Anne, Laura und der Doc
Frauen und Männer in Paris (Kapitel 9)
Laura musste Yves immerzu anschauen. Wie magisch wurden ihre Augen von ihm angezogen. Er hatte ein schmales Gesicht mit einem rot-blonden sorgfältig gestutzten Vollbart. Seine dunkelblonden Haare war kurz und verdeckten kaum die Geheimratsecken. Ihr Ex-Freund hatte kaum Bartwuchs gehabt und sie fragte sich wie es sich wohl anfühlen würde, wenn er mit seinem Bart ihr Gesicht berühren würde…
Yves hatte erzählt, dass er Medizin studierte und Chirurg werde wollte.
„Dann braucht sich Deine Freundin keine Sorgen zu machen. Falls sie eine Blinddarmentzündung bekommt, kannst Du sie operieren. Es ist nämlich für eine Frau angenehmer, wenn der eigene Freund oder Mann die Untersuchungen durchführt und operiert.“
„Meinst du?“ Yves wirkte etwas verlegen.
„Wenn Du wüsstest, was Frauen alles im Namen der Medizin über sich ergehen lassen müssen. Da bleibt nichts mehr von der Privatsphäre übrig.“
„Ich weiß.“ sagte Yves und es schien Laura als hätte sein Gesicht eine leichte Röte bekommen.
„Frauen, deren Ehemänner Gynäkologen sind, konnten sich einiges ersparen.“ meinte Laura und dachte an die Termine bei ihrem Gynäkologen.
‚War Yves rot geworden? Oh mein Gott! Was rede ich da nur?‘ dachte Laura und war peinlich berührt.
„Bitte entschuldige, davon sollte ich lieber nicht reden.“ sagte Laura.
„Du hast recht.“ Yves schaute verlegen zur Seite und holte dann tief Luft. „Ich wollte erst Gynäkologe werden. Aber als ich im Praktikum gesehen habe, wie…“ Yves verstummte.
„Aber wenn es mehr Ärzte wie Dich gäbe, hätte Frauen viel weniger Probleme.“ meinte Laura.
Ein Lächeln huschte über Yves Gesicht.„Noch bin ich kein Arzt. Eine Freundin habe ich übrigens nicht.“
Anne hätte fast gelacht als sie den Gesichtsausdruck ihres Freundes sah. Sie erzählte ihm von Yves Martin. Viel war es zwar nicht, was sie über den jungen Mann wusste, aber Daniel Castigo hörte ihr sehr aufmerksam zu.
Am Abend hatten Daniel und Anne im Restaurant des Hotels ein vorzügliches Mahl zu sich genommen und waren jetzt auf dem Weg zu ihren Zimmern, die einander fast gegenüber lagen. Als Daniel an seinem Zimmer angelangt war und mit der Schlüsselkarte die Tür öffnete, fragte Anne „Hast Du sie eigentlich gynäkologisch untersucht?“
„Was?“
„Letzte Nacht in der Klinik wurde Laura doch mit Sicherheit auch gynäkologisch untersucht. Meines Wissens ist das obligatorisch bei Verdacht auf Blinddarmentzündung.“
Zögerlich nickte Daniel, sagte dann aber wütend „Sie hat die Ärztin angeschrien. Die dusselige Kuh hat Laura so grob behandelt, dass es kein Wunder war, dass sie sich von ihr nicht auf dem Gyn-Stuhl untersuchen lassen wollte!“
Anne legte Daniel beruhigend die Hand auf den Arm und sagte „Ich weiß es zwar nicht aus eigener Erfahrung, aber es war sicher besser für Laura, dass Du sie untersucht hast.“
Mit einem Lächeln wünschte Anne ihrem Freund eine gute Nacht, schloss ihre Tür auf und verschwand in ihrem Zimmer.
,Fluch und Segen‘ dachte Anne als sie in ihrem Bett lag. Eine gynäkologische Untersuchung bei einem Arzt, dem jegliches Einfühlungsvermögen fehlte, konnte eine Tortur sein. Bis sie Michael begegnet war, waren ihr solche Untersuchungen verhasst gewesen. Vor sechs Jahren, als sie nach Heidelberg gezogen war, musste sie sich einen neuen Gynäkologen suchen. Ihr neuer Hausarzt hatte ihr Dr. med. Michael Bergmann empfohlen. Sie hatte sich bei Dr. Bergmann einen Termin geben lassen und hatte es nicht bereut. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl gehabt bei einem Arzt gut aufgehoben zu sein. Er hörte zu, nahm sie und ihre Beschwerden und Anliegen ernst und vor allem er tat ihr nicht weh. Sie konnte sich vollkommen entspannen. Wie Dr. Bergmann sie dazu brachte, wusste sie nicht, aber es wirkte. Seitdem hatte sie nie wieder Schmerzen bei diesen Untersuchungen gehabt. Ein halbes Jahr später waren Michael und sie ein Paar geworden.
Daniel Castigo schaute sich noch mal die Fotos von Tommy an, die ihm seine Nachbarin per WhatsApp geschickt hatte. Tommy wirkte ausgeglichen und zufrieden. Er wusste, dass sein Hund sich bei der alten Dame, die in der Wohnung neben ihm lebte, wohl fühlte und er es gut bei ihr hatte. Daniel war froh eine so liebenswürdige und tierliebe Frau als Nachbarin zu haben. Dann legte er das Smartphone auf den Nachttisch zurück und versuchte wieder einzuschlafen. Seit einer Stunde war er wach. Es waren weniger Sorgen als vielmehr Gedanken, die ihn nicht schlafen ließen. Um Laura machte er sich im Moment keine Sorgen. Sie wurde im besten Krankenhaus von Paris medizinisch hervorragend behandelt und war auf dem Wege der Besserung. Aber seine Gedanken zogen ihn immer wieder zu Anne. Anne war die langjährige Partnerin eines seiner besten Freunde gewesen. Es wäre Daniel nie in den Sinn gekommen etwas mit ihr anzufangen. Natürlich nicht, er würde niemals einen Freund hintergehen und ihm die Freundin ausspannen. Aber nun war Anne frei. Michael hatte mit einer Patientin, die zehn Jahre jünger war als Anne, ein Verhältnis begonnen und daran war die Beziehung zwischen Anne und Michael zerbrochen. Er hatte bis heute nicht verstanden wie Michael durch eine Affäre mit einer anderen Frau die Beziehung zu Anne hatte zerstören können. Michaels neue Freundin war ihm nicht sympathisch und vielleicht war er deswegen ungerecht, aber wie hatte Michael freiwillig diese Frau wählen und Anne zum Teufel jagen können? Anne hatte eine Persönlichkeit, die etwas besonderes war. Sie war eine kluge und erfolgreiche Geschäftsfrau und hatte mit viel Geschick und Hartnäckigkeit eine Modelagentur aufgebaut, die in der Branche einen Namen hatte. Anne hatte sich aber immer ihre Menschlichkeit bewahrt und nicht alles mitgemacht, was diese knallharte Branche den Models teilweise antat. Diese abgemagerten jungen Frauen, die eine Zeit lang auf jedem Laufsteg und in jedem Hochglanzmagazin zu sehen gewesen waren, hatten deutlich gezeigt, dass der Branche die Gesundheit ihrer Models und der vielen jungen Frauen und Mädchen, die sich in den Medien mit diesen Schönheitsidealen konfrontiert sahen, gleichgültig war. Anne hatte ihre Nische gefunden und gezeigt, das Erfolg und Menschlichkeit in der Modebranche sehr wohl vereinbar waren. Und wenn er ehrlich war, gefiel ihm nicht nur Annes Persönlichkeit sehr, sondern auch ihr femininer Körper. Michael musste in letzter Zeit wirklich Tomaten auf den Augen gehabt haben. Anne war einfach wunderschön.