Im Namen des Volkes!

Im Namen des Volkes!

Die Stimme der Richterin im Sitzungssaal 2 des Landgerichts war bis in die hintersten Reihen der gut besuchten Verhandlung zu hören:

„Aufruf zur Sache: Verfahren gegen Frau Vanessa Müller Nummer 078 in 2023 wegen sexueller Nötigung und Verletzung des höchst persönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen. Erschienen sind nach Aufruf die Angeklagte, Frau Müller zusammen mit ihrem Anwalt, Herrn Meister, die Anklage vertreten durch Frau Staatsanwältin Dr. Schulz sowie als weitere Prozessbeteiligte die Zeugin der Staatsanwaltschaft, Frau Kriminalkommissarin Lena Arlt und als Zeuge und Nebenkläger Herr Tim Maier mit seinem Anwalt, Herrn Reuss. Des weiteren als Zeugin Frau Laura Drescher. Das sind Sie, oder?“

Ihr Blick ging nach links zu einer jungen Frau,die ziemlich nervös wirkte. Diese nickte.

„Gut, des weiteren hat das Gericht Herrn Zeißner vom Männernotruf e.V. als Sachverständigen geladen. Mein Name ist Franziska Beuerle, ich bin die leitende Richterin hier am Landgericht und werde die Verhandlung leiten. Dabei unterstützen mich meine beiden Schöffen Herr Kilian und Herr Bauer.“

Die beiden nickten freundlich.

„Das Beweismaterial liegt der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft vor?“ „Gut, dann muss ich die anwesenden Zeugen offiziell noch belehren, dass sie verpflichtet sind, hier die Wahrheit zu sagen nach besten Willen und Gewissen. Ist das klar?“

Die Richterin schaute kurz in die Runde.

„Gut, dann darf ich die Zeugen und den Sachverständigen bitten, den Raum zu verlassen. Ich werde sie dann zu einem späteren Zeitpunkt aufrufen.“

Langsam verliessen diese den Sitzungssaal.

„Zu Ihnen, Frau Angeklagte! Sie sind Vanessa Müller, 22 Jahre alt und wohnen in der Badstraße 7. Ist das richtig?“

Die Angeklagte nickt zögernd.

„Sie studieren Informatik, ja?“

„Ok, und ihr Familienstand?“

„Ich bin ledig.“

'“Meine Damen und Herren! Wegen der Brisanz der Anklage und auch als Schutz gegenüber der Angeklagten und des Nebenklägers habe ich im Vorfeld der Verhandlung der Verteidigung das Angebot unterbreitet, das Verfahren gegen eine Zahlung einer Geldstrafe von 1000 Euro an die Staatskasse und eines Schmerzensgeldes von 300 Euro an den Nebenkläger einzustellen. Die Verteidigung hat dies abgelehnt.“

„Warum soll ich auch bestraft werden, Frau Richterin? Ich habe doch gar nichts Schlimmes getan.“

„Deswegen sind wir ja hier, um das zu klären...Ich darf dann die Staatsanwältin, Frau Dr. Schulz, bitten, die Anklageschrift zu verlesen“

Die Staatsanwältin erhob sich langsam von ihrem Sitz und an der Ruhe im Saal war deutlich zu spüren, dass alle sehr aufmerksam zuhörten.

„Hohes Gericht, die Staatsanwaltschaft wirft der Angeklagten vor, im Zeitraum von 4.6.23 bis 12.6.23 dem Nebenkläger, Herrn Maier insgesamt 12 Bilder mit pornografischen Inhalt unaufgefordert per Mail geschickt zu haben und – als Herr Maier nach Meinung der Angeklagten nicht adäquat reagiert hat – heimlich Bildaufnahmen und eine Videosequenz des unbekleideten Nebenklägers erstellt und veröffentlicht zu haben mit beleidigenden Text. Die Staatsanwaltschaft sieht hier eine Straftat gemäß § 184 Absatz 1 Ziffer 6 sowie § 201a Absatz 1 Ziffer 1. Des weiteren sehen wir hier Straftaten gemäß §185 und §186, von deren Anklage hier aber absehen, weil das Strafmaß der ersten beiden Delikte wesentlich über dem von Beleidigung und Verleumdung liegen sollte. Die Angeklagte hat aus unerwiderter Liebe heraus Herrn Maier massiv gestört, belästigt und seinem Ansehen besonders im wohnlichen Umfeld und im Freundeskreis massiv geschadet.“

„Danke, Frau Staatsanwältin!“

Alle Zuschauer konnten deutlich erkennen, dass die Richterin versuchte, zumindest äußerlich ihre Ruhe zu bewahren. „Frau Müller, als Angeklagte haben sie das Recht, sich zur Sache zu äußern oder aber nicht zur Sache auszusagen.“

„Meine Mandantin will sich äußern“.

„Gut, dann bitte, Frau Müller.“

„Frau Richterin, das ist doch ein Hammer, wie hier versucht wird, mir irgendetwas in die Schuhe zu schieben... Pornografie?! Da muss ich lachen. Ja, ich habe diesem Typen Bilder geschickt, aber doch, damit er endlich mal sieht, wie eine richtige Frau ausschaut und auch mal seinen Spaß hat. Andere Jungs freuen sich darüber und rennen damit nicht zur Polizei! Und wie haben sie das vorhin genannt? Verletzung des höchst persönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen?? Ey, heute wissen doch alle, wie Männer ausschauen, wenn sie nichts an haben, oder? Ich finde, das Gericht sollte einfach mal den Ball flach halten und feststellen, dass wir nicht mehr 1950 haben...“

Die Richterin schaut ungläubig und auch Vanessas Verteidiger schien nicht so angetan zu sein von den Ausführungen seiner Mandantin.

„Mal langsam, Frau Müller! Woher kennen sie Herrn Maier eigentlich und die Person auf diesen Bilder, die uns vorliegen, das sind sie, oder?“

„Klar bin ich das! Der ist letztes Jahr bei uns im Wohnheim eingezogen. Schnuckeliger Typ, aber so blass und irgendwie schaut der doch die ganze Zeit so chronisch untervögelt...“

„Angeklagte, wir sind hier bei Gericht und nicht beim Mädelsabend! Mal sachlicher, oder?“

Auch ihr Verteidiger sah Vanessa böse von der Seite an und wenn man aufmerksam hin sah, konnte man auch erkennen, dass er seiner Mandantin unter dem Tisch einen leichten Tritt ans Bein gab.

„Schon gut! Also ich dachte, paar andere Gedanken als immer nur die Uni täte ihm sicherlich gut. Also habe ich angefangen, ihm Bilder zu schicken, um ihn rumzukriegen.“

„Hat Herr Maier sie denn gefragt, ob er Bilder von ihnen will?“

„Nein, aber welcher Mann steht da nicht drauf?“

Vanessa grinste leicht.

„Und verstecken muss ich mich ja auch nicht gerade, Frau Richterin, oder?“

„Das steht hier nicht zur Debatte, und dann?“

„Der Typ reagierte gar nicht drauf! War schon heftig....“

„Und da sind sie nicht auf die Idee gekommen, dass er das vielleicht nicht will?“

„Quatsch, manche Männer brauchen einfach bisschen länger.“

„Sie haben ihm dann immer wieder Bilder geschickt, wie ich dem Beweismaterial entnehmen kann. Und – sie erlauben mir die Bemerkung – auch immer mehr Bilder, die nach Meinung der Staatsanwaltschaft gerade zusammen mit ihren Sprüchen eindeutig pornografisch sind.“

„Ja, ich war mir sicher, dass er irgendwann reagieren wird und ich ihn dann bekomme. Und pornografisch?“

„Dann erkläre ich ihnen mal, was der Gesetzgeber unter pornografisch versteht: Unter Pornografie versteht man die sexuellen Handlungen, die einerseits ein wirkliches sexualbezogenes Geschehen abbilden oder andererseits auch die Darstellung eines fiktiven Geschehens erfassen. Wenn ich jetzt zum Beispiel dieses Bild anschaue, was sie dem Herrn Maier am 8.6.23 geschickt haben, dann ist das eindeutig, oder?“

„Frau Richterin, welches Beweismittel ist das? Nummer bitte!“

Der Schöffe zur ihrer linken blätterte aufgeregt in den Verfahrensunterlagen und auch Vanessas Verteidiger wirkte plötzlich sehr nervös.

„Nummer 8“

Vanessa schaute kurz, was ihr Verteidiger anschaute.

„Ja und? Denken Sie echt, Sextools wären heutzutage etwas, wofür man sich schämen müsste? Das haben fast alle!“

In den Zuschauerrängen waren plötzlich viele langgestreckte Hälse zu erkennen, die versuchten, einen Blick darauf werfen zu können, was die Anwälte da so interessiert betrachten, während Vanessas Gesichtsfarbe immer röter wurde.

„Frau Müller, wie würden sie denn dieses Bild eines offensichtlich tief in ihre Vagina eingeführten Dildos zusammen mit der Bildunterschrift „KOMM BESORGE ES MIR!“ anders bezeichnen als als pornografisch?“ Die Richterin blickte Richtung Anklagebank und sah einen Verteidiger, der sichtlich aufgeregt mit seiner Mandantin diskutierte.

„Hohes Gericht!“

In der Stimme ihres Anwalts war eine seltsame Mischung von Fürsorge und Ratlosigkeit...

„Frau Müller bittet darum, auf ihre Gefühlslage Rücksicht zu nehmen und die anderen Bilder nicht mehr durchsprechen zu müssen.“

Die Richterin schaut kurz zur Staatsanwältin.

„Ok, ich denke, diesem Wunsch kann ich entsprechen, wenn die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage auch damit einverstanden ist.“...

“ Ich sehe Zustimmung! Denke, damit sind die Tatvorwürfe gemäß § 184 Absatz 1 Ziffer 6 , also der sexuellen Nötigung geklärt und wir können übergehen zu dem Vorwurf, die Angeklagte habe gegen § 201a Absatz 1 Ziffer 1 StGB verstoßen, in dem ihr vorgeworfen wird, heimlich Fotos und auch eine Videosequenz von Herrn Maier erstellt und verbreitet zu haben. Möchten Sie sich dazu äußern?“

Vanessa schien erleichtert, dass ihre Bilder wohl kein Thema der Verhandlung mehr sind.

„Nun, Frau Richterin, was ist denn daran schlimm, einen nackten Mann zu filmen und zu fotografieren? Wir wissen doch alle, wie das ausschaut, oder?“

„Angeklagte, muss ich ihre Logik verstehen?“

Die Richterin wurde etwas lauter und auch die beiden Schöffen blickten die Angeklagte kritisch an.

„Bei den Bildern, die sie dem Nebenkläger unaufgefordert per Mail zuschickten, soll das Gericht darauf Rücksicht nehmen, ihnen die weitere Diskussion darüber zu ersparen, aber heimlich ohne sein Wissen einen Menschen zu filmen, zu fotografieren und dann das auch noch zu veröffentlichen, das soll ganz normal sein? Haben Sie da nicht ein sehr spezielles Rechtsverständnis? Abgesehen davon, ihre Bilder haben sie dem Herrn Maier ja von sich aus geschickt. Haben sie ihn denn gefragt, ob sie ihn beim Umziehen fotografieren dürfen?“

Vanessa schwieg und blickte wieder zu ihrem Anwalt.

„Meine Mandantin möchte zu diesem Anklagepunkt nicht mehr aussagen.“

„Wenn das so ist, dann denke ich, dass wir als Nächstes Frau Kriminalkommissarin Lena Arlt in den Zeugenstand bitten. Herr Justizwachmeister, rufen Sie doch bitte Frau Arlt herein.“

Nach einer kurzen Pause öffnete sich die Tür des Sitzungszimmers und eine junge groß gewachsene Frau in Polizeiuniform betritt den Raum.

„Treten sie bitte in den Zeugenstand.“

„Lena Arlt, Kriminalpolizeianwärterin, 21 Jahre, ledig, mit der Angeklagten weder verwandt noch verschwägert“

„Oh, das kam ja wie aus der Pistole geschossen...“

„Ja, in letzter Zeit bringt es mein Job mit sich, dass ich öfters hier aussagen muss. Ich bin in unserer Dienststelle unter anderem beteiligt an Ermittlungen, wenn es um Sexualstraftaten und Verfahren gegen die sexuelle Selbstbestimmung geht.“

„Ach so, sie waren also auch an der Beweissicherung in dem heute anhängigen Verfahren beteiligt. Können Sie dem Gericht bitte schildern, worum es da ging?“

„Ja, gerne! Herr Maier kam zusammen mit Herrn Zeißner vom Männernotruf zu uns, um Anzeige zu erstatten. Nachdem uns die beiden die Mails gezeigt haben, die Herr Maier von der Angeklagten erhalten hatte, konnten wir einen Durchsuchungsbeschluss der Staatsanwaltschaft erwirken und haben am 24.6. gegen 8:00 Uhr Frau Müller in ihrem Studentenwohnheimzimmer aufgesucht und ihr Smartphone und auch ihren Laptop beschlagnahmt. Außerdem wurde eine Sporttasche sichergestellt, in der eine Mini-Kamera, eine sogenannte Spy-Cam in einem der Außentaschen installiert war. Unsere IT-Spezialisten konnten bei der Durchsicht von Smartphone und Laptop neben unauffälligen Files und Dokumenten 27 Fotos sicherstellen, auf denen die Angeklagte offensichtlich Close-Ups ihres Körpers und auch bei autoerotischen Handlungen erstellt hat. Eine Analyse des Postausgangs ihrer Mailbox hat ergeben, dass sie die Aufnahmen an mindestens 7 Männer geschickt hat.“

„Frau Arlt, entschuldigen sie, wenn ich sie unterbreche!“ Die Richterin schaute erstaunt auf die Zeugin. „7 Personen? Und haben Sie herausbekommen, ob die Empfänger die Angeklagte darum baten?“

„Das war nicht unsere Aufgabe, Frau Richterin, da es ein Antragsdelikt ist und gegen die Angeklagte nur eine Anzeige vorliegt, nämlich die von Herrn Maier. Aber, wenn sie mir diese Bemerkung erlauben, wir haben keine einzige Mail im Posteingang von Frau Müller gefunden, in der einer der Herren sich bedankt hätte oder so...“

„Angeklagte, wollen sie etwas dazu sagen?“

Vanessa spürte die Blicke des Sitzungssaales auf sich und man musste keine hellseherischen Fähigkeiten haben, um zu spüren, wie peinlich ihr das alles war.

„Naja, Frau Richterin, kennen sie den Spruch: Der Gentleman schweigt und genießt!“?“

„Ja klar“ und die Ironie in der Stimme der Staatsanwältin war unüberhörbar „die fanden das sicherlich alle fürchterlich toll und waren so sprachlos, dass sie ihnen nur deshalb nicht antworteten...“

„Fahren Sie doch bitte fort mit ihren Ausführungen, Frau Polizeianwärterin!“

„Ok, außer diesen Bildern und dem Mailverkehr, der wie ich ja schon ausführte, sehr einseitig war, fanden wir auf der Festplatte der Angeklagten eine Videosequenz von drei Minuten, die eine Gruppe junger Männer zeigt, die sich umziehen. Unsere Recherchen und auch die Aussage von Herrn Maier haben eindeutig ergeben, dass dieses Video in der Umkleidekabine des Sportzentrums der Universität aufgenommen wurde und unter anderem auch Herrn Maier zeigt. Aus diesem Video ist übrigens auch das Standbild, das Frau Müller dann am 21.6. am frühen Vormittag am schwarzen Brett des Wohnheimes anbrachte und das ihnen ja auch vorliegt. Sichergestellt wurde, wie ich vorhin schon ausführte, auch eine Adidas-Sporttasche mit dieser SpyCam, wie wir sie nennen. Eine Analyse des Videos hat zweifelfrei ergeben, dass besagtes Video mit dieser SpyCam gemacht wurde. Bei der Vernehmung von Frau Müller gab diese zu Protokoll, sie wisse nicht, wie diese Tasche in ihre Studentenbude gekommen sei und außerdem würde sie als Frau ja eh nicht in eine Männer-Umkleide kommen können. Hier sind wieder leider nicht weiter gekommen.“

„Gut, Frau Arlt, danke für ihre interessanten Ausführungen. Haben Staatsanwaltschaft oder Verteidigung noch Fragen an die Zeugin?“

Die Staatsanwältin beginnt zu sprechen: „Dieses Video, das sie da gefunden haben und von dem das Bild exzerpiert wurde, konnten sie da herausfinden, ob das auch geteilt wurde?“

„Ja, wir mussten feststellen, dass dieses Video von der Angeklagten in einer WhatsApp-Gruppe „Sexiest men in town“ geteilt wurde. Die Gruppe hat nach unserem Kenntnisstand etwa 300 Mitglieder, wohl überwiegend Frauen, aber auch homosexuelle Männer, die solche Videos auch sehr sexistisch kommentierten.“

Die Stille im Raum war deutlich spürbar. Die Ausdrücke der Zuschauer reichten von ungläubigen Staunen bis zu wütenden Blicken in Richtung Anklagebank.

„Ich sehe, dass sie wohl genauso überrascht und sprachlos sind wie ich, aber vielleicht kann die Angeklagte ja etwas Licht ins Dunkel bringen? Ich halte mal fest: Es werden jede Menge Bilder auf ihrem Laptop gefunden...“

„Was geht sie das eigentlich an, wenn ich mich selber fotografiere?“ Vanessa wurde bockig. „Das bin ich und wenn es mir Spaß macht, kann ich fotografieren, was ich will oder wollen sie mir das auch noch verbieten? Deutschland 2023??“

Ihr Anwalt versuchte sie zu beruhigen.

„Meine Mandantin reagierte gerade zwar sicherlich etwas unwirsch, aber soll man einer 22-jährigen jungen Frau denn vorschreiben, wenn sie Selfies macht? Nebenbei möchte ich zu bedenken geben, hohes Gericht, dass exhibitionistische Handlungen von Frauen straffrei sind. Eine Straftat nach §183 StGB kann nur durch Männer begangen werden, aber das ist ihnen ja sicherlich bekannt.“

„Natürlich, Herr Rechtsanwalt Meister, aber bei diesen Bildern kann man zum Teil ja nun wirklich nicht mehr von Exhibitionismus sprechen, sondern von pornografischen Darstellungen nach §184 und deren unaufgefordertes Versenden stellt eine Straftat dar. Was sie, Frau Müller, in ihren vier Wänden treiben und fotografieren, ist natürlich ihre Sache, klar!“

Vanessa lächelte ein wenig gequält.

„Aber dieses Thema der Bilder haben wir ja auf ihren Wunsch hin nicht länger in dieser öffentlichen Sitzung behandelt.... Frau Müller, sie haben zwar vorhin ausgesagt, dass sie sich zu dem Anklagepunkt gemäß § 201a Absatz 1 Ziffer 1 StGB, also dem Video nicht äußern wollen, aber nach all dem, was die Zeugin uns gerade geschildert hat, müssen wir hier bei Gericht doch versuchen, genauer herauszufinden, egal, ob sie dazu etwas sagen wollen oder nicht. Wollen sie?“

„Nein!“

„Gut, dann fasse ich einmal zusammen: Die Angeklagte veröffentlicht ein Video, das in einem geschützten Bereich eines Sportumkleideraumes entstand. Die Kamera, mit der das gepostete Video entstand, wird im Zimmer der Angeklagten sichergestellt und sie, Frau Müller, sagen, sie wüssten nicht, wie das Video entstand... Mal gesetzt den Fall, sie hätten das Video nicht selber aufgenommen, wieso veröffentlichen sie das dann bei WhatsApp in dieser Gruppe?“

Vanessa fing zu zittern an und ein paar Tränen liefen ihre Wange entlang. Ihr Anwalt legt behutsam seinen Arm um ihre Schulter und flüstert ihr etwas ins Ohr.

„Hohes Gericht, ich bitte um eine kurze Sitzungspause, um ungestört mit meiner Mandantin sprechen zu können.“

„Ja, ich denke, eine Pause können wir alle brauchen... Ich unterbreche hiermit die Sitzung für die Dauer von 10 Minuten. Herr Justizwachmeister, bitte sorgen sie dafür, dass die Zeugen draussen keinen Kontakt zu den Prozessbeteiligten haben. Danke!“

Nach 10 Minuten klingelte die Sitzungsglocke, alle nahmen langsam wieder ihre Plätze ein und auch das Publikum wurde mucksmäuschenstill.

Der Verteidiger wandte sich an die Richterin: „Meine Mandantin hat sich entschlossen, nun doch auszusagen...“

„Gut, Frau Müller, dann erzählen sie uns doch mal, wie es war.“

Vanessa zögerte: „Gut, ja... Also dieses Video, das habe doch ich gemacht, aber ich wollte ihm damit nicht schaden. Ich war einfach enttäuscht, weil der Tim so gleichgültig war und ich habe gehofft, wenn ich so Video habe, dann kann ich mir ihn zumindest am PC anschauen, wenn schon nicht live.“

„Wie kamen sie denn überhaupt in die Männerumkleide?“

Vanessa stockte, aber dann sprudelte es nur so aus ihr heraus.

„Ich wusste, dass er Dienstagabend immer zum Handball vom Studentensport geht und vorher war in dem Gebäude nichts los. Also habe ich meine Sporttasche genommen, sie in die Ecke gestellt und dank WLAN war es kein Problem... Ich stand dann mit meinem Smartphone draußen an der Bushaltestelle und habe einfach gespeichert, als es interessant wurde.“

„Interessant wurde heißt was?“

„Naja, wie die nach ihrem Training in die Umkleide kamen und sich ausgezogen haben, um zu duschen. Die sahen schon recht heiß aus und ich fands einfach geil, so wie eine Peepshow.“

„Frau Müller, und sie hatten da gar nicht das Gefühl, etwas verbotenes zu tun?“

„Wieso, der Typ kannte doch von den Bildern her auch alles von mir!“

„Angeklagte, der Typ, wie sie ihn bezeichnen, hat auch einen Namen! Es ist doch gewaltiger Unterschied, ob sie meinen, Herrn Maier ihre Selfiebilder schicken zu müssen oder ob sie in eine Umkleide, also einen sehr sehr privaten Raum heimlich eine Kamera schmuggeln, um das sehen zu können, was sie sexuell erregt, ohne Rücksicht auf die Privatsphäre von Herrn Maier, oder?“

„Erregend? Als der sich endlich mal zur Kamera drehte, nee, das war nicht erregend... Er war so mies bestückt, ich hatte eher Mitleid.“

Ihr Anwalt schubste sie deutlich sichtbar am Arm und im Publikum waren eine verlegene Lacher zu hören.

„Frau Müller, es reicht! Wir sprechen hier von einer Straftat und sie tun so, als hätten sie einen Markt besucht und Ware inspiziert.“

Die Angeklagte blickte stumm vor sich hin.

„Gut, nee, nicht gut, aber weiter! Was passierte dann?“

„Als die fertig waren, habe ich noch halbe Stunde gewartet und habe mich dann ins Gebäude geschlichen, um meine Tasche zu holen. Gerade als ich in die Umkleide ging, kam so eine Putzfrau rein. Die hat aber anscheinend nichts gemerkt, obwohl ich echt Schiss hatte. Naja, hab die Tasche wieder zu mir genommen und bin heim. Daheim habe ich den Film angeschaut und muss da wohl versehentlich irgendwie auf die falsche Taste gekommen sein, dass er bei WhatsApp landete, denn eigentlich wollte ich das Video echt nur für mich haben.“

„So so, versehentlich auf die falsche Taste gekommen... Frau Müller, ich glaube ihnen kein Wort! Und als dann anerkennende Kommentare kamen, diese Herzchen und Smilies als Antwort, die waren natürlich auch nicht von ihnen, oder?“

Vanessa begann zu heulen, dicke Tränen und sie zitterte.

Die Richterin schaute in die Runde. „Ich denke, es ist alles geklärt oder hat jemand noch eine Frage an die Angeklagte?

„Ja, Frau Richterin“, die Staatsanwältin wandte sich zu Vanessa. „Da war dann ja noch dieses Foto, das zwei Tage später am schwarzen Brett hing. Vielleicht erklären sie uns noch?“

„Mh,... ich war einfach total wütend auf den Tim und hab mir gedacht, dass die anderen im Heim auch wissen sollten, was das für ein Typ ist. Inzwischen weiß ich auch, dass das nicht richtig war...“

„Also haben sie ein Bild von dem Video ausgedruckt, richtig frontal, gut sichtbar in den Eingangsbereich gehängt und dazu einen Spruch mit der Absicht, ihn voll zu erniedrigen. Ich zitiere den Text umter dem Bild „Schlapper Schwanz und weiche Eier, das ist Tim Maier!“

Vanessa nahm ihre Hände sehr verlegen vors Gesicht und jeder im Raum konnte ihr ansehen, dass sie wohl spätestens jetzt gemerkt hat, dass ihre Aktion alles andere als gelungen war.

„Was sie Herrn Maier damit antun, war ihnen egal, oder?“

„Richtig egal nicht, aber... Wenn der Typ nicht mit mir zusammen sein will, soll er das spüren. Dachte ich da so, aber ok, so ganz fair war das nicht...“

Die Richterin schaute streng in Richtung der Anklagebank. „Haben sie denn einen Moment darüber nachgedacht, wie sie sich fühlen würden an Stelle von Herrn Maier?“

„Nein, hab ich nicht....“ Vanessa heulte immer noch.

„Und haben sie sich inzwischen bei ihm entschuldigt?“

„.... Nein....“

„Gut, sonst noch Fragen an die Angeklagte?“....

„Ja, Herr Reuss, sie wollten als Vertreter der Nebenklage noch etwas sagen?“

„Hohes Gericht, wir sprechen hier von einer Tat, die meinen Mandanten zutiefst getroffen hat. Die Angeklagte hat ihn richtig vorgeführt, seine Freundin hat ihn beinahe verlassen, als sie die Bilder auf dem Smartphone von Herrn Maier entdeckte, weil sie annehmen musste, er würde fremd gehen, im Wohnheim traut er sich kaum noch aus seinem Zimmer und zum Sport geht er auch nicht mehr seitdem, weil er Angst hat, wieder gefilmt zu werden. Auch seine Leistungen im Medizinstudium, Herr Maier ist gerade im 2. Semester, haben wegen häufiger Fehlzeiten bedingt durch seine psychische Verfassung stark nachgelassen und es ist gut möglich, dass er ein Semester verliert. Und das nur, weil die Angeklagte, Frau Weber, sich in den Kopf gesetzt hat, Herrn Maier mal zu zeigen, wie eine richtige Frau ausschaut. Hohes Gericht, sie werden mich später fragen, was in welcher Höhe die Nebenanklage später Schmerzensgeld beantragt“ - die Richterin nickte - „aber ich muss ihnen ehrlich sagen, kann man das mit Geld wieder gut machen? Mein Mandant wird sein Leben lang an diese Demütigungen denken müssen, wird nie wieder unbeschwert eine Umkleidekabine betreten können und wird sich wohl auch einen neuen Wohnheimplatz suchen müssen, um nicht andauernd an das Geschehene erinnert zu werden. Vielleicht würde eine empfindliche Geldstrafe oder eine Haftstrafe auf Bewährung die Angeklagte zur Einsicht bringen, was sie meinem Madanten damit getan hat, aber so wie ich Frau Müller heute hier während der Verhandlung erleben musste, muss ich leider daran zweifeln. Um meinem Mandanten nicht noch mehr zu belasten, möchte ich deswegen den Antrag stellen, ihm und seiner Freundin, Frau Laura Drescher die Zeugenbefragung zu ersparen, zumal ja wohl alles geklärt ist.“

„Danke, Herr Reuss, das waren zwar keine Fragen an die Angeklagte, aber ihrem Antrag würde ich gerne stattgeben, wenn Staatsanwaltschaft und Verteidigung nichts dagegen haben.... Ich sehe, Frau Staatsanwältin, sie nicken... Herr Meister als Vertreter der Verteidigung, Frau Müller?...“

Es entstand ein leises Tuscheln zwischen Vanessa und ihrem Anwalt.

„Frau Richterin, wir verzichten auch auf die Anhörung der beiden Zeugen.“

Im Umfeld der Richterin war ein kaum hörbares „Gott sei Dank“ zu vernehmen.

„Ok, dann würde ich gerne noch dem Sachverständigen, Herrn Zeißner hören. Können sie ihn bitte hereinrufen?“

Man hörte Schritte von draußen und ein etwa 30-jähriger hochgewachsener Mann mit Kinnbart betrat den Sitzungssaal.

„Können sie sich bitte gut vorstellen, bevor ich sie vernehme?“

„Ja, natürlich, ich bin Thomas Zeißner, 33 Jahre, Diplompsychologe und ehrenamtlicher Mitarbeiter von Männernotruf e.V.“

„Danke, Herr Zeißner. Was können sie uns denn zur Tat sagen?“

„Sehr geehrte Frau Richterin, die Partnerin von Herrn Weber, Frau Drescher, rief am 21. Juni gegen Abend die Hotline des Männernotrufs an, war ganz aufgelöst, teilte uns mit, ihr Freund würde von einer Mitbewohnerin im Studentenheim massiv gestalkt und erbat sich Hilfe. Es ist ehrlich gesagt ungewöhnlich, dass uns Frauen anrufen, aber wir baten sie, zusammen mit ihrem Partner, also Herrn Weber, zu kommen, um vielleicht eine Lösung zu finden.

Die beiden kamen dann auch und Herr Maier war ein Stückchen Elend, wenn ich das so drastisch sagen darf. Wir konnten ihn dazu bewegen, uns nach längerem Zögern den Grund seiner Aufgelöstheit mitzuteilen, uns auch die Mails zu zeigen, die er von der Angeklagten erhielt und uns auch diesen Fotoaushang zu zeigen, was ihm verständlicherweise sehr peinlich war. Schnell mussten wir erkennen, dass er sogenannte Vagi-Pics erhalten hat und ich habe Herrn Maier dazu bringen können, mit mir zusammen zur Polizei zu gehen und eine Anzeige aufzugeben.“

„Entschuldigen sie die Unterbrechung, Herr Zeißner“ - die Richterin schaute zur Zeugenbank - „was hat er bitte erhalten?“

„Vagi-Pics! So nennen wir Aufnahmen der Vulva oder des Intimbereichs generell, oft in Verbindung mit Sexspielzeug, den Fingern oder auch einfach gespreizte Labia. Übrigens haben inzwischen fast 50 Prozent aller Männer bereits mindestens einmal ungefragt so ein Vagi-Pic erhalten. Es ist also leider kein seltenes Phänomen, aber leider trauen sich die wenigsten Männer, das anzuzeigen, aus Angst diffamiert zu werden oder bei einer etwaigen Gerichtsverhandlung zusätzlich einer großen Belastung ausgesetzt zu werden.“

„Ja, Herr Zeißner, das kann ich mir gut vorstellen, wenn ich den bisherigen Verhandlungsverlauf zu betrachte.“

Der Blick der Richterin ging in Richtung der Angeklagten, die immer noch sehr zerknirscht vor sich blickte.

„Können sie uns vielleicht erklären, warum Frauen so etwas machen?“

„Leider sind die wissenschaftlichen Untersuchungen dazu noch nicht sehr weit fortgeschritten, aber bisherige Studien ergaben, dass 82 Prozent aller Frauen sich erhoffen, so den Empfänger sexuell zu erregen, 50 Prozent verschicken diese Bilder, um dem Mann das Gefühl zu geben, attraktiv zu sein und immerhin 44 Prozent der Frauen erhoffen sich, dass der Mann ihnen dann auch ein sogenanntes Dick-Pic schickt. Weitere Beweggründe, die man vermutet, sind, dass diese Frauen schockieren, verängstigen oder auch Ekel auslösen wollen.“

„Mh, da stellt sich doch die Frage, was das für Frauen sind, die das machen?“

„Natürlich, Frau Staatsanwältin,“ Der Blick von Herrn Zeißner ging nach rechts. „vielen dieser Frauen, die das machen, ist zwar durchaus bewusst, dass sie hier eine Grenze überschreiten, aber sie fühlen sich dann mutig und dominant. Aus Sicht der Psychologie ist verständlich, dass die Frauen, die keine Reaktion auf diese Vagi-Pics erhalten, extrem beleidigend und aggressiv werden, weil sie das Gefühl haben, der Mann würde durch sein Nicht-reagieren ihr die erwünschte Anerkennung ihrer Weiblichkeit vorenthalten. Wie wir leider ja auch bei dem Verfahren heute sehen müssen, folgen dann bisweilen körperliche Angriffe oder eben Racheaktionen wie Frau Müller sie meinte, durchführen zu müssen.“

„Also eine stark narzisstische Persönlichkeitsstruktur, wenn ich das richtig verstanden habe?“

„Ja, Frau Richterin Beuerle, so kann man das wohl treffend beschreiben, stark narzisstisch.“

Die Richterin schwieg und blickte erst Vanessa und ihren Verteidiger, dann die Staatsanwältin und auch Herrn Reuss, den Anwalt von Herrn Maier an.

„Dann danke ich ihnen erst mal für ihre Ausführungen, Herr Zeißner. Da hier im Publikum ja auch viele Männer sitzen, würde mich noch interessieren, wie Männer sich in so einem Fall denn am besten verhalten sollten?!“

„Nun, wichtig ist zunächst einmal, dass die betroffenen Männer auf diese unverlangten Vagi-Pics nicht reagieren, denn sonst wird die Frau das als Zeichen der Anerkennung und ihrer Macht sehen. Es ist inzwischen problemlos möglich, auch eine Anzeige online zu machen, um diesen Frauen das Handwerk zu legen. Die Homepage teile ich interessierten Männern gerne später mit.“

„Danke, Herr Zeißner, ich denke, wir sind alle sehr überrascht, gerade auch über das Ausmaß der Verbreitung dieser Vagi-Pics. Ich darf sie dann bitten, im Zuschauerbereich Platz zu nehmen und Herrn Maier sowie Frau Drescher auch hereinzuholen, zwar nicht als Zeugen, aber damit sie der weiteren Verhandlung beiwohnen können.“

Es entstand eine leichte Unruhe, als die beiden unsicher den Verhandlungssaal betreten.

„Keine Angst, wir haben uns verständigt, sie beide nicht zu befragen.“

Tim nahm neben seinem Anwalt Platz, der ihm einen aufmunternden Blick zuwarf, Laura setzte sich an den Rand der Zuschauerränge.

„Meine Damen und Herren, ich denke, wir können die Beweisaufnahme abschließen und ich bitte die Staatsanwältin um ihr Plädoyer.“

„Hohes Gericht, meine Damen und Herren, das, was wir heute hören und sehen mussten, stimmt mich wütend und macht mich traurig zugleich. Da ist eine junge Frau, gerade mal 22 Jahre, die ohne Rücksicht auf Gefühle und Privatsphäre des Nebenklägers alles daran setzt, ihn für sich zu gewinnen und, als die merkt, dass ihr das nicht gelingt, nicht davor zurückschreckt, heimlich Aufnahmen und ein Video herzustellen, das geeignet ist, ihn massivst zu diffamieren und ihn bloßzustellen. Nein, nicht nur das, wir mussten auch noch feststellen, dass sie das alles öffentlich machte und die „likes“ genossen hat. Der Angeklagten scheint der Gedanke fremd zu sein, dass sie damit das Leben von Herrn Maier wesentlich beeinflusst hat, wie es Herr Reuss ja dankenswerterweise vorhin schon sehr treffend erklärt hat. Im Anbetracht der Schwere der Folgen ihrer Tat und ihrer wenig ausgeprägten Schuldgefühl beantrage ich hiermit eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten, die auf Bewährung ausgesetzt wird, zusätzlich eine Geldstrafe von 500 Euro, die die Angeklagte an den Männernotruf e.V. zahlen muss, eine Zahlung eines Schmerzensgeldes von 1000 Euro an den Nebenkläger, obwohl mir klar ist, dass Herrn Maier damit nicht geholfen ist und natürlich die Übernahme aller Kosten dieses Verfahrens. Ich danke ihnen für ihre Aufmerksamkeit.“

Vanessa hörte den Ausführungen der Staatsanwältin versteinert zu und blickte ratlos zu ihrem Anwalt.

„Danke, Frau Staatsanwältin, Herr Reuss möchten sie als Vertreter der Nebenklage noch etwas sagen?“

„Nein, ich denke, ich habe vorhin bereits meine Sicht der Dinge dargestellt und hoffe auf ein Urteil, das der Angeklagten die Schwere ihrer Taten und auch den Umfang der Folgen deutlich vor Augen führt.“

„Danke, Herr Anwalt Reuss, dann darf ich um das Plädoyer der Verteidigung bitten.“

„Hohes Gericht, meine Mandantin ist Ersttäterin und noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten. Ja, es war gedankenlos, was Frau Müller tat, aber war ihr Verhalten wirklich mutwillig? Nein, sie war verliebt und hat dann, als sie merkte, dass Herr Maier ihre Gefühle nicht erwiderte, spontan etwas getan, was sie sicherlich inzwischen bereut. Die von der Staatsanwaltschaft geforderten 8 Monate und auch die insgesamt 1500 Euro Geldstrafe halte ich für wesentlich zu hart. Sie würde dann als vorbestraftv gelten, was ihre beruflichen Aussichten nach dem Abschluss ihres Studiums stark verschlechtern würde und 1500 Euro Geldstrafe für eine Studentin, die auch nicht aus einem Elternhaus kommt, das ich als begütert bezeichnen würde, wären eine unzumutbare Härte für meine Mandantin. Ich beantrage deswegen eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen von 10 Euro, was für eine Studentin eine sehr empfindliche Strafe ist, was ihr aber ermöglicht, ohne Vorstrafen in ihr weiteres Leben zu gehen. Danke!“

„Vielen Dank für ihre Ausführungen, Herr Verteidiger. Frau Müller, sie haben als Angeklagte das letzte Wort. Möchten sie noch etwas sagen?“

„Ja! Es tut mir leid, aber wollen sie mir jetzt wirklich wegen dieser Bilder und dem Video mein weiteres Leben kaputt machen? Diese Pornobilder, wie sie sie nennen, gibt es überall im Netz und das Video? Nur, weil man da mal was von Tim sieht? Kann ich nicht verstehen... Was ich wirklich bereue, ist dieses Foto am schwarzen Brett. Da bin ich ausgerastet, sorry! Aber das Bild hing höchstens 3 Stunden dort. Mehr habe ich nicht zu sagen.“

„Danke, Frau Müller. Das Gericht zieht sich dann zur Beratung zurück. Ich denke, in etwa 20 Minuten treffen wir uns zur Urteilsverkündung. Die Verhandlung ist unterbrochen.“

Es entstand unter den Zuschauern eine rege Diskussion. Einige nutzen die Pause auch, um schnell eine Zigarette zu rauchen. Laura ging zu Tim, um ihn zärtlich in den Arm zu nehmen und versuchte, ihn zu beruhigen, während Herr Zeißner Informationsmaterial zu Vagi-Pics und sexueller Nötigung gegen Männer verteilte.

Die Glocke erklang, der Saal füllte sich und die Richterin und die beiden Schöffen betraten vom Besprechungszimmer kommend den Saal.

„Ich darf sie bitten, sich zur Urteilsverkündung zu erheben!“

Es herrschte eine fast schon gespenstische Ruhe.

„Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Die Angeklagte Vanessa Müller wird wegen sexueller Nötigung durch das unaufgeforderte Versenden von pornografischen Aufnahmen gemäß Paragraf 184 Absatz 1 Ziffer 6 des Strafgesetzbuches sowie Verletzung des höchst persönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen nebst Verbreitung dieser im Internet sowie in der Öffentlichkeit gemäß Paragraf 201a Absatz 1 Ziffer 1 des Strafgesetzbuches zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen je 10 Euro verurteilt. Außerdem wird ihr aufgetragen, 50 Sozialstunden bei HateAid, einer gemeinnützigen Organisation zur Beratung und Unterstützung von Betroffenen von Online-Hassrede abzuleisten. Des weiteren wird der Angeklagten auferlegt, sich zu einem vom Uniklinikum noch zu benennenden Zeitpunkt unentgeltlich als Figurantin bei einem Lehrfilm über Untersuchungsmethoden in der Gynäkologie mitzuwirken, der dann den Studierenden der medizinischen Fakultät als Lehrvideo im Intranet der Uni zur Verfügung gestellt werden kann. Sie trägt außerdem die Kosten des Verfahrens. Die Urteilsbegründung wird Staatsanwaltschaft und Verteidigung schriftlich zugestellt werden. Die Verhandlung ist geschlossen.“

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passiverPatient Vor 5 Monate 1  
-Melle- Vor 9 Monate 1  
Heinz Vor 9 Monate 1  
Annette1997 Vor 9 Monate 1  
4711koeln Vor 9 Monate 1