Ich kann mich auch noch gut an eine Untersuchung während meiner Schulzeit in der DDR erinnern. An diesem Tag fuhr die gesamte Klasse in eine Art Klinik für Jugendmedizin. Wir durchliefen mehrere Stationen, wie z. B. Hör- und Sehtest. Zum Abschluß mußte jeder einzeln zu einer Auswertung und individuellen Untersuchung ins Sprechzimmer einer Ärztin. Alle vor mir meinten, es passiert nichts weiter, nur das übliche, Abhören, Abtasten usw. Als ich aufgerufen wurde, betrat ich also das Untersuchungszimmer ganz locker. Die Ärztin war eine korpulente Frau mittleren Alters und saß an einem großen Schreibtisch. Ihr gegenüber saß eine junge Schwester. Frau Doktor hielt meinen Impfpass in der Hand.
"Dir fehlt die letzte 2-fach-Impfung gegen Tetanus und Diphterie. Wollen wir das gleich mal nachholen?" meinte sie und sah mich lächelnd an. Mir rutschte das Herz in die Hose, doch ich erinnerte mich, das mein Arzt, bei dem ich wegen einer Nierenerkrankung in Behandlung war, mich zurück gestellt hatte von der Impfung. Die Ärztin griff zum Telefon und wählte. Sie versuchte, meinen Doktor zu erreichen, abwartend mit dem Hörer am Ohr. Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Ich war irre aufgeregt, tat aber gelangweilt und schaute mich im Raum um. Links von mir stand eine Liege an der Wand des Zimmers und sah mich dort schon bäuchlings liegen mit blankem Hintern, während die Schwester die Spritze aufzieht an dem Tisch rechts von mir, mit der Frau Doktor dann zu mir kommt und mit dem Kommentar „Ist nur ein kleiner Piecks.“ lächelnd in den Hintern jagt.
Nach unendlich quälender Zeit der Ungewissheit legt sie den Hörer wieder auf.
Sie hatte meinen Arzt nicht erreicht. Ich bekam ich ein Schreiben mit der Anfrage, wann die fehlende Impfung nachgeholt werden kann mit dem freundlichen Hinweis, daß ich jederzeit dafür hierher kommen kann.
Als ich dann meinem Arzt das Schreiben zeigte, meinte er, daß diese Impfung jetzt unbedingt nachgeholt werden muß, nur leider hatte er das Serum nicht da. Ich ging dann tapfer zur staatlichen Impfstelle, wo ein junger Arzt mir die Spritze unspektakulär in den Hintern verpasste.
In meiner Fantasie male ich mir heute aber immer noch aus, wie es gewesen wäre, wenn die Ärztin meinen Arzt telefonisch erreicht hätte.