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Aufrufe: 1119 Created: 2020.01.24 Updated: 2020.01.24

Sanft aufgefangen

"Du machst mir Angst. Was habt ihr mit mir vor?"

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht, bis der nächste Alptraum mich heimsucht und das gleich Spiel von vorne losgeht. Alexander macht mich wach, ich schlafe wieder ein für eine kurze Zeit und dann fängt es wieder an. Ich sehe den Jungen, kann ihn hören, genauso wie die verzweifelten Eltern, die weinend und flehend daneben knien.

Alexander reißt mich aus dem schrecklich Traum.

"Charly! Charly, wach auf!", rüttelt er mich an der Schulter.

Ich schrecke hoch und fahre mir mit der Hand durch die Haare. Diesmal war es besonders real, wenn auch nur kurz, dank Alexander. Ich atme tief ein und wieder aus, um mein Zittern unter Kontrolle zu kriegen.

"Verdammt! Das war schon der dritte Alptraum und es ist immer noch nicht dunkel draußen", stelle ich fest. "Wie lange habe ich überhaupt geschlafen?"

"Etwas mehr als eine Stunde", antwortet Alexander ernüchternd.

Ich seufze und starre aus dem Fenster in die beginnende Abenddämmerung. Statt traurig, deprimiert oder wütend zu sein, fühle ich mich gerade einfach nur leer.

Alexanders Stimme reißt mich aus meiner Trance: "Hast du gerade einen Moment und kannst hochkommen?" Er hat sein Telefon in der Hand. "Nein, alles andere habe ich da. Danke Martin." Er legt auf und ich schaue ihn verwirrt an.

"Du brauchst endlich mal erholsamen Schlaf Charly, so kann das nicht weitergehen. Martin ist ein Nachbar und guter Freund, er ist Internist und hat die Medikamente da, die ich dir alleine nicht geben darf."

"Alexander, du machst mir Angst. Was habt ihr mit mir vor?", frage ich ihn panisch.

"Beruhige dich Süße. Er wird dir ein bisschen Beruhigungsmittel geben, damit du endlich mal ein paar Stunden durchschlafen kannst, das ist alles. Du brauchst keine Angst haben." Er sieht mich an und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Bevor ich ihm antworten kann, klopft es leise an der Tür.

Alexander nimmt meine Hand und drückt sie kurz, als aufmunternde Geste, bevor er aufsteht und die Tür öffnet.

Ich kann nur Bruchstücke des Gesprächs erhaschen, dass er mit einem scheinbar älteren Herren im Flur führt.

"Danke dass du da bist, Martin"

"Ihr Blutdruck ist etwas niedrig momentan, aber ansonsten…"

".…sie braucht nur endlich mal erholsamen Schlaf, damit sie wieder zu Kräften kommt…"

"Ich habe ihr für morgen ein Gespräch bei unserer Traumatherapeutin organisiert, dafür sollte sie aber wenigsten körperlich wieder stabil sein"

Mein Herz rast, ich bin plötzlich total unruhig und nervös. Ich setze mich auf und umklammere meine Knie.

Ich höre Schritte aufs Wohnzimmer zukommen. 'Fuck, Charly, jetzt beruhige dich!'

Ein älterer, sehr gelassen wirkender Mann mit einem silbernen Koffer in der Hand, betritt den Raum und setzt sich ans Ende des Sofas: "Guten Abend Charlotte, ich bin Martin." Er gibt mir die Hand.

"Guten Abend Martin", antworte ich ihm mit zitternder Stimme.

Alexander hat mittlerweile neben mir Platz genommen. Ich fühle mich auf eine seltsame Art eingeengt.

"Alexander hat mir schon das wichtigste erzählt. Ich muss allerdings noch ein paar Sachen wissen, bevor ich dir etwas zum Schlafen geben kann."

Ich nicke.

"Ist das okay, wenn Alexander schon mal deinen Blutdruck misst?", fragt er und schaut dabei erst mich an und dann Alex.

"Ist okay", bringe ich leise hervor. Meine Nervosität steigt immer weiter. Spätestens wenn Alexander gleich meinen hohen Puls fühlt und mich besorgt ansehen wird, werde ich mich glaube ich nicht mehr zusammenreißen können. Ich atme tief durch und versuche mich zu beruhigen.

Alex ist inzwischen aufgestanden, um die Blutdruckmanschette aus dem Rucksack zu holen.

"Sind irgendwelche Vorerkrankungen bei dir bekannt oder nimmst du Medikamente?", fragt Martin.

Ich schüttel den Kopf.

"Gut. Hast du heute Alkohol getrunken oder in den letzten Tagen andere Drogen konsumiert?"

"Nein."

Alexander wickelt mir behutsam die Blutdruckmanschette um den Arm.

"Okay, das wars schon. Alexander wird dir gleich einen Zugang legen, damit ich dir die Medikamente geben kann, okay?"

'Ein Zugang?' Ich weiß nicht, wieso es mich diesmal so schockiert, eigentlich war es abzusehen, dass Martin mir die Medikamente intravenös geben wird, aber plötzlich kommt Panik in mir auf.

Das hat jetzt auch Alexander gemerkt, der mich erschrocken ansieht, während er meinen Puls am Handgelenk fühlt: "Süße, immer mit der Ruhe, was ist denn los?"

Tränen steigen in mir auf: "Das ist alles zu viel. Ich will das nicht, Alexander."

Bevor er mir antwortet dreht sich Alex zu Martin: "Lässt du uns kurz einen Moment allein."

"Ich weiß Süße, das ist wirklich ganz schön viel im Moment. Komm her!", Alexander nimmt mich in den Arm und drückt mich fest an sich. Ich tue das Gleiche und einen Augenblick verharren wir einfach nur so, Arm in Arm.

Dann lässt er los: "War das dein Ernst? Möchtest du das hier wirklich nicht? Ich werde dich zu nichts zwingen, was du nicht möchtest, ich hoffe das weißt du."

"Nein, los miss schon den Blutdruck!", fordere ich ihn auf und halte ihm meinen Arm entgegen, bevor ich es mir doch noch anders überlege.

Nachdem er Blutdruck gemessen hat und das Ergebnis mit einem "Ist okay" quittiert hat, nimmt er meine Hand: "Darf ich dir auch noch ein zweites Mal heute einen Zugang legen, Prinzessin?" Sein Tonfall und sein Blick verraten mir, dass es ihn einige Überwindung kosten wird dieses Mal.

"Ja darfst du", antworte ich ihm leise.

Ich sehe ihm zu, wie er alles vorbereitet und meine Nervosität wächst erneut. Wobei es diesmal eher Angst statt positiver Aufregung ist.

"Leg dich hin!", befiehlt Alexander sanft. Ich tue, was er sagt, woraufhin er mich vorsichtig wieder zudeckt.

Er zieht sich Handschuhe an und pumpt die Manschette etwas auf.

Er nimmt meine Hand in seine. Als er das Desinfektionsmittel auf meine Handrücken sprüht, zucke ich zurück.

"Schhhh, Süße, ganz ruhig, gleich hast du's geschafft."

"Tut mir leid."

"Kein Grund sich zu entschuldigen."

Alexander lässt meine Hand los und nimmt die rosa Braunüle vom Tisch, wo auch der Rest liegt, den er bereits vorbereitet hat.

Er wendet sich wieder mir zu, nimmt meine Hand erneut in seine und sieht mich fragend an, um um Erlaubnis zu bitten.

Ich nicke.

Alexander blickt nach unten und ich spüre, wie sich sein Griff verstärkt. 'Besser so.'

"Tief einatmen Charly!"

Diesmal sehe ich nicht zu, sondern schaue ihm ins Gesicht. Er sieht angespannt aus. Ich beginne einzuatmen und es dauert keine Sekunde, da spüre ich den kleinen Schmerz an meinem Handrücken und zucke leicht zusammen.

Eh ich mich versehe, hat Alexander den Zugang fertig gelegt und die Infusion zum laufen gebracht.

"Darf ich Martin wieder rein bitten?", fragt er während er das Pflaster über den Zugang klebt.

"Ja. Tut mir leid, dass du ihn rausschicken musstest."

Alexander nimmt mir die Blutdruckmanschette ab.

"Er wird Verständnis dafür haben."

Er streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr und dreht sich zur Küchentür um: "Martin, wir sind soweit."

Während Alexander mir das Pulsoxymeter an den Finger steckt kommt Martin zurück und setzt sich wie zuvor ans Fußende des Sofas.

Ich flüstere ihm ein leises "Danke" zu.

Er lächelt mich an: "Gern geschehen. Darf ich anfangen?"

"Ja."

Er nimmt die Spritze vom Tisch, die er beim Reingehen dort abgelegt hat, entfernt den Plastikstopfen und nimmt meine Hand in seine. Vorsichtig setzt er die Spritze auf den Zugang und fängt an die Flüssigkeit ganz langsam zu injizieren.

Ich schaue Hilfesuchend zu Alexander: "Ich hab Angst."

Er beginnt sanft mit dem Daumen über meine linke Hand zu streicheln, die auf meinem Brustkorb liegt.

"Wovor hast du Angst Süße? Es kann nichts passieren. Wir sind beide hier und passen auf dich auf. Atme einfach ruhig und tief ein … und aus…", Alexander spricht mit Pausen, so dass ich ihm mit meinem Atem folgen kann. "Und wieder ein … und aus. Immer weiter so, gut machst du das. Ein … und aus. Langsam merkst du vielleicht schon, dass du etwas ruhiger und entspannter wirst und auch dein Puls sich allmählich wieder beruhigt."

Martin lässt meine Hand los und legt die Spritze beiseite.

"Wenn du schon etwas von der Müdigkeit spürst und deine Augenlider langsam schwer werden, dann schließ einfach die Augen und entspann dich. Es kann sein, dass dir ein wenig schwindelig ist, das ist ganz normal."

Alexander hat Recht, meine Augen werden langsam schwer und mache sie zu, in der Hoffnung, dass dann diesmal keine schlimmen Träume auf mich warten.

"Nimm nochmal ein paar tiefe Atemzüge und beobachte, wie dein Körper immer schwerer wird. Versuche nicht dagegen anzukämpfen. Lass dich einfach fallen, ich bin da. Ein … und wieder aus. Ein … und wieder aus. Sehr gut."

Mein Körper wird immer schwerer und eine bleierne Müdigkeit überkommt mich mehr und mehr.

Alexander fordert mich noch ein paar mal dazu auf tief zu atmen, doch seine Stimme wird immer gedämpfter und es fällt mir immer schwerer seiner Anweisung zu folgen.

Alexander streichelt meine Wange: "Es wird alles gut Charly, vertrau mir."

Das letzte an das ich mich erinnern kann, bevor ich in einen tiefen Schlaf sinke, ist wie Alexander mir einen Kuss auf die Stirn gibt.

- Ende -

Ich würde mich sehr über Feedback, Wünsche oder Anregungen freuen, oder einfach eine persönliche Nachricht, wenn ihr Lust habt euch mit mir auszutauschen.

Ich hoffe von euch zu hören.

Bis zur nächsten Story,

Alea

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Narkosefan Vor 4 Jahre  
Lari Vor 4 Jahre  
Bernd Vor 4 Jahre