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Tollwütig

Einführung

Vincenzo

Diese Woche mache ich etwas, das ich noch nie im Leben getan habe: Ich verbringe eine Woche Ferien ganz allein in der Provinz am Rande eines Naturparks. Ich bin beruflich extrem erfolgreich, bin eben für meine besonderen Leistungen ausgezeichnet worden und habe viel gearbeitet in letzter Zeit. Gleichzeitig ist mein Privatleben immer mehr auf der Strecke geblieben. Meine Frau und ich - Kinder haben wir keine - haben sich auseinandergelebt. Erst jetzt im Urlaub wird mir meine Situation bewusst. Ich fühle mich irgendwie halt- und orientierungslos. Und es ist herausfordernd, mir allein zu genügen. Oft sitze ich stundenlang am Seeufer und starre auf die glänzende Oberfläche. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Vor allem privat - aber auch beruflich. Ich war so erfolgreich, dass ich mich frage, wie ich das noch toppen soll. Und dann kommt mir natürlich auch meine heimliche Obsession in den Sinn, von der ich nie jemand erzähle. Sie ist eigentlich eine Belastung, denn ich kann sie nicht einordnen. Mit herkömmlichem Sex kann ich nicht viel anfangen, obwohl sich Gelegenheiten genug ergeben würden. Nicht nur mit meiner Frau … Ich werde dagegen wahnsinnig erregt von Doktorspielen, vor allem wenn Spritzen im Spiel sind. Ist das normal? In meiner Welt jedenfalls nicht. Prahlen meine Kollegen nicht immer mit ihren One-Night-Stands und Eroberungen? Wie könnte ich da jemals von meiner heimlichen Leidenschaft erzählen?

Ich stehe langsam auf, um mich für heute auf den Heimweg zu machen. Da entdecke ich hinter einem Gebüsch zwei funkelnde Augen, die mich beobachten. Ein leises Zischen versetzt alle meine Sinne in höchste Alarmbereitschaft. Und plötzlich setzt die Kreatur zum Sprung an, fällt mich an und beißt mir in den linken Oberschenkel. Ein Schmerz durchzieht mein ganzes Bein, und wie in Trance nehme ich einen Ast vom Boden auf und schlage wie wild auf das Tier ein. Dieses beginnt zu jaulen, zieht den Schwanz ein und rennt davon. Zitternd bleibe ich auf dem Boden liegen, bis mein Atem wieder etwas langsamer geht. Wie lange das gedauert hat, kann ich nicht sagen. Mein Bein schmerzt höllisch, als ich mich versuche aufzurichten. Ich krame mein Handy hervor, um Hilfe zu holen, nur um festzustellen, dass ich her keinen Empfang habe.

Nach einer gefühlten Ewigkeit - es beginnt schon einzudunkeln - schleppe ich mich mit letzter Kraft in Richtung Straße, die zu dem kleinen Dorf in der Nähe führt. Glücklicherweise fährt bald ein Auto vorbei, das ich anhalten kann. Der Mann erkennt sofort, dass ich ärztliche Hilfe brauche und bringt mich zur nächst gelegenen Arztpraxis.

Dr. Silvia Berger

Ich freue mich auf meinen wohl verdienten Feierabend nach einem langen und anstrengenden Arbeitstag. Neben den länger angemeldeten Patienten kamen heute noch zwei Notfälle dazwischen, so dass ich erst jetzt dazu gekommen bin, meine Akten upzudaten. Erschöpft schweifen meine Gedanken ein bisschen ab: Nein, ich bereue es nicht, dass ich vor ungefähr drei Jahren hierher in die Provinz gekommen bin. Der Betrieb im Krankenhaus in der Großstadt war nichts für mich. All diese Geldsäcke, die glauben, als Ärztin bist du vor allem Dienstleister. Und da ich nicht schlecht aussehe, spürte ich auch die Blicke dieser Machtmenschen unangenehm auf mir. Nein, damit möchte ich nichts mehr zu tun haben. Ich sage gerne selber, wo es langgeht. Höflich, aber bestimmt. Als Ärztin steht mir das zu. Und wenn ich gerne einmal eine Spritze zu viel in einen knackigen Männerpopo versenke, weil mir das eben gefällt, dann stört das hier niemand. Die Uhren ticken hier anders, der Arzt ist eine Respektperson, dem nicht widersprochen wird. Ich liebe das und habe mir auch als Frau schnell Anerkennung verschafft.

Mit den Autoschlüsseln in der Hand bin ich dabei, mich auf den Heimweg zu machen, als es an der Tür läutet. Seufzend öffne ich und sehe mich einem kleineren älteren Mann gegenüber, der einen großen gutaussehenden Mittvierziger mit schmerzverzerrtem Gesicht stützt. Ich bitte die beiden herein und lege den Patienten auf die Liege im ersten Behandlungszimmer. Dieser bedankt sich bei seinem Helfer und gibt ihm mit letzter Kraft einen vermutlich zu großzügig bemessenen Geldschein. Der hilfsbereite Taxifahrer bedankt und verabschiedet sich.