun bevorstand. Sie wollte dem Mann helfen und ihm nicht unbedingt zusätzliche Schmerzen bereiten. Andererseits, das konnte sie nicht leugnen oder unterdrücken, freute sie sich auf die Aufgabe, diesem sehnigen Typen nun sechs Injektionen in seinen muskulösen Körper zu verpassen.

Im Set waren zwei kleinere Spritzen mit 5 Milliliter Inhalt und nicht allzu langer Nadel. Die waren wohl für die Oberarme gedacht. Gefüllt waren alle mit einer ölig wirkenden, gelblichen Flüssigkeit. Die vier restlichen Spritzen waren mit 10 Milliliter gefüllt und mit einer wesentlich dickeren Nadel versehen - das konnte Silvia auch durch die Schutzkappe erkennen.