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Aufrufe: 532 Created: Vor 5 Monate Updated: Vor 5 Monate

Anne, Laura und der Doc

Der Besucher (Kapitel 8)

Als Yves ins Hotel kam, dachte er schon, er hätte sich verspätet. Das hatte er auch, denn die Metro, die er nehmen musste um pünktlich zu sein, war ihm vor der Nase weggefahren. Er hatte verschlafen, weil er in der Nacht kaum ein Auge zugetan hatte. Zu seiner Überraschung bemerkte niemand seine Verspätung. Die Chefs, also der Fotograf, der gleichzeitig auch der Regisseur war, der Kameramann oder Monsieur Bernard konnten schon mal ein scharfes Wort sagen, wenn einer der Hiwis zu spät kam. Kamen sie selbst und die Models zu spät, war das natürlich eine andere Sache. Das Model war aber anscheinend auch noch nicht am Set. Meistens verspäteten sich die Models, dann, wenn mindestens einer der Chefs auch zu spät war. Das Pariser Nachtleben eben.

Aber die Stimmung war heute morgen anders als sonst, irgendwie gedämpft, fast schon ein bisschen bedrückt. Monsieur Bernard telefonierte und lief im Zimmer auf und ab. Als er an Yves vorbeikam, schnappte Yves das Wort „Klinik“ auf und dann stellte Monsieur Bernard die Frage wie es ihr ginge und wann sie aus dem Krankenhaus entlassen werden würde. War mit „sie“ Laura gemeint? War sie krank geworden oder war ihr etwas zugestoßen? Yves hoffte inständig, dass dies nicht der Fall war. Nach einer halben Stunde schickte Monsieur Bernard alle Mitarbeiter nach Hause und sagte, er würde sich melden, wenn das Fotoshooting fortgesetzt werden konnte. Eine Erklärung gab er dafür nicht.

Yves ging die Treppe nach unten. Auf Höhe der zweiten Etage kam ihm eine Frau um die Vierzig entgegen, die er gestern auch beim Fotoshooting gesehen hatte. Sie war wahrscheinlich Lauras Agentin. Sie war schon fast an ihm vorbei als er sich umdrehte und sie ansprach.

„Entschuldigen Sie bitte, wo kann ich Laura finden?“ Etwas Dümmeres konnte er wohl nicht fragen, dachte Yves, aber die Frau blieb stehen. Sie sah übernächtigt aus. Und besorgt. Das fiel ihm jetzt auf.

„Geht es ihr nicht gut?“ Yves konnte einfach nicht an sich halten. Er machte sich seit er Monsieur Bernard von Krankenhaus und so weiter hatte reden hören Sorgen um Laura.

„Laura ist im Krankenhaus. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut.“ sagte die Frau leise.

„Darf ich sie besuchen?“ Yves wusste nicht woher er den Mut nahm eine Agenturchefin und wildfremde Frau das zu fragen.

Anne zögerte, sie meinte ehrliche Besorgnis in seinen Augen zu sehen. Er war ihr gestern schon aufgefallen. Viele nahmen sich furchtbar wichtig bei solchen Fotoshootings der Königsklasse. Der junge Mann, der jetzt vor ihr stand, hatte gestern vorausschauend und geschickt seine Arbeit gemacht. Er war immer im richtigen Moment zur Stelle gewesen ohne Aufhebens darum zu machen. Das hatte ihr gut gefallen. Selbstdarsteller und vor allem Männer mit Riesenegos gab es genug in dieser Branche.

„Wenn Sie mir Ihren Namen verraten, werde ich Laura fragen, ob Sie sie besuchen dürfen.“

„Ich heiße Yves. Yves Martin.“

Die Frau lächelte und sagte „Ich werde es Laura ausrichten, Monsieur Martin.“

Dann wandte sie sich um und setzte ihren Weg nach oben fort.

Laura lag in ihrem Einzelzimmer und begann sich zu langweilen. Das war ein gutes Zeichen wie sie fand. Nach der Aufregung und den starken Schmerzen in der Nacht hatte sie am Vormittag viel geschlafen und sich etwas erholt. Anne hatte sie nach dem Frühstück, das für Laura nur aus einer Tasse Kamillentee bestanden hatte, besucht und ihr noch frische Kleidung und ihr Smartphone gebracht. Kurz danach hatte sie mit ihrer Mutter telefoniert, die sich natürlich Sorgen um Laura machte, aber wie immer pragmatisch war und meinte das wichtigste sei, dass Laura in guten Händen wäre, dann könne ihr der Blinddarm nichts anhaben.

„Als mir der Blinddarm herausgenommen werden musste und ich zwei Wochen im Krankenhaus lag, habe ich Deinen Vater kennengelernt.“

erzählte Lauras Mutter. Laura kannte die Geschichte natürlich schon, aber gerade jetzt als sie selbst mit einer Blinddarmentzündung in einer Klinik lag, fand sie den Gedanken irgendwie tröstlich.

Ihre Gedanken kehrten wieder zu Anne und dem, was sie Laura erzählt hatte zurück. Ein junger Mann, der als Helfer bei Fotoshootings arbeitete und gestern auch bei ihrem Shootings dabei gewesen war, hatte sich nach ihr erkundigt und gefragt, ob er Laura besuchen dürfe. Laura wusste sofort wer er war als Anne seinen Vornamen nannte und ihn beschrieb. Dass er Yves hieß, hatte sie gewusst. Nur seinen Nachnamen hatte sie natürlich nicht gekannt, da alle bis auf Monsieur Bernard mit Vornamen angeredet wurden. Sie hatte Anne gebeten Yves auszurichten, dass sie sich über seinen Besuch freuen würde.

„Wie ist denn Ihr Name?“ die Empfangsdame sah ihn über ihre Lesebrille hinweg an und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.

„Martin. Yves Martin.“ antwortete der Mann, den sie auf Mitte Zwanzig schätzte. Sie scrollte die Liste derjenigen, die die Patientin besuchen durften, durch und fand seinen Namen. Man hatte ihr heute morgen mitgeteilt, dass die Patientin auf Zimmer 217 nur von den auf der Liste vermerkten Personen besucht werden durfte. Sie kannte das schon. Es gab immer mal wieder Patienten, die einen besonderen Status hatten. Sie erklärte dem jungen Mann den Weg und rief die Patientin an um sie zu informieren, dass sie Besuch bekäme.

Laura legte den Telefonhörer auf. Sie war wie vereinbart zuvor informiert worden, dass sich Besuch für sie angemeldet hatte. Schlagartig war sie nervös geworden. Sie kannte Yves praktisch nicht, wusste nichts über ihn. Nur seinen Namen. Als es klopfte und Yves in ihr Zimmer kam, merkte sie wie sich die nervöse Anspannung in Freude wandelte.

Da lag sie; blaß, etwas erschöpft und wunderschön. Sie lächelte ihn an und bat ihn sich einen Stuhl auszusuchen. Er wählte den, der bereits neben dem Bett stand.

„Wie geht es Dir?“ fragte Yves.

„Inzwischen schon wieder ganz gut. Aber heute Nacht habe ich eine Blinddarmentzündung bekommen. Gott sei Dank musste ich nicht operiert werden und die Antibiotikatherapie wirkt offensichtlich gut.“ antwortete Laura und berichtete was in der letzten Nacht passiert war. Sie ließ natürlich die Details und insbesondere die gynäkologische Untersuchung aus.

Anne und Dr. Castigo saßen in einem Café in der Nähe des Hotels und tranken Kaffee. Hauptgesprächsthema war selbstverständlich Laura. Mittags hatte Dr. Castigo Laura besucht und nochmal gründlich ihren Bauch abgetastet. Er hatte ihr mitgeteilt, dass die Laborwerte von der letzten Blutprobe schon deutlich besser waren als die von der Blutprobe in der Nacht. Er war sehr zufrieden mit Lauras Gesundheitszustand und meinte, das eine OP nicht mehr notwendig sei.

„Mit etwas Glück kann sie übermorgen schon entlassen werden und mit dem Fotoshooting weitermachen.“

„Ach Du meine Güte! Daran habe ich ja gar nicht mehr gedacht!“ Anne sah ihn erschrocken an.

„Keine Sorge, als Lauras Arzt habe ich heute morgen mit Monsieur Bernard telefoniert und ihm gesagt, dass Laura spätestens gegen Ende der Woche wieder gesund und bereit für das Fotoshooting sein wird.“

„Danke! Das hatte ich vollkommen vergessen.“

‚Nein, Du hast es nicht vergessen, sondern Du hast Dir trotz all Deiner Professionalität erlaubt zuerst an Laura zu denken und nicht an das Geschäft.‘ dachte Dr. Castigo, sprach es aber nicht laut aus.

„Ach übrigens, ich glaube Laura hat einen Verehrer!“

„Tatsächlich?“