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Aufrufe: 1776 Created: 2019.06.17 Updated: 2019.06.17

Die Anzeige

Die Anzeige 1

Diese Geschichte hat einen wahren Ursprung und hat sich vor über 20 Jahren abgespielt, in Zeiten vor dem Internet, da gab es noch in jeder größeren Stadt Stadtmagazine mit Kleinanzeigen, seht selbst:

In einem Stadtmagazin einer anderen Stadt stieß ich auf folgende Anzeige:

Erotik erotisch

Auf dem Tisch

Liebe mich

Vielleicht auch Dich

Für eine Nacht

Wer hätt´s gedacht

Donnerwetter, das hat´s in sich. Wie geil, ich lese es immer und immer wieder. Zu gerne würde ich mehr über den Verfasser der Zeilen wissen.

So schlicht und einfach und unverblümt, fast schon ein bisschen frech.

Was wird sich hinter diesen Zeilen für ein Typ verbergen?

Was passiert, wenn man so etwas schreibt? Welche Reaktionen?

Ich schneide mir den Text aus und lege ihn zusammengefaltet in meinen Geldbeutel, damit ich ihn immer griffbereit habe.

Die Neugierde packte mich, baute den Text etwas um, für mich passend gemacht und stellte ihn in ein Stadtmagazin bei mir in der Nähe ein. Damals gab es noch Stadtmagazine, das war in Zeiten vor Internet, wie auch der Beginn dieser Geschichte, die zum Teil wirklich so passiert ist.

Gespannt war ich, ich konnte es gar nicht abwarten und die Freude war groß, als ich damals den ersten großen Umschlag, unter Chiffre vom Magazin zugeschickt bekam.

Die Resonanz war überwältigend, mit dem ersten Stapel waren bereits an die 50 Zuschriften eingegangen. Ich kann unmöglich alle beantworten, geschweige denn treffen.

Es waren einige gute dabei, ein paar nette, belanglose, es gab freundschaftlich-kameradschaftliche, die mich auf ein Bier einladen wollten und es gab Pärchen, die was Neues ausprobieren wollen und mich treffen wollten. Es gab Dichter und es gab welche, die mir ihr Geschlechtsteil in erregierter Größe als Fettabdruck schickten.

Mutige und weniger Mutige, aber viele interessante.

Ich weihte meinen damaligen Freund und jetzigen Ehemann mit ein, der zwar kein Verständnis für mich aufbrachte, weil ich mit den Männern damit nur spiele und ihnen falsche Hoffnungen machen könnte.

Was solls, ich war jung und ich war neugierig, ich hatte weder böse Absichten dabei, noch ernsthafte Absichten. Ich wollte einfach wissen, was passiert und welche Art an Zuschriften ich dafür bekommen werde.

Ich war nicht auf der Suche und ich hegte auch nicht die Absicht, jemanden Neues kennen zu lernen.

Ein paar der Inserenten, die sich Mühe gaben, antwortete ich, mit ein oder 2 traf ich mich dann tatsächlich auf ein Bier in einer Kneipe.

Ich bekam noch 2x gesammelte Briefe des Verlags zugeschickt und einer stach hervor, der lohnte genauer unter die Lupe genommen zu werden.

Hallo Mädchen,

Dein Interesse an einer interessanten Begegnung spricht mich an. Dein Inserat lohnt eine Erwiderung.

Also, ich bereite sowohl am Freitag, 20.9., als auch am Samstag, 21.9. pünktlich für 20°° ein gutes, toskanisches Essen in einer wunderschönen Umgebung.

Punkt 20°° klingelt die Türglocke und herein trifft ein mir unbekanntes und interessantes Mädchen.

Kommt sie auch wirklich?

Ich will es vorher gar nicht wissen, umso spannender.

Wo Du hinmusst?

Xxx

Stille in mir, da muss ich mich erstmal hinsetzten. Ich lese den Brief nochmal, ich lese ihn immer und immer wieder.

Ich kann das nicht, ich kann das nicht machen, wirre Gedanken schießen mir durch den Kopf.

Meine Fantasie hat Nahrung bekommen, nicht nur positive. Man liest ja soviel.

Gut, ich kenne seinen Namen und ich kenne seine Adresse und ich weiß, was er im bürgerlichen Leben arbeitet.

Kann er so ein Risiko eingehen?

Kann ich das? Jung, blond und unerfahren, zudem auch fest liiert?

Ist das schon fremdgehen?

Sich mit jemanden treffen? Ein Blind Date?

Es ist schon ein Fremdgehen, wenn man auf die Idee kommt, heimlich Inserate zu verfassen, aus welchen Gründen auch immer. Und meine sind aus niedrigen Beweggründen entstanden.

Jetzt tut es mir leid, ich wollte damit niemanden verarschen, weder die, die mir geschrieben haben, denen ich falsche Hoffnungen gemacht habe, noch meinen Freund.

Einfach aus Spaß und Unterhaltung, wie mies ich doch bin.

Ich war mir dessen nicht bewusst, welche Reaktionen ich dadurch auslösen kann und was ist, wenn mir einer gefällt?

Dieser Brief des Unbekannten trifft ins Schwarze, ich finde den Verfasser der dahinter steckt höchst interessant. Oder ist das seine Masche? Weiß er, wie junge Mädels darauf reagieren?

Ich lege ihn weg, in die unterste Schublade meines Nachttischkästchens, aber meine Gedanken kreisen den ganzen Tag und auch die nächsten Tage um nichts anderes, ich kann den Brief nicht vergessen.

Matthias, meinen Freund, sage ich erstmal nichts davon, der hält eh nichts davon.

Nach längeren hin- und her überlegen, bin ich zu dem Entschluss gekommen, ihm abzusagen.

Ich will auch nicht, dass er zuhause sitzt, auf mich wartet, weil ich das ganze ja nicht ernst gemeint habe.

Seine Adresse hat er mir ja mitgeteilt und so ist es ein leichtes, ebenfalls einen Brief zu verfassen, um ihn in höflicher Form abzusagen.

Ich wollte gleich einem weiteren Treffen vorbeugen und so bedurfte es eine Ausrede, in dem ich schrieb, dass nicht ich diese Annonce aufgegeben habe, sondern wahrscheinlich jemand anderes unter meinen Namen.

Für mich war die Sache dann erledigt und die Erinnerung an diese Sache verblasste.

Es verstrichen ein paar Wochen und eines Tages überraschte mich wieder ein Brief in meinem Briefkasten, es war ein Brief von ihm.

Liebe Christiane,

vier Punkte sind es, die mich noch einmal auf Deine Spur ansetzen lassen, bevor Deine Fährte sich endgültig verliert:

Erstens Deine souveräne Reaktion, die hat mich beeindruckt.

Zweitens die einfühlsame Liebenswürdigkeit, mir so schnell zu schreiben, das war nicht selbstverständlich.

Des weiteren, Deine ehrlich geäußerten, inneren Zweifel, vielleicht doch noch auf den anfahrenden Zug in neue Abenteuer aufzuspringen.

Das hat meinem einwöchigen Magenkribbeln neue Impulse gegeben.

Zuletzt gefällt mir Dein Schriftbild.

Ich will nicht aufdringlich sein!

Du sagst klar, dass Du niemanden suchst.

Auch ich suche niemanden, nur Endorphin-Ausschüttung, Spannung.

Dieses mein zweites Schreiben hat also ausschließlich den egoistischen Zweck, meine Spannung zu erhalten, in der Illusion zu verweilen, Du könntest doch eines beliebigen Tages Deiner Stimmung erliegen und aktiv werden und offen für ein unverbindliches kleines Abenteuer.

Um meine Chance dahingehend etwas zu verbessern, erzähle ich Dir noch ein wenig von mir.

Da ich mich mit meinem Beruf nicht sonderlich identifizieren kann, male und schreibe ich, ich bin mehr Künstler in meinem Tun.

Mein letztes Projekt steht in der toskanischen Wildnis, mit eigenen gebauten und designten Möbeln aus Stahlbeton und Treibholz. Daneben beschäftige ich mich mit Politik, Psychologie und Pädagogik.

Meine amourösen Fantasien an Dich sind noch mein kleines Geheimnis. Der Mensch braucht seine kleinen Geheimnisse und Wünsche. Sie allein verhindern die kristallklare Transparenz des Wesens, vermeiden Stillstand und Ödnis in Beziehungen. Forschen und Aufknacken ist der Motor für interessantbleibende Beziehungen.

Für den Fall, Du wirst aktiv und willst mit mir in Kontakt treten, verweise ich Dich an mein Praxistelefon. In dieser Vorfreude lebe ich und Du bist dafür wichtiger als Du denkst.

Ich persönlich habe Zeit, lasse Dir Zeit. Auch Aufdringlichkeit tötet zarte Pflänzchen im Wachsen.

Solltest Du zwischenzeitlich mehr von mir wissen wollen, verweise ich Dich auf meine Lieblingsmusik als intensives Medium zum Kennenlernen:

Djam & Fam. Kauf Dir die CD , hör sie Dir sooft an, bis sie Dir gefllt und achte dann besonders auf das Stück „She left home“, dies bedeutet die absolute Herauszögerung von Lust in allen Dimensionen. Es ist ein celestisches Werk. Wenn Du sinnlich eingestimmt mitgehst, sind wir beide uns schon sehr nahe.

Ich beende dieses Schreiben, hoffe auf Resonanz. Man kann auch zuviel sagen wollen.

PS:

Ich habe dies Vakuum des „ Nicht-Christiane –Wochenendes“ auf meinen Stadtbalkon unter Trauerweiden zugebracht. Meine Gedanken waren bei Dir. Jetzt gehe ich nach drinnen, lege mich genießend aufs Bett im großen Raum mit Ausblick auf die Kneipenecke mit Kerzenlicht und lege Djam & Fam auf und träume von Dir, zögere die Lust heraus bis nahe an den Wahnsinn.

Mein Gott, der Mann ist ja der Wahnsinn! Oder bin ich schon dabei, auf diese, auf seine Masche herein zufallen? In der heutigen Zeit? Von klein auf lernt man, stark zu sein, sich durchzusetzen, nein sagen und dieser Mann zwingt mich zum nachdenken, mein Leben, all meine Ansichten, die ich bisher vertrete zu überdenken, und dass durch einen Mann, der vom Alter her, mein Vater sein könnte. Für mich ist er noch weit weg, nicht greifbar, mir gefällt aber sein Schreibstil und wie er um mich wirbt. Kann dies zur Gewohnheit werden?

Ich kann ihn durch den Briefkontakt auf Abstand halten, kann mich darin sonnen, kann mich in seine Gedanken hineinträumen, aber trotzdem bodenständig bleiben. Wie lange kann ich das noch hinauszögern? Wie lange wird er mitmachen?

Als erstes gehe ich tatsächlich in ein Musikgeschäft und besorge mir die CD, zu neugierig bin ich und einen gewissen Hang zur Musik hab ich ja.

Zuhause angekommen, lege ich die CD gleich ein, wie er mir geschrieben hat, höre ich sie ganz an. Lasse mir ein Vollbad ein, damit ich durch nichts und niemanden abgelenkt werde und lausche der Musik. Es sind Lieder, die den Rhythmus von Sex angeben, ich schließe die Augen und kann es fühlen.

Noch heute schreibe ich Leander, wie er heißt einen Brief zurück. Briefeschreiben schadet nicht. Ich bedanke mich für diesen Tipp, die CD ist magisch.

Auch ich schreibe ihn, wie sehr mir seine Zeilen gefallen, wie sich mich zum Nachdenken anregen, aber ich fühle mich gefesselt in mir selbst, ich kann nicht loslassen, ich kann das Wagnis nicht eingehen, ich bin nicht reif dazu, mich darauf einzulassen.

Es macht mir Angst, mit welcher Redegewandtheit er mich beeindrucken kann, sein Leben – wie ein Märchentraum für ein junges Mädchen wie mich.

Liebe Christiane,

als ich gestern morgen einen Brief ohne Absender in Händen hielt, wusste ich, er ist von Dir.

Ich hätte in diesem Augenblick kein Skalpell mehr halten können.

Unsere Historie hat sich gewandelt. Du, Christiane bist zu einem ganz normalen Mädchen geworden, nicht androgen überfrachtet.

Ich bin mutiert zu einem fast verliebten Fantastiker, die ganz banale Welt hat uns links überholt. Was nun?

Ich habe ein Problem! Noch immer will ich ausprobieren, ob es mir, in meinem Alter mit 50, gelingt, ein ganz normales, 28 Jahre altes Mädchen zu einer vorrübergehenden Verliebtheit mit mir zu verbinden.

Wenn Du, Christiane Dich stark genug fühlst, nicht in einzelpersonenabhängigen Liebesschmachten zu verglühen, sondern einen Neugier-Ausflug in neue Dimensionen Dir vorstellen kannst, dann mache ich Dir folgenden Vorschlag:

Wir schreiben uns. Ich will von Dir noch sehr sehr viel mehr wissen.

Wir machen einen gemeinsamen Urlaub. Z.B. Weihnachten. Wir buchen einen Flug, ein gemeinsames Zimmer. Du brauchst vor mir keine Angst zu haben.

Nur, wenn Du das wirklich aus Überzeugung willst, kommen wir uns körperlich nahe, sonst nicht. Ich bezahle alles.

Wir betreten das Flugzeug, ohne uns vorher gesehen zu haben.

Du hast den Vorteil, einiges von mir durch den Brief zu kennen, ich weiß gar nichts, im Flugzeug werde ich Dich „psychologisch“ eruieren, werde Dich finden.

Wäre dies nicht ein fantastisches Spiel? Eine Woche im langen Leben eines jeden, als Spiel, eine einzigartige Bereicherung?

Was mach ich nur?

Was habe ich nur gemacht, was hab ich mir eingebrockt?

Das Angebot wirkt auf mich sehr verlockend, aber ich hab ja Matthias, was soll ich dem nur sagen? Das geht ja gar nicht und auf der anderen Seite hab ich einen Heidenrespekt vor diesem, erwachsenen Mann und die Situation macht mir Angst.

Was hätte ich zu sagen? Ein Intellektueller, was will er? Er würde sich mit mir nur langweilen. Eine ganze Woche? Ich fühle mich überrumpelt, verunsichert, klein, überfordert.

Und nicht zuletzt macht es mir Angst, wie er phasenweise in den Briefen recht bestimmend, heute sagt man dominant rüberkommt. Ich kann damit nicht umgehen.

Am liebsten würde ich mich verstecken und ganz klein machen und die ganze Korrespondenz ungeschehen machen. Ich kann es aber nicht lassen.

Ich lasse es zunächst dabei und schreibe einen belanglosen Brief zurück.

Es dauert nicht lange und der noch fremde Mann schreibt zurück.

Liebe Christiane,

es ist ein sonniger Montagvormittag. Alle Praxistermine sind abgesagt. Licht flutet mein Bett am Fenster und die Schreibmaschine auf meinen Knien.

She left home von Djam & Fam als Verbindung zu Dir.

Ich verspüre das Bedürfnis alleine zu sein, nur mit Dir.

Natürlich weißt Du, dass es nicht Christiane ist, die ja erst im Entstehen ist in mir und mit mir.

Oh Gott, er lässt nicht locker, er weiß ganz genau, was er tut und mit seinem psychologischen Spürsinn bekommt er mich noch genau da, wo er mich haben will. Wie leicht das doch ist, für einen kultivierten, älteren Gentleman. Etwas Bildung, etwas Künstler und etwas weltoffene Toleranz, alles was mich beeindruckt, aber da gibt es einiges, was mich abschreckt.

Mit meinem letzten Brief bin ich bewusst ein hohes Risiko eingegangen. Ich habe versucht, meine weniger angenehmen Seiten herauszudestillieren und zu personifizieren.

Absicht war, Dir bewusst zu machen, dass ein biologisch 53-jähriger auch autoritär, besserwisserisch und belehrend wirken kann auf ein normales, junges Mädchen.

Heute spreche ich wieder als künstlerischer Mensch, gesamtheitlich.

Warum Christiane?

Weil Du als Frau für mich eine Resource darstellst für Fantasien, Projektionen, Selbsterfahrung und Neugier. Ein näheres gegenseitiges Erleben gibt diese Werte doppelt an Dich zurück.

Ich schaffe Dich in mir, Du wirst immer mehr Christiane, veränderst mein Wesen, mein verändertes Wesen sieht und macht Dich neu und anders. Nicht ich mache Dich, wir bewegen uns gegenseitig.

Diesen gewaltigen Schöpfungsakt will und kann ich nur auf jene historischen Termine begrenzt sehen, z.B. 20.-27. Dezember?

Aus künstlerischer Sicht ist die Vollendung eines Werkes gleichzeitig das Ende von Bewegung, Erregtheit und Kreativität. Ein Kunstwerk ist geboren, neue Gedanken brauchen neuen Stoff.

Auch der historisch, personifizierte Schöpfer hat sein Werk sich selbst überlassen, möglicherweise ist er in Rente, oder trainiert seine Kreativität in anderen Galaxien.

Am Anfang war der Wille, die Idee, am siebten Tag feiern Christiane und Leander ihr gemeinsames glückliches Lächeln, ihre Krönung.

Danach ist nichts mehr so, wie es vorher war. Wir werden zu unseren Lebenspunkten zurückkehren und diese kraftvoll ändern und gestalten.

Wir werden gesünder sein in Seele und Körper und neue Vermächtnisse streuen.

Niemals werd ich etwas tun, was Du nicht willst und mitträgst.

Auf diese Weise liebe ich Dich, die in mir entstehende Christiane.

Ich verspreche Dir absolute Behutsamkeit und Achtung.

Versuche Deine Ängste, Deine Vorbehalte zu überwinden, ich glaube an eine Bereicherung unseres Leben, wo wir den Mut finden, alte, eingefahrene Strukturen in Frage zu stellen.

Selbst wenn ich nach dem Schöpfungsakt verliebt, schmachtend und verstört daraus hervorginge, würde ich meine Familie, meine Lebensmittelpunkte niemals verantwortungslos in Frage stellen. Diese Verantwortung trage ich aber auch für Dich!

Du, Christiane, kannst wählen, ob Dir eine solche Episode im Leben Spaß und Freude bringen würde.

Dein Leander

Nein, das bin nicht ich, ich bin die Falsche für sowas. Es liegen Welten zwischen mir und diesen Leander.

Ich befürchte, er bringt mich spätestens am 2. Tag freiweillig zum Flugzeug zurück.

Ist er nicht ganz dicht, ist er ein Schizo oder mitten in seiner Midlife-Krise?

All das schießt mir momentan durch den Kopf, er will mich testen, er will mich als junges Mädchen ausnehmen, er will mich beeindrucken, er weiß, wie er auf junge Frauen wirkt. Mit all den schönen, blumigen Worten, die gespickt sind mit Intelligenz und Weisheit.

Er schreibt das, was ich gerne hören will, er legt mir Worte in den Mund, an denen ich mich laben kann.

Ich kann daran auch ersticken.

Ich bin jetzt soweit und öffne mich, ich will mich jemanden damit anvertrauen, ich muss mit Jemanden darüber reden, mich beraten lassen, unterstützen bei meinem Vorhaben. Einen stärkenden Rücken hinter mir, an meiner Seite.

Mein Beichtvater, mein Beistand, mein Freund.

Ich atme tief durch, ein tiefer Seufzer entweicht mir unwillkürlich aus den Tiefen meines Innersten.

Zwei Seelen wohnen in meiner Brust,

zum einen, das junge Mädchen, wie ER so schreibt, schüchtern und voller Ehrfurcht für diesen Mann, mit dem ich es nicht länger wie einen Abend aushalten würde.

Auf der anderen Seite ist da etwas in mir, dass mir sagt, tu es. Tu es jetzt, es ist eine einmalige Gelegenheit für Dich.

Es ist das Fünkchen einer Flamme in mir, die leise in mir glimmt. Es ist noch versteckt in mir, mein Anstand erlaubt mir es nicht, es zu zeigen, dazu zu stehen.

Ich bin noch weit davon entfernt, mich zu öffnen, auf das Neue, das Wagnis, dem Unbekannten.

Ich bin nicht fähig dazu, es mir einzugestehen, verwerfe den Gedanken an Leander immer und immer wieder, Er hält mich in seinem Bann, ER weiß, was er tut, im Gegensatz zu mir. In seiner Gesellschaft, die ich noch nicht kennen gelernt hab, fühle ich mich noch klein und unerfahren. In meiner bestehenden und funktionierenden Partnerschaft fühle ich mich als Teil von ihm, partnerschaftlich, als etwas gemeinschaftliches, ein Miteinander wachsen in Geborgenheit und Verlässlichkeit. Ich brauch mich nicht zu verändern, ich muss mich weder verstellen, noch verändern. Ich kann sein, wie ich bin. Ich bin Christiane 28 Jahre.

Ich kann es nicht lassen und ich schreibe ihn wieder, zu sehr gefällt mir der Gedanke, dass ein älterer wohlsituierter Mann gefallen an mir haben könnte. Nicht einer von denen, die man in der Disco oder auf den zahlreichen Festen kennen lernt. Im normalen, realen Leben würde ich so einen gar nicht erst kennen lernen.

Leander bringt es auf den Punkt, in dem er schreibt: „Dieses mein zweites Schreiben hat ausschließlich den egoistischen Zweck, meine Spannung zu erhalten, in der Illusion zu verweilen, Du könntest doch eines beliebigen Tages Deiner Stimmung erliegen und aktiv werden und offen für ein unverbindliches, kleines Abenteuer.“

Immer mehr werde ich den Verdacht nicht los, dass es ihm bereits gelungen ist, er weiß es nur nicht. Meine amourösen Fantasien an ihn sind (noch) ein kleines Geheimnis. Der Mensch braucht seine kleinen Geheimnisse.

Er testet mich, er wartet ab, um immer wieder, nur ein kleines Stückchen in mich vorzudringen. Er übt an mir sein ganzes, psychologisches Wissen und probiert es aus.

Bin ich noch auf Abstandshaltung zu ihm?

Heute Abend werde ich es Matthias beichten, das habe ich mir fest vorgenommen. Ich weiß noch nicht, wie ich damit anfangen soll, wie ich es ihm am besten beibringe.

Das Essen vor mir, die Haare ins Gesicht hängend, nur um ihn nicht dabei anzusehen.

„Du, ich muss Dir was sagen….!?“

„Was denn?“

„Ich hab was unüberlegtes gemacht…“ ich blicke ihn zwischen einzelnen Haarsträhnen an, zum testen, wie seine Mimik ist, ich fahre fort…“Du weißt doch, dass ich ein Inserat aufgegeben hab, nur aus Neugierde, nur weil ich wissen will, wer sich auf sowas meldet und vor allen Dingen wie…(zögernd mit Pause)…naja und einer von den Antworten war höchst spannend gehalten, stell Dir vor, der will mich auf einer Reise kennen lernen. Er will mich einladen, erst am Flughafen werde ich das Ticket, dass er hinterlegt bekommen und erfahren, wohin die Reise geht. Ich weiß aber nicht, was ich davon halten soll. Es könnte auch eine Falle sein, was meinst Du?“

Matthias legt sein Besteck zur Seite, um mir tief in die Augen zu sehen. Ich kann nicht hochgucken, ich kann ihn nicht ansehen.

„Zuerst verarscht Du die Leute und dann machst Du einen Rückzieher? Das kannst Du nicht machen, da musst Du jetzt wohl oder übel durch, die Suppe hast Du Dir selber eingebrockt!“

„Aber…!“

„Nichts aber, Du fährst, vielleicht wird es ja ganz schön, immerhin kostet das nichts für Dich!“

„Aber das kann ich doch nicht machen, was erzähl ich meiner Mutter und was ist mit Dir? Der Typ ist außerdem 25 Jahre älter als ich, ich sag ab, das ist nichts für mich.“

„Quatsch, Deiner Mutter erzählst Du, dass Du mit einer Freundin unterwegs bist und um mich, mach Dir mal keine Gedanken. Ich finde es nur unfair, wenn Du nicht fährst. Zuerst machst Du die Typen an, Du spielst nur mit denen und dann lässt Du sie fallen, so geht das nicht. Zieh einmal was in Deinem Leben durch!“

Seufz!

Den ganzen Abend ist es recht still um mich, ich grüble zuviel nach, sehe mich in 100 verschiedenen Situationen. Sehe mich, wie ich abweisend von ihm wegrücke, werde mich unwohl dabei fühlen, wenn er den Arm um mich legen will, fühle mich mit Sicherheit angespannt und unfrei. Ich bin keine Tussi auf hochhackigen Schuhen, die sich in einem Cabrio neben einen älteren, grauhaarigen Herrn aalt und aushalten lässt, der sich dann jung fühlt, weil er eine junge Blondine neben sich sitzen hat, die vorgibt ihn zu begehren.

Ein älterer Herr, der sich die Gesellschaft mit einer jungen Frau was kosten lässt, so ein Pärchen, dass sich nie zusammen vergnügen würde, wenn ER kein Geld hat. Ich finde das armselig, seiner Jugend nachrennen, die nicht mehr da ist, die Libido abnimmt, das schüttere Haar mühsam überkämmt und die ersten grauen Haare übertönt.

Ich passe da nicht rein in dieses Klischee.

„Denk nicht soviel nach, Christiane!“

Der hat gut reden, wie komme ich nur aus der Nummer raus, auf der anderen Seite ist das natürlich ungeheuer spannend und es gibt wahrscheinlich viele Frauen in meinem Alter, die mich beneiden würden. Ich könnte aber mit niemanden darüber reden, mir wäre das total unangenehm und peinlich. Die würden mich alle für bescheuert halten, was ich da tue. Und nicht zuletzt würden sie Matthias sämtlichen Verstand absprechen, dass er so etwas zulässt.

Sie werden hinter meinen Rücken tuscheln, dass er mich nicht liebt. Sie werden sobald ich im Flugzeug sitze, sich an ihn ranschmeißen und ihn bekochen und Honig ums Maul schmieren und ihn durch die Haare wuscheln und ihn süß dabei anschmachten, ich weiß es!

Ich habe soviel Bedenken! Das größte Hindernis stelle ich selber dar.

Ich kann mir weder vorstellen ihn zu küssen oder ihn anzufassen, geschweige denn Sex haben oder Zärtlichkeiten austauschen.

Vor mir das Bild im gemeinsamen Hotelzimmer, nachts neben mir und sein Versuch, mir mit der Hand irgendwie näher zu kommen. Ich würde kein Auge zumachen, ich weiß es.

Immer bedacht darauf, ihm nicht zu Nahe zu kommen.

Ich hätte zu wenig Gesprächsstoff, kann mich weder über Politik noch Literatur austauschen, geschweige denn höheren, intellektuelleren Themen.

Ich hab nicht mal die passende Kleidung für einen Gentleman.

Ich müsste mich völlig neu einkleiden, das wäre verkleiden. Ich würde mich nicht wohlfühlen in langweiligen Kleidchen oder engen Röcken und Seidenblusen, vielleicht noch das passende Täschchen dazu und die obligatorischen Perlenohrringe. Vielleicht noch eine leichte Strickjacke, passend zum Rock natürlich. Nein, das geht gar nicht.

Ich schreibe mir nun, so wie ich es immer mache, wenn ich vor schwierigen Entscheidungen stehe zwei Spalten auf. Eine Spalte für das PRO und eine Spalte für CONTRA.

Ich mache eine Stoffsammlung, so wie man das früher in der Schule gesagt hat, wenn man vor einer Erörterung steht und das FÜR und WIDER erörtern muss.

Also, ich werde mal damit Anfangen, zuerst das Contra:

  • ich habe einen festen Freund
  • ich liebe meinen Freund undd will ihn weder verletzen noch verlieren
  • ich habe keine passende Garderobe
  • ich habe keine passenden Accessoires
  • ich besitze keine ladylike Handtasche
  • ich habe keine eleganten Schuhe, geschweige denn könnte ich nicht darin laufen
  • ich bin zu skeptisch
  • ich habe Horrorvorstellungen davon
  • ich bin nicht interessiert
  • er ist zu alt
  • alle würde mich für verrückt erklären
  • ich hätte kein Verständnis für mein Vorhaben
  • ich hätte zuviel Schiss
  • ich bin nicht der Typ dazu
  • meine Bildung ist unzureichend
  • will ich das alles überhaupt?

PRO:

-Nervenkitzel

-einmalige Gelegenheit

-wer A sagt muss auch B sagen

-kostenlose Reise

-erweitert mir das den geistigen Horizont

-ich darf mich anders fühlen

-Neues Entdecken und erleben

Hm, irgendwie fällt mir dazu nicht mehr ein, also es überwiegt mal wieder das Contra, aber der erste Punkt von Pro gilt als mehr!

Was mach ich nur? Ich muss nochmals eine Nacht darüber schlafen.

Am nächsten Tag nach der Arbeit, fragt mich Matthias, ob ich mich denn nun schon bei Leander gemeldet habe. Kleinlaut verneine ich dies.

„Du musst! Du darfst ihn nicht zu lange warten lassen! Von mir hast Du wirklich freie Hand, tu es! Vielleicht profitieren wir beide davon, Du kannst was lernen von ihm und das nicht nur sexuell gesehen. Er schreibt ja, Du musst nichts machen, wenn Du nicht willst und er in seiner Position wird einen Teufen tun und Dich zu irgendetwas zwingen, er kann sich das gar nicht erlauben, überleg doch mal! Nimm das Angebot an!“

Oh Gott! Ok ich schreibe ihn, ich werde ihn einen Kompromiss vorschlagen, statt einer Woche nur 3 Tage, anders würde ich das nicht aushalten. Das versteht er bestimmt, wenn ich ihm sage, ich könne nicht länger, weil ich nicht mehr frei bekomme. Was ja auch stimmt, mein Dienstplan steht schon und ich müsste zuviel wegtauschen.

Schon allein, genau diesen Brief zu schreiben, macht es mir so schwer, das ist so endgültig. Bis jetzt war er nur Leander, der mir nette Zeilen schreibt, der ist weit weg, ca. 150 km von meiner Stadt entfernt, ich werde ihn nie über den Weg laufen, im Briefaustausch kann ich ihm alles sagen, da ist man nicht greifbar, da existiert man nicht wirklich, nur ein Phantom, so wie man sich den anderen vorstellt, kann von der Realität völlig abweichen.

Der Gedanke an den Brief lässt mich nicht ruhen, ich fühle mich unter Druck gesetzt, mit dem Vorhaben, wie ein Tier, das zum Schlachter muss.

Wie wird sich Christiane entscheiden?

Am nächsten Tag geht es mir nicht wirklich besser, ich schiebe die Entscheidung, so wie ich es immer tue vor mir her, mache mir selber keinen Gefallen damit, ich weiß.

Jetzt setzt mich auch noch Matthias unter Druck und ich fasse einen Plan.

Ich schnappe mir von Matthias eine Schachtel Zigaretten, schenke mir ein Glas Rotwein ein, aus dem einen Glas werden fünf Gläser, die mein Hirn benebeln.

Jetzt sehe ich das alles viel entspannter und denke mir großspurig, was solls? Wieso lange darüber nachdenken? Das ist doch alles kindisch, so wie ich mich anstelle.

Ich rede mir selber ins Gewissen und dann setze ich mich auch noch selber etwas unter Druck, und zwar so, wie ich es immer mache, wenn ich vor einer heiklen Situation stehe.

Gut, solche Situationen kann ich an einer Hand abzählen, aber ich rede mir ein, dass ich es bereuen werde, wenn ich es nicht tue. Dies hat zumindest schon mal bei mir funktioniert.

Wie damals vor meinem Bungy Sprung. Zuerst war da ein Bild in einer Zeitung für individuelles Reisen, es ging um Neuseeland, ein Foto, dass mich damals spontan angesprochen hat. Da hängt eine Person kopfüber in der Luft, dahinter ein gnadenlos blauer Himmel und links und rechts eine faszinierende Felslandschaft, darunter etwas Wasser und der Mensch baumelt kurz darüber an einem dicken Gummiseil, so dick wie mein Arm, der Mensch ist damit nur an den Fesseln fixiert. Muss ein wahnsinnig tolles Gefühl sein.

Dann der Bericht dazu erst! So beeindruckend, so faszinierend, so groß…ich konnte das richtig nachvollziehen. Dann im Urlaub, in Down under sah ich das wieder auf einem Plakat und ich war gefesselt von der Vorstellung davon. Meiner Reisebegleitung, meine beste Freundin erzählte ich von diesem Bericht und dass wir das unbedingt machen müssen.

Sie zeigte mir nur den Vogel: “Du spinnst wohl!“, das wars fürs erste und sie war es dann, die sich spontan dazu anmeldete, weil alle, die cool waren, und das zählte zu dieser Zeit für uns mit Anfang 20 alles!, ein T-Shirt davon trugen mit Bild und darunter stand:“ I did it!“ ein Must have sozusagen. Ich wie immer, machte einen Rückzieher, der Mut hat mich verlassen.

Etwas neidisch war ich wahrscheinlich auch und bei der nächsten Gelegenheit, die sich bot, meldete ich mich auch an zu diesem waghalsigen Sprung.

Zuerst bekam ich eine Belehrung, Verhaltensmaßregeln, ich wurde gewogen und dann wurden mir Handtücher um meine Fußfesseln gelegt und Klettverschlüsse daran gemacht, diese wurden mit Karabiner nochmals gesichert. Es wurde die Länge des Seiles für mein Gewicht ausgemessen und schon ging es für mich mit einen Kran hinauf auf eine Höhe von 55m. Klares Denken war nicht mehr, ich trug Scheuklappen, ich schaltete alles um mich herum aus. Mir gingen Gedanken durch den Kopf, ich sei nicht ganz richtig, aber entscheidend für mich war kurz vor dem Absprung: „ Du musst das jetzt tun, das ist eine einmalige Gelegenheit, Du bereust es, wenn Du es nicht tust.“

Man muss dazu sagen, in Deutschland gab es das noch nicht, es kannten auch nur wenige und selbst in Australien ist dieser Funsport erst seit kurzem herübergeschwappt, so dass es nur an zwei Orten möglich war, einen Bungee Sprung abzulegen.

Gut, ich stand mit weichen Knien und noch feuchteren Händen auf der Plattform, der nette Guide zählte von 10 abwärts….“five…four…three…two…one…Bungy…JUMP! und ich sprang, „I did it!“ und das nur wegen diesen einen Satzes:“ Du bereust es, wenn Du es nicht tust, es ist eine einmalige Gelegenheit!“ und ich setzte mich hin, mit einem leere weißen Blatt Papier und fing mit Tinte in Schreibschrift an einen Brief zu verfassen.

Lieber Leander,

lange musste ich über Dein verlockendes Angebot nachdenken, ich trage viele Zweifel und Ängste mit mir und hätte ich jetzt nicht bereits 5 Gläser von diesem herrlich süffigen Rotwein intus, würde ich wahrscheinlich immer noch nicht schreiben, oder ich würde zuviel abwägen.

Der Wein macht nicht nur die Zunge locker, nein auch die Gedanken und meine Federführung, meine Hand gleitet mit dem alten Füller wie von selbst über dieses Blatt Papier, sie streichelt das Blatt, ganz sanft. Bin ich besoffen oder bin ich schon high?

Ich werde den Brief auch heute noch abschicken, damit ich es mir nicht wieder anders überlege, ich weiß es. Ich bin der Typ, der dann morgen am liebsten mit dem Arm in den Postkasten kriecht, um den Brief abzufangen. Mein Freund und fester Partner hat mir das ok gegeben, auch ist es er, der mich dazu antreibt, diesen Schritt zu tun, diese einmalige Reise, ich kann davon nur profitieren , wir beide, also ER und ich als Paar.

Du hast mich an meinen wundesten Punkt getroffen und das ist meine allgegenwärtige Sehnsucht, meine Neugier auf eine fremde Welt, auf eine Reise, auch wenn sie nur zwei Flugstunden entfernt ist, ein neuer Ort in anderer Sprache mit fremden, köstlichen Essen.

Du hast mich weich gemacht mit Deinen schönen Worten, Du hast mich eingefangen mit einer Reise wie im Märchen aus 1001 Nacht. Ich fühle mich wie eine Prinzessin, ein Mädchen, dass einen völlig neuen Horizont erleben und kennen lernen darf.

Die Reise kann losgehen, gerne lege ich all mein Vertrauen in Deine Hände und lasse mich mitnehmen, eintauchen in eine neue Welt, von der ich mal für ein paar Tage entfliehen kann, von der ich das Glück habe, davon zu kosten.

Mein Gott, ich bin wirklich high, was schreibe ich denn hier zusammen, verzeih mir bitte, das bin eigentlich nicht ICH!

Im ernst, ich habe mich, muss ich zugeben, zu meinen Entschluss etwas unter Druck gesetzt, ich selber.

Ich möchte Dir aber einen Kompromiss unterbreiten, aus verschiedenen Gründen möchte ich mich aber keine ganze Woche, sondern nur maximal 4 Tage auf diese Reise ins Unbekannte begeben.

Liebe Grüße

Christiane

Ungeduldig gehen die nächsten zwei Tage vorbei, nach der Arbeit fahre ich sofort nach Hause, kann es nicht erwarten und eile zu meinem Briefkasten.

Es ist klar, dass er nicht innerhalb von einem Tag meinen Brief beantworten kann, dennoch denke ich während der Arbeit an nichts anderes mehr und Matthias entgeht das nicht, dass ich geistig abwesend bin und seinen Erzählungen gar nicht richtig folgen kann.

Ich beginne an meinen Fingernägeln zu kauen und Matthias weißt mich darauf hin, dass ich das sein lassen soll, weil es ungepflegt und unappetitlich aussieht. Wie Recht er doch hat!

Am zweiten Tag das gleiche Spiel, ich kann es nicht erwarten von der Arbeit nach Hause zu kommen und meinem Briefkasten zu stürmen.

Wenn ich logisch nachdenke, ist es schier unmöglich in so kurzer Zeit zu antworten, man bedenke die Öffnungszeiten der Post und den Postweg. Vom Internet sind wir noch Jahre entfernt.

So ein Brief, was Geschriebenes mit der eigenen Handschrift hat auch was Romantisches und Endgültiges. Nichts von dem lässt sich auslöschen, es bleibt für immer da, wo es ist.

Auch konnte ich meinen Brief nicht rückgängig machen. Ich konnte ihn nicht löschen, noch konnte ich ihn aus dem Briefkasten der Post wieder herausholen, gnadenlos zum abschicken verurteilt und zum lesen. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kommen mir schon wieder Zweifel hoch.

Am 3. Tag bin ich felsenfest davon überzeugt, dass ein Brief von Leander in meinem Briefkasten liegt. Ich bin mir zu fast 100% sicher, dass er es nicht erwarten kann, Nägel mit Köpfen zu machen.

Als ich am 4. Tag noch immer keine Nachricht von ihm erhielt, bin ich irgendwie erleichtert, ich dachte insgeheim die Sache hätte sich erledigt. Er wollte nur testen, wie eine junge Frau reagiert, ob er in seinem mittleren Alter es schafft bei einer jungen Frau zu landen.

Oder ich hab ihn verärgert, weil ich nur vier Tage mit ihm verreisen wollte.

Vier lange Tage, die mir ein Haufen Kopfzerbrechen bereiten.

Freitag, dem letzten Arbeitstag in der Woche hab ich mich damit abgefunden und beschließe nach der Arbeit nicht sofort nach Hause zu fahren, sondern noch in die Stadt zu gehen.

Ich werde mir doch meine eh schon knappe Freizeit nicht durch warten vermiesen lassen!

Auf der einen Seite bin ich froh darüber, dass es so gekommen ist wie es ist, auf der anderen Seite fühle ich mich aber leicht gekränkt über die stille Abfuhr und dass ich vielleicht einfach nur auf seine schönen Worte eines älteren Gentlemans hereingefallen bin, dass das ein Test war.

Matthias glaubt da nicht daran, er ist sich sicher, dass es Leander ernst mit mir meint, ich aber weigere mich in den Briefkasten zu schauen.

Am Samstag mache ich ebenso einen großen Bogen um meinen Briefkasten, was kann ich denn dafür, dass ich keine Antwort bekomme, rede ich mir ein. Eine gute Ausrede ist das!

Das Wochenende ging relativ ereignislos an mir vorbei, das Wetter ist durchwachsen, abends die üblichen Gesichter und Geschichten der immer gleichen Leute, die keinen blassen Schimmer von all dem haben, was mich derzeit belastet. Außer Matthias konnte ich mich niemanden damit anvertrauen, die hätten mir ja allen möglichen Verstand abgesprochen, also schweige ich darüber lieber.

Samstagabend zuerst in der Kneipe, ein paar Bier lassen mich meine unterschwelligen Gedanken schnell vergessen. Hinterher zu späterer Stunde zum abrocken in unsere Stammdiskothek. Eigentlich ist es keine Diskothek im üblichen Sinne, es ist eine alte Kneipe und ein früherer Tanzsaal dazu, der zum Rockschuppen umfunktioniert wurde, ohne viel Sitzgelegenheiten, eine Bar und in einem Eck der DJ, der nur rockiges, 70er Jahre, Alternativ Rock, Britt Pop und Independent auflegt. Dazu in der Mitte eine Tanzfläche, auf der wild Pogo getanzt wird und jeder jeden anrempelt.

Meine Welt! Eine ganz andere Welt, als die, die mir Leander vorgaukelt, in die er mich verführen will.

Es wird spät ehe wir heimkommen und den Sonntag verschlafen wir den halben Tag, hängen ab im Bett, davor den Fernseher und immer mal wieder einnicken. So geht das immer am Sonntag, wenn nichts besonderes ansteht, oder man bei den Eltern zum Sonntagsbraten eingeladen wird. Gegen abends ist man wieder fit, geht in die Stadt zum Pizzaessen oder auch mal ins Kino, das Wochenende ruhig ausklingen lassen und entspannen, damit man fit ist für die nächste Arbeitswoche.

Am Montag bin ich wieder die alte und mit meinen Gedanken wieder bei mir angekommen und mit mir im reinen.

Matthias besucht mich in meiner Wohnung, er hat einen eigenen Haustür- und Wohnungsschlüssel. Vollbepackt kommt er herein, eine Tüte voll mit Köstlichkeiten für den Abend und im Mund meine Post geklemmt. Ich nehme ihn achtlos, die Briefe aus dem Mund, um ihn frei zu machen, dass ich ihn küssen kann. Meine Post schmeiße ich ohne einen Blick darauf zu verschwenden in eine Ecke. Es sind meist nur Rechnungen und Werbung, nichts Wichtiges, was mich davon abhalten sollte, Matthias die Sachen aus der Hand zu nehmen, damit seine Hände frei dafür sind, mich in den Arm zu nehmen und mich ebenfalls stürmisch und zärtlich zugleich zu küssen.

Matthias reißt sich von mir los und macht sich in der Küche am Herd nützlich. Ich decke den Tisch und er schnippelt den Salat und brät nebenbei die Steaks, die er mitgebracht hat.

Inzwischen räume ich etwas auf, einfach nur um Platz zu schaffen, nehme mir die Briefe und Broschüren zur Hand, die ich vorhin so achtlos in die Ecke geworfen habe.

Eine Einladung in mein Autohaus, die als Werbung für das neue Modell getarnt ist, was ich mir eh nicht leisten kann, immerhin es gäbe ein paar Weißwürste und ein Weißbier umsonst dazu, vielleicht sollte man da doch mal hin. Eine Aufforderung meines Zahnarztes, eine Erinnerung, mal wieder vorbei zu kommen um meine Zähne durchzuschauen und der dritte Brief in handschriftlicher Adresse geschrieben…ich drehe ihn um und lese nur ABS: Leander…

Matthias kommt aus der Küche, „na das Essen ist gleich fertig, Du kannst Dich schon bereit machen, vielleicht noch ein paar Gläser und das Besteck hinstellen.

Schnell lasse ich den Brief unter den anderen Sachen verschwinden und widme mich ganz meinen Schatz.

„Was hast Du denn? Du bist plötzlich so blas und wirkst erschrocken?“

„Nichts!“

„Das glaube ich Dir nicht, hast Du von Leander eine Antwort erhalten?“

„Kann sein, ich hab nicht richtig geguckt, ich will jetzt was essen, hab einen Mordshunger!“

Das Essen zögere ich etwas hinaus und Matthias vergisst tatsächlich nochmals über den Brief zu sprechen und mich daran zu erinnern.

Wir schauen gemeinsam die Nachrichten und dann einen Film und als Matthias beschließt nachts um 22:30 Uhr zurück in seine Wohnung zu fahren, fällt sein Blick auf den heutigen Poststapel.

Ich denke bei mir „raus jetzt bitte, geh“, aber so leicht lässt er sich heute nicht abschütteln. Zum einen ist er neugierig was die Sache mit Leander betrifft, auf der anderen Seite kennt er mich nur allzu gut und weiß, wie ich mich evtl. aus der Sache herauswinden kann.

„Der Brief ist tatsächlich von Leander, mach ihn bitte auf!“

„nee, nicht jetzt, mach ich später!“

„Bitte, tu es für mich, es interessiert mich brennend, was er schreibt!“

„Muss das sein jetzt?“

„Ja, was muss das muss, komm, sonst öffne ich ihn selber und schreibe zurück, dass Du Dir fast in die Hose machst dabei!“

„Ok, ich mach ja schon“, gequält und lange dehne ich diesen Satz in die Länge.

Ich schnappe mir also den Brief, reiße ihn Matthias aus der Hand, der noch immer ungeduldig in meiner Diele steht. Er lässt nicht locker und ich weiß, er würde nicht gehen, bevor ich ihm den Brief laut vorgelesen habe.

Liebe Christiane,

mit zitternden Händen hielt ich am Dienstag Deinen Brief fest, ich habe nicht damit gerechnet, noch einmal etwas von Dir zu hören. Ich befürchtete unsere Spuren verlieren sich von nun an im Sand.

Ich packte ihn sorgsam weg, wollte den Kitzel herauszögern, der mich damit verband, mit einer Antwort von Dir.

Ich lebte in der Hoffnung, dass Du ja sagst zu meinem Angebot und diese Vorstellung wollte ich mir nicht nehmen.

Erst am Mittwoch nahm ich all meinen Mut zusammen und verzog mich in mein Büro vor dem Fenster und schlitzte Deinen Brief vorsichtig auf, um nicht Deine Worte zu zerstören.

Ich dachte, mein Herz setzt aus, als ich von Dir Christiane ein Ja bekam.

Dass Du nur vier Tage Zeit hast, das macht nichts, wir werden die Tage umso intensiver nutzen.

Bitte befinde Dich am 10. November gegen 9:30 Uhr am Münchner Flughafen an einem Lufthansa Schalter ein. Du gehst da hin, nimmst Deinen Reisepass mit und meldest Dich dort mit Deinem Namen, mehr nicht. Erst dann erfährst Du, wohin die Reise geht.

Ich freue mich, dass Du Dich für mich, auch wenn es nur 4 Tage werden, entschieden hast und ich kann die Zeit bis dahin nur schwer erwarten.

In Liebe, Leander

Oh je, jetzt gibt es kein zurück mehr, da muss ich durch.

Matthias freut sich, freut sich für mich und was es auch für uns beide in der Zukunft bedeuten könnte, er wittert mehr, er zieht daraus Vorteile für unsere Partnerschaft, für mich bedeutet das erstmal nur Stress und Bauchkrümmen.

Es ist der Wahnsinn, dieser Plan, mich mit einem wildfremden Menschen auf eine Reise zu begeben, eine Reise ins Ungewisse, sowohl zwischenmenschlich, als auch die Fremde.

Wird es das Haus in der Toskana sein? Oder hat er vielleicht noch irgendwo ein Domizil, das er für solche Zwecke lieber geheim hält?

1000 Gedanken gehen mir dabei durch den Kopf und rauben mir nun jede Nacht den Schlaf.

Matthias versucht mich jeden Tag aufs Neue aufzumuntern, mir Mut zuzusprechen und mich bei Lust und Laune zu halten.

Der Tag rückt immer näher und früh am Morgen bin ich ein nervliches Wrack.

Matthias macht sich über mich lustig und beschwichtigt mich, er versucht andauernd mich abzulenken und mich auf andere Gedanken zu bringen.

„Mensch, freu Dich doch, genieße die Zeit, wer weiß, es kostet Dich keinen Pfennig!“

„Ja, aber jede Menge Nerven und Mut, den ich nicht habe!“

„Schluss jetzt, ich bringe Dich zum Bahnhof, in 4 Tagen sehen wir uns wieder!“

Zum Frühstück bekomme ich gerade mal einen Marmeladentoast runter und einen Kaffee, mehr geht nicht, zu trocken ist mein Mund und Hunger hab ich eh keinen.

Matthias begleitet mich zum Zug, ich komme mir vor, als würde ich auf eine Weltreise müssen und ihn nie mehr sehen oder wie ein Tier auf dem Weg zum Schlachthof. Traurig und alleine gelassen lasse ich meinen Kopf hängen und starre auf meine Schuhspitzen.

Ich kann niemanden ins Gesicht sehen, jeder würde merken, dass etwas mit mir nicht stimmt.

Nun sitze ich im Zug allein mit meinen negativen Gedanken und träume von Flucht. Was würde sein, wenn ich einfach schon vorher aussteigen würde. Man würde mich womöglich polizeilich suchen, Leander, der vergebens auf mich wartet und merkt, dass er die Reise alleine antreten muss und Matthias weil ich wie vom Erdboden verschwunden bin. Ich könnte mich nicht mal in eine Gaststätte wagen oder in ein Hotel einquartieren.

Nein, ich ziehe das jetzt durch, wie war mein Motto gleich nochmal?

WENN ICH DAS NICHT MACHE WERDE ICH ES BEREUEN; DIES IST EINE EINMALIGE GELEGENHEIT!

Also muss ich danach handeln. Um mich etwas herunter zubringen hab ich mir eine Schachtel Light Zigaretten besorgt. Ich zähle mich eigentlich nicht zu den Rauchern, aber es gibt Situationen in denen ich doch mal gern daran inhaliere. Und solch eine Situation hab ich jetzt.

Ziemlich hastig ziehe ich daran und auch den Rauch blase ich zu schnell wieder aus meinen Lungen heraus. Hektisch blättere ich dabei in einer Zeitschrift herum, die ich mir vorhin noch in der Bahnhofsbuchhandlung gekauft habe. Ich blättere ohne dabei zu lesen, was da drin steht, ich kann mich weder auf die Bilder, noch auf die Artikel darin konzentrieren.

Ich rauche die zweite und ich merke, wie mir dabei etwas übel wird, das passiert mir leider immer wenn ich zu schnell rauche, ich bin das nicht gewohnt.

Jetzt hab ich das alles nur noch schlimmer gemacht und ich beschließe im Zug meine Augen etwas zuzumachen, was mir auch gelingt.

In München am Flughafen angekommen geht es mir zum Glück schon wieder besser, aber ich fasse für heute keine Zigarette mehr an.

Ich bin zeitig dran und streife durch die Halle, ich muss mich erst orientieren, hab ja keinen Plan, wo ich hin muss.

Ich nehme Platz in einem Bistro, bestelle mir einen Cappuccino und ein Croissant pur. Ich beobachte die Menschenmenge um mich herum und beäuge jeden einzelnen, älteren Mann, um zu prüfen, ob wohl einer davon Leander sein könnte.

Es ist viel los und viele der Herren sind recht geschäftigt mit ihren dunklen Anzügen und den Aktenkoffern in der Hand, den modischen Trench lässig unter dem Arm geklemmt oder leger über die Schulter gehängt. Es lenkt mich ab.

Es ist nun Zeit, mir einen Lufthansaschalter zu suchen, da ich aber noch nicht mal weiß, ob die Reise ins südliche Europa geht oder in eine andere Richtung, bin ich mir nicht sicher, an welchen Schalter ich mich einfinden soll.

Ich versuche es am erstbesten und nenne meinen Namen und erkläre der netten Dame am Schalter, dass wohl ein Ticket unter meinen Namen hinterlegt worden ist.

Sie lächelt mich an und tut recht geheimnisvoll, „Moment, ich werde mal nachsehen…“.

Die Ungewissheit ist für mich schier unerträglich, die Angestellte in konservativen, marineblauem Kostüm schiebt mir freudig die Bordkarte herüber.

Auf der Karte stehen nur meine Sitzplatznummer, meine Abflugzeit, mein Boardingtime und welches Gate. Ich kann nicht sehen, wohin die Reise geht.

„Ach Entschuldigung, wo steht denn das Ziel?“

Die Dame lacht, „na da will Sie ja Jemand überraschen. Da steht ein Hinweis dazu drauf, deshalb ist das für Sie nur verschlüsselt einsehbar, sie werden es am Gate erfahren. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Zeit!“

Der Flughafen ist verwirrend und ich brauche mindestens eine halbe Stunde bis ich meinen richtigen Ausgang gefunden habe. Kein Wunder also, dass man mindestens zwei Stunden vor Abflug am Flughafen sein soll.

Nun stehe ich da, ratlos mit meiner Bordkarte in der Hand studiere ich die Abflugtafel mit den Zeiten und suche die Flugnummer. Hier ist alles eine Nummer zu groß und zuviel, nicht so, wie ich es von den kleineren Provinzflughäfen her kenne.

Ich finde die Flugnummer nicht, nach ein paar Minuten merke ich, dass sich die Abflugtafel automatisch ändert, und es zuviel wäre, darum wechselt das wohl.

Doch, jetzt ich vergleiche nochmals, IBZ Eivissa.

Im ersten Moment muss ich überlegen, doch ich bin mir dann ziemlich sicher, dass das Ziel Ibiza sein wird.

Der Abflugbereich ist natürlich nicht so groß, wie bei Maschinen die nach New York fliegen, also überschaubar, trotz allem sitzen schon viele Leute auf ihren unbequemen Sitzen aus Hartplastik und blättern gelangweilt in Zeitschriften oder dösen mit halb geschlossenen Lidern vor sich hin. Ein paar Kinder rennen herum, um sich die Zeit bis zum Abflug zu vertreiben. Sicherlich sind sie von ihren Eltern dazu aufgefordert worden, sich noch etwas zu bewegen, denn im Flugzeug müssen sie still sitzen und angeschnallt werden.

Es ist Ferienzeit in Deutschland und anderswo in Europa, deshalb herrscht auch ziemliches Gewusel, aber ein alleinreisender Herr ist mir nun hier in der Ecke des Wartebereiches noch nicht aufgefallen.

Ich beobachte die Menschen und stelle für mich Sozialstudien auf. Wo mögen sie herkommen, was wird ihr Ziel sein? Sind es Deutsche, die dort Urlaub machen, oder nach Hause fliegen. Sind es Familien oder junge Paare, die den ersten gemeinsamen Urlaub vor sich haben und turteln, während um ihnen herum gestritten, gelacht und geschimpft wird?

Sind es Spanier auf der Heimreise von der Arbeit, zu Familenbesuchen oder zu Trauerfällen? In den Gesichtern kann man viel lesen, wenn man sich die Zeit dafür nimmt und die Muse hat.

Ich habe alle Zeit der Welt, aber einer, der Leander sein könnte, sehe ich nicht.

Ich hab ein bestimmtes Bild von mir im Kopf, graues, schütteres Haar, grau oder in anderen dezenten Farben,aber gut gekleidet. Ich hab mein bestes gegeben, was mein Kleiderschrank für diese Jahreszeit hergibt. Eine dunkle, enge Jeans, hochgekrempelt auf 7/8 Länge, darunter schwarze Stiefel im Reiterstil, meine besten Teile in Echtleder! eine weiße, weite Bluse, fast schon ein Hemd, lässig mit einem breiten Gürtel in der Taille gehalten. Die Haare frisch geschnitten, leicht geschminkt und die Nägel natürlich gehalten.

Neben mir eine junge Familie mit schreiendem Kleinkind, ich hoffe, dass die im Flieger nicht hinter oder neben mir sitzen. Allzu gerne würde ich ihnen raten mit dem Kind noch etwas herum zu rennen, austoben lassen bis zur Erschöpfung, damit es gleich nach dem Start einschläft, ich traue mich aber nicht, mich einzumischen, es steht mir auch gar nicht zu. Man macht sich halt nur seine Gedanken…

Zwei Stewardessen erscheinen vor der Glastür und rufen hinter ihrem Pult auf, dass man sich nun anstellen dürfe, zuerst die Reihen 19 bis 32, Familien mit Kinder zuerst.

Gott sei Dank, ich hoffe, im Flugzeug noch etwas Schlaf nachholen zu können, aber vor lauter Aufregung wird mir das nicht gelingen, ich weiß es.

Nach etwa einer viertel Stunde schäle ich mich aus meinem runden Hartschalensitz und begebe mich zum Ausgang, den Pass und meine Bordkarte in der Hand.

Im letzten Moment überkommen mir nochmals Zweifel, was tun, wenn ich dort alleine aussteige und mich keiner erwartet? Wenn ihm unterwegs etwas zugestoßen ist oder wenn ich das falsche Flugzeug genommen habe, dass ein Irrtum, ein Druckfehler vorlag? Nicht auszudenken.

Ich suche, wie alle anderen auch, die ratlos im Gang herumstehen und den Zugang zu den Plätzen blockieren, nach meinem Sitzplatz. Ich vergesse dabei ganz auf die anderen Passagiere zu achten, insbesondere auf alleinreisende Männer. Man weiß aber auch nie so ganz, wer zu wem gehört.

Ich entdecke meinen Sitzplatz am Fenster und neben mir ein Mann etwa Mitte 30, das kann er unmöglich sein, er unterhält sich mit einer Frau auf der anderen Gangseite, zu der auch zwei Kinder gehören. Aha, eine Familie in den Weihnachtsferien.

Ich war mir eigentlich sicher, dass Leander einen Platz neben mir für sich reserviert hat.

Bin ich wohl doch alleine? Muss ich sehen, wohin ich gehen soll auf Ibiza?

Gedanklich male ich mir sämtliche Situationen im Kopf aus. Ich nehme die Bordzeitung, die Stewardess geht noch durch die Reihen um zu überprüfen, ob wir alle angeschnallt sind, verstaut die restlichen Taschen der Leute, die nicht wissen wohin. Wir bekommen noch die üblichen Verhaltensmaßregeln gezeigt, im Falle eines Druckabfalls in der Kabine etc.

Und schon rollt das Flugzeug langsam über die Startbahn und dreht seine Kurven. Es ist immer wieder spannend für mich, wenn das Flugzeug nach dem langsamen rollen binnen Sekunden beschleunigt und durch die Ansage ein „We are ready to take off“ gesprochen wird.

Dieses unbeschreiblich tolle Gefühl, wie sich das Flugzeug steil nach oben kämpft und die Häuser und die Landschaften unter mir immer kleiner werden, einzelne Wölkchen trüben die Aussicht und dann das schwerelose dahin gleiten des großen Vogels.

Völlig in Gedanken versunken bin ich während ich beobachte, wie unter mir alles kleiner wird und dann ganz unter den Wolken verschwindet. Ich werde abgelenkt, bekomme durch meinem Hintermann, den ich bis jetzt noch gar nicht wahrgenommen habe, Kopfhörer aufgesetzt und ich höre „She left home“ von Djam&Fam, da weiß ich, wer hinter mir sitzt. Mein Herz setzt aus!

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Sister O Vor 1 Jahr  
JSaSa7571 Vor 1 Jahr 1  
Sister O Vor 5 Jahre 1  
Jupiter Vor 5 Jahre 1  
Lari Vor 5 Jahre 1