Bei mir ging es auch schon recht früh los.
Eine Erinnerung ist, dass ich so mit 5 oder 6 (ich war noch nicht in der Schule) ein Apothekenposter hatte, wo hinten Infos zum Herzen drauf waren. Eingentlich war das auch ehr Zufall, denn dieses Poster hing bei mir an der Zimmertür und eines Tages löste sich eine Ecke. Ich war einfach neugierig und löste es weiter ab und sah dann plötzlich, dass da das Thema Herz behandelt wurde.
Ich hatte ja schon im Kindergarten eine Zeit vorher mal so eine kleine Erfahrung gemacht, dass ich mit einer Freundin in einem Buch blätterte und da war auch das Herz drin. Sie fragte mich, was das sei und ich sagte, dass ich es nicht wüsste (ich wusste es aber, aber ich hab mich nicht getraut das "heilige Wort" auszusprechen 😄 ) Sie lief dann zur Erzieherin im Nebenraum und fragte nach, als sie zurück kam hab ich sie natürlich gefragt, was es sei und sie sagte "ein Herz". Ich war da schon fasziniert... und als sie es so ganz selbstverständlich sagte, sog ich ihre Wörter in mich rein. Für mich war es da schon etwas Besonderes, woher das aber zu dem Zeitpunkt schon kam, erinnere ich leider nicht.
Ok, zurück zum Poster 😉
Ich machte das Poster also vorsichtig ab; es war abends und ich sollte eigentlich schlafen gehen. Aber als ich dann sah, was ich sah, hatte ich erstmal Wichtigeres zu tun als zu schlafen. Ich musste mir alles genauestens angucken und durchlesen (ich konnte schon vor der Grundschule ganz gut lesen; zumindest Druckbuchstaben). Ich war so gefangen von diesem Thema, ich glaube ich habe da am ersten Abend bestimmt eine Stunde vor dem Poster gesessen und immer wieder alles durchgelesen und angeguckt. Es war einfach so faszinierend... unglaublich!
Und so kam es, dass ich dieses Poster für mich an die Seite legte, immer schön ordentlich zugeklappt, damit man auch ja nicht mein Geheimnis sehen konnte. Ich wollte es nur für mich; meine Eltern sollten davon nichts wissen.
Jeden Abend vorm Schlafen gehen, klappte ich die entsprechende Seite auf und las mir immer wieder alles durch und schaute mir das Bild an. Ich hatte viele Abende, an denen ich schlafen sollte, es dann aber nicht konnte. Es war so spannend und aufregend.. und ich spürte da auch mein eigenes Herz immer wieder laut klopfen. Ich habe dann auch immer wieder gefühlt; es war einfach toll.
Später dann kam ich auf die Idee, mir ein Stethoskop zu basteln. Einfach aus einem Gürtel von meinem Bademantel (rot). Natürlich funktionierte es nicht, aber ich konnte damit meine Stofftiere "abhören" und mir selber das geknotete Ende auf meine Brust drücken und mir vorstellen, ich wäre beim Arzt. Das war immer das Schönste für mich.
Ein riesiger Traum war es natürlich ein echtes Stethoskop zu haben, aber ich traute mich nicht, es jemandem zu erzählen.
Im Gegenzug dazu war es aber auch total irre, wenn ich wirklich mal zum Arzt musste und abgehört werden sollte. Da war mir das einerseits total unangenehm und andererseits total toll und aufregend.
Es war schön zu wissen, dass jemand mein Herz hört und genau weiss, was in mir vor sich geht. Der Arzt hat ziemlich sicher gemerkt, dass ich aufgeregt war, denn das war ich- sehr sogar! Ich hatte irgendwie die Sorge, dass er meine Gedanken lesen konnte und wusste, warum ich aufgeregt bin und dass er es vllt auch plötzlich sagen würde.
Also es war ein echter Mix aus Freude und Angst.
Beim Abhören der Lungen habe ich mich nie getraut tief zu atmen... es war mir total peinlich. Und gleichzeitig war es aber auch einfach nur schön.
Es ging über die ganzen Jahre so. Wenn z. B. mal im TV ein Film kam, wo jemand abgehört wurde... das war sooo toll, andererseits war da aber auch wieder diese seltsame Angst, dass meine Eltern (wir saßen ja oft zusammen vor dem TV) auch meine Gedanken lesen könnten, obwohl ich ja eigentlich wusste, dass das nicht geht.
Ich habe mich als Kind auch oft über die Lexika meiner Eltern (auch heimlich) und meiner Großeltern her gemacht, um nach dem Thema Herz zu suchen. Mit Internet war ja noch nichts in den 80ern, also musste man das nehmen, was da war.
Als dann die Sommerferien kamen und ich in die 5. Klasse, also auch eine neue Schule kommen sollte, mussten meine Eltern einige Schulbücher kaufen und es war auch ein Biologiebuch dabei. Als es da war, habe ich es mir sofort geschnappt, bin damit auf mein Zimmer und hab erstmal geguckt, ob sich das Buch für mich lohnt 😄
Und das tat es. Ich hatte die ganzen Sommerferien immer wieder damit verbracht das Herzthema (aber auch andere Themen vom menschlichen Körper) durchzulesen.
Dieses Thema riss nie ab bei mir. Bis heute nicht.
Aber mich zu trauen, mich auch vor mir selbst zu outen, also so richtig, das musste echt so lange warten.
Ich kaufte mir mein erstes, eigenes Stethoskop zwar schon vor ein paar Jahren, aber ich hab es immer nur schnell und "heimlich" benutzt.
Seit diesem Jahr hängen meine beiden Stethis ganz offen an meiner Schlafzimmertür und ich nutze sie sehr regelmäßig und ausgiebig.
Es ist doch schon echt viel schöner, wenn man es einfach ausleben kann.