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Aufrufe: 299 Created: Vor 2 Monate Updated: Vor 2 Monate

Auf Abschlussfahrt

Der Schmerz

“Ahh”- schmerzverzerrt greift sich Julia an die linke Wange und schaut auf den Schoko- Nuss- Cookie, in den sie gerade genüsslich gebissen hatte.

Mira und Antonia, die gerade miteinander am Handy gekichert hatten, schauten auf. “Alles klar?”, fragt Mira.

Ein ziehender Schmerz schießt durch ihren Backenzahn. Ausgerechnet der Zahn mit der alten Füllung, die die Zahnärztin beim letzten Mal erneuern wollte- und zu der Julia daraufhin nicht mehr gegangen war. Zu heftig war die Erinnerung an den Termin, an dem der Zahn damals zum ersten Mal aufgebohrt wurde. Mit der Zunge tastet sie die Zahnreihe ab. Und wirklich- dort wo sonst der Zahn mit der großen Füllung war, fiel sie mit der Zunge in einen Krater. Der halbe Zahn war weg. Panik wallte durch ihren ganzen Körper. Und das musste ausgerechnet auf Abschlussfahrt passieren!

“Mist! Ich glaube mit ist ein Stück Zahn abgebrochen”, sagt sie kleinlaut zu ihren Mitbewohnerinnen. “Echt jetzt? Ist ja voll eklig. Lass mal sehen”. Mira schnappt sich ihr Handy und schaltet die Taschenlampe an. “Nein!” wehrt sich Julia. “Ach komm schon, nur mal gucken!” Resigniert öffnet sie den Mund. “Oben links”. Mira leuchtet in den Mund, Antonia schaut hoch interessiert über ihre Schulter. “Wow, der ist ja ganz schwarz. Du solltest echt mal wieder zum Zahnarzt. Tut bestimmt weh. Bei mir musste ja noch nie gebohrt werden.” Antonia schenkt ihr ein strahlendes Lächeln. “Vielen Dank auch” faucht Julia und springt auf. In dem Moment öffnet sich die Zimmertür und Frau Ebert, eine der Lehrerinnen, schaut herein. Irritiert sah sieht sich die Szenerie an. “Abmarsch zur Wanderung in 60 Minuten. Und zieht vernünftige Schuhe an. Aber- alles klar bei euch?” Julia zuckt mit den Schultern, aber Antonia posaunt prompt: “Gut, dass sie da sind, Frau Ebert. Julia hat sich einen Zahn abgebrochen. Da ist ein riesiges Loch und sie hat starke Schmerzen.” Julia straft sie mit einem Todesblick. Das mit dem Zahn hätte sie schon ausgesessen, das wäre schon von alleine wieder geworden.

“Stimmt das?” fragte die Ebert mit strenger Stimme. “Alles halb so wild, ich gehe dann zu Hause zu meinem Zahnarzt, nur eine Kleinigkeit”, Julia versucht lächelnd über die Situation hinweg zu täuschen. Doch in diesem Moment fühlt es sich an, als habe ein Blitz in ihrem Zahn eingeschlagen. Sie stöhnt und presst die Hand an die schmerzhafte Seite des Gesichts. Frau Ebert zieht die Augenbrauen hoch. “Nun gut, ich werde sehen, dass wir noch heute einen Termin bei einem Zahnarzt für dich bekommen. Ansonsten kann ich das hier nicht verantworten. Nicht dass es eine Infektion gibt oder so. Wenn du lieber zu deinem eigenen Zahnarzt gehen möchtest, müsstest du spätestens morgen abreisen ” So eine Sch… flucht Julia innerlich. Sie will auf keinen Fall zum Zahnarzt, weder hier noch zu Hause. Zum Glück ist sie volljährig und kann selber entscheiden. Aber trotzdem müsste sie ihren Eltern erklären, warum sie alleine bereits 2 Tage nach Abfahrt wieder vor der Tür steht. Und dabei hatte sie sich gefreut, endlich mal ein paar Tage von ihren Eltern zu haben, die sie immer noch wie zwölf behandeln. "So lange du unter unserem Dach lebst und dich von uns finanzieren lässt...", dieser Satz hängt ihr zum Halse raus.

“Dann eben der Zahnarzt- Termin”, sagt sie eingeschnappt, nimmt sich ihr Handy und verzieht sich auf ihr Bett. Die anderen Mädchen kichern. Frau Ebert verschwindet. Kurze Zeit später kommen noch zwei Jungs aus der Gruppe auf ihr Zimmer und blödeln mit Antonia und Mira rum. Julia- normalerweise immer voll dabei- ignoriert sie geflissentlich.

“Was ist denn mit der los?” “Zahnweh- die Arme”, lässt Antonia verlauten, einen leicht schadenfrohen Unterton in der Stimme.

Es klopft und Frau Ebert steckt erneut den Kopf durch die Tür. “Julia, du kannst dich fertig machen, Herr Robert begleitet dich zum Zahnarzt. Er hatte zufällig noch einen Termin frei.”. Toller Zufall, denkt Julia. “Aber Frau Ebert..”, versucht sie es nochmal. “Keine Widerrede”, sagt diese in bestimmtem Tonfall. “In 10 Minuten bist du beim Ausgang”. Die Jungs johlen. “Da hat wohl jemand Angst vorm Onkel Zahnarzt.. Bsssssss.- imitieren sie das Geräusch des Bohrers." Julia merkt, wie sie rot wird, steht von ihrem Bett auf und verschwindet ins Bad. Sie knallt die Tür hinter sich zu und schließt ab. Idioten!

Dabei hat sie sonst immer eine große Klappe und kann durchaus austeilen.

“Und ihr- los geht es zur Wanderung. Und was macht ihr Jungs überhaupt im Mädchenzimmer? Ihr kennt die Regeln” Es folgte Gemurre, dann verschwanden die anderen auf den Flur.

Endlich Ruhe. Zum ersten Mal hätte sie etwas darum gegeben, mit auf eine Wanderung gehen zu dürfen… Sie, die wandern normalerweise hasst wie die Pest. Viel lieber wäre sie mit einer der anderen Kursgruppen nach Paris oder Prag gefahren- da kann man wenigstens was unternehmen. Stattdessen ging es für ihre Gruppe mitten in die Pampa- genau das Richtige für eine Horde 18- und 19-jähriger, dachte sie ironisch. Aber unter diesen Umständen würde sie mit Begeisterung jede noch so lange Bergtour in Angriff nehmen- wenn dafür der Zahn nicht kaputt wäre.

Rasch schminkt sie sich nach und fährt kurz mit dem Glätteisen durch die Haare. Ungestylt würde sie nie raus gehen. Halbherzig putzt sie noch die Zähne, die linke Seite lässt sie aber aus.

Seufzend steckt sie Handy und Geldbeutel ein und geht in die Eingangshalle. Zum Glück waren die Anderen schon weg. An einer Sitzgruppe wartet Herr Robert auf sie. Er war erst seit kurzem an der Schule, Ende zwanzig, unterrichtet Sport und Mathe und sah sehr gut aus. Er verhielt sich den Schülern gegenüber eher kumpelhaft und alle Mädchen standen auf ihn und sein Lächeln.

Der Lehrer hebt den Blick und sieht Julia an: “So, dann machen wir zwei wohl einen Extra- Ausflug.” Als er Julias Blick sieht, lächelt er mitfühlend: “Na komm, so schlimm wird es schon nicht werden. Die Praxis ist nicht weit von hier, vielleicht 10 Minuten zu Fuß.”

Und schon marschiert er los, Julia bleibt nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Bereits nach wenigen Minuten- viel zu schnell für ihr Gefühl- stehen sie vor einem Ärztehaus. Der Schmerz in ihrem Mund hat sich mittlerweile in ein klopfendes Dauerinferno verwandelt. Sie betreten das Gebäude, Herr Robert orientiert sich an einer großen Tafel in der Eingangshalle. “Gesund im Mund- ihr Zahnarztteam” 3. OG steht dort, daneben das Bild eines strahlenden Zahns. Sabrina verdreht die Augen- als ob der Zahnarztbesuch dadurch weniger schlimm würde. “Na dann- auf gehts.” Herr Robert nickt ihr aufmunternd zu und geht Richtung Fahrstuhl.