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Aufrufe: 1310 Created: 2020.09.04 Updated: 2020.09.04

Kopf verdreht

Kopf verdreht

Gestern war ich wieder einmal bei meinem langjährigen Freund und HNO-Arzt. Seit letzten Freitag plagten mich Schwindelattacken und meine Hausärztin hatte mir eine Überweisung für den Facharzt ausgestellt. Adrian und ich hatten uns seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Zum Glück litt ich fast nie unter HNO-lastigen Beschwerden.

Wir pflegten auch eine kurze Affäre, oder besser gesagt ein Strohfeuer. Obwohl er sehr gut flirten konnte, war dann der Sex umso enttäuschender. Ich meldete mich einfach nicht mehr bei ihm und ließ die Sache zwischen uns im Sand verlaufen. Auch wenn ich ihn als Lover schon ad acta gelegte hatte, so wusste ich ihn als Mediziner sehr zu schätzen.

Nervös stand ich vor seiner Ordination und betätigte die Klingel. Mit einem automatischen Summen ging die Türe auf. Adrian verabschiedete sich gerade von einem Patienten. Das gab mir noch die Gelegenheit, meine Nervosität ein wenig in den Griff zu bekommen. Wie würde er wohl reagieren, wenn wir allein waren? Schließlich war sehr viel Zeit seit unserem letzten Treffen vergangen. Obwohl er einen Nasen-Mundschutz trug, konnte ich erkennen, dass er mir ein ehrliches Lächeln schenkte. Auch wenn er es nicht sehen konnte, lächelte ich zurück und ich war erleichtert, dass er offensichtlich erfreut war, mich zu sehen.

Er geleitete mich in den Untersuchungsraum, am Ende der Ordination. Seit meinem letzten Besuch hier, hatte er renoviert und alles sah ganz anders aus. Langsam und auf jeden Schritt bedacht, folgte ich ihm. Aufgrund meines Schwindels bewegte ich mich gemächlich und möglichst aufrecht. Ruckartige Bewegungen versuchte ich, so gut wie möglich, zu verhindern.

Ich nahm ihm gegenüber auf dem Untersuchungsstuhl Platz und erzählte ihm von meinen Beschwerden. Geduldig hörte sich alles an und bereitete währenddessen seine Instrumente vor. Anschließend begann er, mich zu untersuchen. Mit dem Otoskop schaut er sich meine Ohren an. Danach inspizierte er meinen Hals. Soweit war alles in Ordnung. Als Nächstes setzte mir Adrian eine Art Brille auf, um einen etwaigen Nystagmus, unkontrollierbare, rhythmische Bewegungen der Augen, festzustellen. Aber auch bei diesem Test konnte er nichts Außergewöhnliches feststellen. Während der gesamten Untersuchung war er sehr freundlich und äußerst professionell. Die Nähe zwischen uns empfand ich als sehr angenehm und vertraut, obwohl ich noch immer ein bisschen aufgeregt war. Aber seine Art, mich zu berühren, wirkte sehr fürsorglich und beruhigend auf mich.

„Und was gibts bei dir so Neues?“, wollte er schließlich wissen. „Ach nichts, ich arbeite noch immer im selben Krankenhaus, auf derselben Station, aber vielleicht habe ich bald ein neues Opfer“ antwortete ich schmunzelnd, was er sicher von meinen Augen ablesen konnte. „Ein Arbeitskollege, wieder ein Arzt“, gab ich zu und merkte, wie sich meine Wangen röteten. Er kannte meine Vorliebe für Mediziner. Sichtlich amüsiert, rutschte er wieder etwas näher an mich heran und nahm meinen Kopf in beide Hände. „Wie siehts mit Verspannungen in der HWS aus?“, wollte er wissen. Ich brauchte ihm gar nicht zu antworten, da merkte er schon, dass mein Schultergürtel sehr verspannt war. „Lass ein bisschen locker, sonst kann ich dich nicht untersuchen“ ermahnte er mich freundlich aber bestimmt. Ich schmolz in seinen Händen dahin. Adrian gab noch nicht auf und bat mich, mich auf die Untersuchungsliege zu legen. Langsam kam ich seiner Aufforderung nach. Liegen war für mich ohnehin viel angenehmer als sitzen. Er rollte mit seinem Hocker ans Kopfende und begann, vorsichtig meinen Kopf hin- und her zu bewegen. Diesmal konnte ich tatsächlich locker lassen. „Ich hätte da noch eine Idee“ und schon hatte ich zwei Akupunkturnadeln stecken. Eine zwischen meinen Augen und eine mitten auf meinem Haupt. Ich wollte mich schon beschweren, vor allem, weil ich Nadeln über alles hasste, aber da begann Adrian zärtlich meinen Nacken zu massieren. Mein Ärger verflog im Nu und ich ließ mir seine Massage gefallen. „Es ist wirklich gut, dass du heute den letzten freien Termin gebucht hast. So habe ich ausgesprochen viel Zeit für dich.“, sagte er leise, während er mich weiterhin massierte. Ich genoss seine Berührung so sehr, dass ich nur mit einem verträumten „mhm“ antworten konnte.

Nach einer Weile fragte ich auch ihn, was sich bei ihm im letzten Jahr so verändert hatte, abgesehen von der Renovierung seiner Praxis. Er erzählte, dass er seit sechs Monaten geschieden war und seit Neuestem einen Account auf Tinder hatte. Ich bekundete mein aufrichtiges Mitgefühl, obwohl ich wusste, dass er kein Kind von Traurigkeit war. Und das war er schon zu Zeiten seiner Ehe nicht gewesen.

Er schilderte mir zwei spannende Tinder-Dates und dafür berichtete ich von allen Ärzten und auch Nicht-Medizinern, die ich bis jetzt vernascht hatte. Darunter Gideon und Elio, die auch er gut kannte, da sie alle zur selben Zeit im selben Krankenhaus gearbeitet hatten. Dann fragte ich ihn, ob er sich noch an Amir, der ebenfalls zur gleichen Zeit seine Ausbildung in der „verruchten“ Klinik abgeschlossen hatte, erinnern konnte. Sogar Adrian war damals der gutaussehende Arzt nicht entgangen. „Der ist doch schwul, oder?“, fiel es Adrian ganz unvermittelt ein. „Ja leider“, gab ich zu. „Dabei hätte ich ihn gerne als mein nächstes Opfer auserwählt“, erwiderte ich kokett. „Du bist zwar wirklich gut, aber so gut, fürchte ich, nicht“, meinte er lachend.

„Aber schließlich gibt es noch andere gutaussehende Ärzte, die nicht schwul sind“, versicherte mir Adrian mit einem Augenzwinkern. Wir sahen einander an und eine etwas angespannte Stille legte sich über das bis jetzt so ungezwungene Geplänkel.

Mir war auf Anhieb klar, dass er sich erhoffte, unser Strohfeuer noch einmal zu entfachen. Aber heute ging es mir einfach nicht gut und wie gesagt, der Sex war damals echt enttäuschend.

Adrian beendete meine Behandlung und wurde wieder ganz professionell. „Ich stelle dir ein Rezept aus, die Tabletten nimmst du jetzt mal drei Tage lang, danach müsste es dir besser gehen.“ Langsam setzte ich mich auf und kämpfte gegen die neuerliche Schwindelattacke an. Besorgt sah er mich an. Irgendwie hatten wir uns nichts mehr zu sagen und doch wollten wir uns noch nicht von einander verabschieden. In einem Versuch, die unbeschwerte Stimmung von vorhin zurückzuholen, erkundigte ich mich nach seinem Tinderprofil. Adrian wirkte deutlich entspannter und zückte unmittelbar sein Handy. „Ben, 39, Architekt - na da hat aber jemand ganz schön geschummelt“, kommentierte ich seinen Account. Er gestand mir, dass er das Profil eigentlich schon vor seiner Scheidung angelegt hatte, um seiner Ex-Frau nachspionieren zu können. Aus diesem Grund hat er seine Angaben etwas verändert.

„Ich hätte an deiner Stelle einen spanischen Namen genommen, Miguel oder Alejandro zum Beispiel. Frauen stehen auf rassige Latin Lover. Oder nein, vergiss es, das trifft vielleicht nur auf mich zu. Andere Frauen stehen vielleicht viel mehr auf Franzosen“. Endlich konnte ich mich selbst bremsen und aufhören, zu plappern, wie Wasserfall. Wer weiß, wie viel mehr Schwachsinn mir sonst noch eingefallen wäre.

„Oh Mademoiselle, Sie aben aber schöne Augen“ schmachtete er mich mit gespielt französischem Akzent an. „Monsieur, mein Schulfranzösisch ist schon etwas eingerostet“, musste ich zugeben. „Das macht nichts, das andere Französisch macht sowieso viel mehr Spass“ konterte er charmant. Wir mussten beide Lachen. Schließlich verabschiedeten wir uns doch noch von einander.

Vielleicht verdiente Adrian noch eine letzte Chance, dachte ich mir beim Rausgehen. Dann dürfte es aber kein Quickie in seiner Ordination mehr sein, lieber ein Date mit Wein und Kerzenschein. Offenbar hat er mir mit seiner zarten Massage ein bisschen den Kopf verdreht. Wir werden sehen, ob sich daraus eine Karussellfahrt ergeben wird...

Comments

Wildflower Vor 4 Jahre  
matloh Vor 4 Jahre