Sonntagnachmittagsfieber. Mutter ging meistens mit mir, wenn es das Wetter erlaubte, in die Stadt. Es war das besondere Flair der 50er, welches bei den Leuten nach dem Verzicht auf Grund der Kriegsfolgen mit ansprechenden Schaufensterdekorationen wieder vermehrt Wünsche anregte, ihnen moderne Produkte für den täglichen Gebrauch und natürlich die ersten Luxusartikel präsentierte.
Das sich entwickelnde Wirtschaftswunder wurde auch im Straßenbild sichtbar. Man flanierte wieder gut gekleidet und sorgsam gepflegt um damit den eigenen, steigenden Lebensstandard nach außen hin zum Ausdruck zu bringen.
Was mich betraf, hatte Mutter immer sehr viel Geduld, wenn ich mir zum Beispiel die Nase an Schaufenstern von Spielzeugeisenbahn-Geschäften platt drückte. Setzt man nun aber Zeitspanne in Relation zu „sehr viel Geduld“, wird schnell der subjektiv empfundene Dehnungseffekt deutlich.
Mutters „sehr viel(e) Geduld“ verkürzte sich nämlich, auf ein - gefühltes - ernüchterndes Maß reduziert, wenn wir vor den Auslagen von Drogerien und Sanitätshäusern halt machten. War es doch nicht nur meine Neugierde, sondern vornehmlich die prickelnde, innere Erregung bei der heimlichen Betrachtung der ausgestellten Klistierspritzen in mehreren Größen und Ausführungen, den Irrigatoren in verschiedenen Materialien und Volumen, die Darmrohre und Irrigator-Ersatzschläuche aus rotem Gummi, die großen Frauenduschen mit ihren aufgesteckten Glocken, neben denen meist noch der zugehörige Karton mit der informativen Aufschrift „Frauendusche mit Vaginal- und Klistierrohr“ prangte?
Selbst Marketing und Werbung wurden damals eingesetzt: Es gab Gummispritzen, welche auf der Seite in schwarzer Farbe aufgedruckte Werbelogos der Handelsunternehmen für Klinikbedarf trugen. Ja, selbst der Gartengerätehandel zeigte und verkaufte rote Gummibälle mit Brause zum Blumengießen (Tante Johanna besaß solch einen und ich sah ihr selbst dann mit innerer Erregung zu, wenn sie die Spritze hin und wieder von schmatzendem Geräusch einsaugender Luft begleitet, füllte und ausdrückte, wenn auch lediglich um Pflanzen zu gießen. Dann waren da ja auch noch bei Friseuren die verchromten Wasserbehälter (Zerstäuber) mit rotem Gummischlauch und Luftball zum Anfeuchten der Haare sowie die roten Puderbällchen auf der Spiegelablage.
Im Voyeurismus gefangene, klysmaphile Seele, was willst du noch mehr?
Warum war meine Begeisterung für den Anblick dieser verehrten Heiligtümer mein bestgehütetes Geheimnis, welches ich der Mutter, der Tante und/oder anderen Menschen in meinem Umfeld um jeden Preis vorenthielt? Welche Reaktionen befürchtete ich? War es Scham? War es der buchstäbliche, im Titel als Frage formulierte, gewisse Voyeurismus, der sich auf bestimmte Fetische fokussierte? Waren es echte Fetische?
Mutter betrachtete diese speziellen Ausstellungsstücke wie jeden anderen Gebrauchsgegenstand mit nüchternem Blick, wie ich aus den Augenwinkeln beobachtete. Seltsam, ich fühlte jedes Mal einen leichten Anflug von Trennungsschmerz, wenn sie Anstalten machte weiterzugehen. Was blieb, war die schwärmerische Traumvorstellung, welche Frauen wohl diese Dekorationen aufgebaut hatten, von welchen diese eindrucksvollen Ausstellungsstücke wohl eines Tages benutzt würden und ob diese, vielleicht günstigstenfalls, sogar eine, mit meinem heimlichen Wunschtraum konforme, gewisse Dominanz ausstrahlten.
Eines Montags fuhr ich sogar alleine als etwa 7jähriger nach einem der sonntäglichen Ausflüge mit der Straßenbahn wieder in einen Vorort, den wir am Tag davor besucht hatten. Die Drogerie, die ich dort aufsuchte, lag etwas abseits von den übrigen Geschäften, weshalb Mutter am Vortag mit mir mangels Interesse an der Auslage vorbeiging, ohne stehen zu bleiben. Ich hatte allerdings flüchtig eine üppig ausgebreitete Klistiergeräte-Dekoration entdeckt. Die habe ich dann während meiner Entdeckungsreise in Ruhe ausgiebig und ohne Zeitdruck inspiziert. Insbesondere faszinierte mich eine Frauendusche (ich wusste in dem Alter natürlich noch nicht wozu sie überhaupt verwendet wurde) mit einem glänzend verchromten Rohr. (Was es früher so alles gab…!)
Und was es erst recht alles in dem damals hin und wieder auf den Jahrmärkten im Rahmen einer medizinischen Info-Aktion stehenden LKW-Kofferauflieger des Roten Kreuzes unter vielem anderem an zeitgenössischen Klistier- und Einlaufgeräten köstlich zu betrachten gab! Und dazu die anwesenden, uniformierten Schwestern und Pflegerinnen, die sich damals selbstverständlich noch in weiß/hellblau feingestreiften, knielangen Kitteln, weißer Trägerschürze, gestärktem Häubchen und der obligatorischen Kragenschließe präsentierten und nicht wie heutzutage, in unerotischen, rustikal anmutenden Hampelmannanzügen und klobigen Schuhen auftraten, die dem Design nach eher einem Stahlkocher am Hochofen zuzuordnen wären.
Sie gaben geduldig auf alle rund um das Thema Klistier und Einlauf gestellten Fragen freundliche und ausführliche Erläuterungen. Ich selbst wagte nicht zu fragen, ohne zu riskieren rot zu werden, hörte aber gespannt zu, wenn die als Besucherinnen gekommenen Damen ihre teilweise einfältigen Fragen, wie „Sind die modernen Abführmittel jetzt Einläufen vorzuziehen?“ flöteten, oder aber anderen, die sich um seriösere Erkundigungen nach Funktion und Anwendungsformen der recht unterschiedlichen, mehr oder weniger bizarren Instrumente bemühten.
Da der Eintritt während der ganzen Kirmestage kostenlos war, führte mich täglich nach den Hausaufgaben mein erster Weg dorthin und ich hatte umsichtig damit zu tun, halbwegs zu vermeiden, auf Dauer mit meinem ausgeprägten Faible für die präsentierten Kleinode aufzufallen.
Nicht zuletzt seien noch die klammheimlichen Inspektionen von Arznei-, Badezimmer- und Toilettenschränkchen bei jeder sich bietenden Gelegenheit erwähnt, die vielleicht den ersehnten Aufschluss über den Gebrauch von Klistier- und/oder Einlaufgerätschaften durch die Besitzerinnen bestätigt würden. In einer Anzahl von Fällen wurde diese Erwartung, sogar bis auf den heutigen Tag von Erfolg gekrönt.
Früher boten sich darüber hinaus auch vielerorts ärztliche Sprechzimmer, Badezimmer in Krankenhäusern und einschlägigen Anstalten zu visuellen Entdeckungsreisen förmlich an.
Ich bin gespannt darauf, wer ähnliche Erfahrungen gemacht hat und im Laufe der Zeit im Gegensatz zu mir, schlüssige Antworten auf diese, wie ich meine, tiefgründigen Fragen finden konnte!
Ciao