Ich glaube, dass die "Langlebigkeit" des Klistiers seit den alten Ägyptern ganz wesentlich auf seiner Rolle als nahezu ideales Placebo gerade in den langen Zeiten eines weit verbreiteten medizinischen Unwissens beruht, denn
- die Vorstellung, durch den Darm "Gifte" oder schlechte Stoffe auszuscheiden, ist so alt wie die Menschheit.
- Verstopfungen sind bei Mensch und Tier ausgesprochen unangenehme Zustände.
- Einspritzungen in den Darm (ggf sogar per Blasrohr) waren schon in frühester Zeit technisch machbar.
- ein Klistier hat immer (!) eine für den Patienten und seine Umgebung sicht- und erlebbare Wirkung.
- ein Klistier ist invasiv aber unblutig und erfordert vom Patienten zumindest anfangs eine Überwindung (Schamgrenzen etc), was seine positive Erwartungshaltung stärkt.
- wenn ein Klistier auf dem Höhepunkt eines (nicht tödlichen) Krankheitsgeschehens gegeben wird, geht es dem Patienten danach in aller Regel besser, sodass er und sein
Arzt aus der zeitlichen Abfolge Klistier-Besserung immer eine Kausalität machen, was medizinisch oft gar nicht der Fall ist, aber das menschliche Gehirn ist nun mal so gestrickt, dass es auf Teufel-komm-raus immer Kausalitäten sucht.
- die technische Entwicklung von einfach bedienbaren Metall-Klistierspritzen in der Barockzeit erlaubte eine weite Verbreitung auch über Ärzte und Apotheker (vorher auch
Bader) hinaus zu Privatpersonen.
- Mit der besseren Verfügbarkeit leicht zu bedienender Klistierspritzen mit speziell geformten glatten Spitzen konnte auch die Hoch-Zeit des höfischen Klistierens zur Zeit der
französischen Ludwige beginnen, wobei ihre besondere Beliebtheit bei der damaligen Damenwelt außer eingebildeten gesundheitlichen Effekten (Teint) nach meiner
Einschätzung ganz wesentlich auch mit den zusätzlich entdeckten, aber natürlich nie zugegebenen, erotischen "Nebenwirkungen" zu erklären ist.
Dass Klistiere seit den 1980er Jahren aus der Mode gekommen sind, hängt aus meiner Sicht ganz wesentlich mit der Strategie vieler Pharmafirmen zusammen, eine große Palette von neuen, leicht einzunehmenden Abführmitteln auf den Markt zu werfen und diesen Markt sogar durch gekaufte "redaktionelle" Artikel zu vergrößern.
Eine "bunte Frauenzeitung", die heute berichten würde, dass die preiswerte Anschaffung eines Klistierballs oder Irrigators - wie bis vor Kurzem üblich - eine rasche und wirksame Beseitigung aller Verstopfungen in der Familie ohne Kauf auch nur eines einzigen Abführmittels für Jahrzehnte ermöglichen würde, hätte mit sofortigem Verlust eines Großteils ihres Anzeigengeschäfts zu rechnen. Ich erinnere mich noch an das Aufsehen, als vor etwa 20 Jahren in der WDR-Hobbythek der Moderator Jean Pütz genau dies beschrieb und sogar von eigenen Erfahrungen berichtete und Rezepte veröffentlichte.