Die Impfung der jungen Gräfin

Die Ankunft

Endlich ist die Tür verschlossen, und ich kann mich ganz um meine Patientin kümmern. „Die kommen nicht zurück, die Tür geht nicht wieder auf“, sage ich beruhigend, „ich bin jetzt ganz für Sie da.“

Zu sechs Mann hoch haben sie die zarte junge Frau ins Behandlungszimmer gezerrt, die sich allerdings auch überraschend eindrucksvoll wehrte. Vor dem Fenster sehe ich immer noch den Krankenwagen blau blinken. „Wir sind rausgefahren, weil sie vielleicht von einem tollwütigen Tier gebissen wurde“, sagte Sanitäter Karl, der den Wagen gefahren hatte. „Der Pächter hatte das Pferd schon weggebracht“, ergänzte Beifahrer Helmut. „Hat das Pferd sie gebissen“, habe ich gefragt. Nein, hieß es im Chor, das war vielleicht ein Wolf. Oder ein junger Braunbär, die sind ja auch nicht größer. Oder … ein Luchs. Ein Fuchs. Ein Marder. Schließlich einigten sie sich auf eine Hauskatze. Jedenfalls tollwütig, vielleicht, und deshalb ist eine Tollwutspritze nötig. Auf den Biss oder Kratzer am Arm haben die Sanitärer schon Wundspray gegeben. „Weil die Sanis mit ihr allein nicht fertigwurden, haben sie uns gerufen“, erklärte Oberpfleger Dudek stolz. Den haben wir aus Karlsbad abgeworben, weil er organisieren kann. „Mich und die drei anderen. Wir haben sie dann zu sechst auf der Liege fixiert und sind mitgefahren.“ Alle vier Pfleger? „Wir mussten ja die Vitalfunktionen überwachen“, sagt Dudeks Kollege Alois wichtig. „Die Brust abhören und so. Nur Baldur, der musste unseren Polo zurückfahren, der war damit dran.“ Baldur ist fast immer dran. Diethelms Beitrag: „Sie können für die Frau ruhig eine stärkere Nadel nehmen, Herr Doktor, so kräftig wie sie ist. Wenn sie meine Freundin wäre, würde ich sie übers Knie legen.“ Diethelm hatte noch nie eine Freundin. Nun Baldur, der als Sohn eines Lehrers und FPÖ-Gemeinderats gern seine historischen Kenntnisse ins Spiel bringt: „Seinerzeit jedenfalls hat der Rohrstock auch niemandem geschadet.“

„Es reicht“, donnerte ich. Zu meiner Patientin: „Entschuldigen Sie, wird sind hier im Waldviertel, da ist der Tonfall etwas direkt. Nicht wie in Wien, eher wie in Bayern oder im Böhmerwald.“ Wien! Weeean! Wie ich diesen künstlichen Dialekt dort hasse. Patientinnen, die so daherreden, bekommen von mir ohne gesonderte Berechnung ein paar kräftige Erziehungseinheiten mit der flachen Hand auf den gepflegten Damenpopo, damit die ganzen Törtchen, Konfekte und Parfaits aus den Kaffeehäusern da unten nicht zu sehr ansetzen. Aber sowas werde ich meiner neuen süßen Patientin nicht antun. So wunderschöne grüne Augen, das Gesichts besonders apart, weil sie so wütend ist, die sportlichen kleinen Brüste (diese Pfleger!) und, oh ja, die lehrbuchmäßig ausgebildete Gesäßmuskulatur!

Aber erst zu den Pflegern. „Es reicht wirklich. Bei wie vielen Fortbildungsabenden habe ich euch gepredigt: nicht mit dem Rohrstock. Striemen und Hämatome sind keine erotischen Erfolgsbelege, sondern absolute Stoppschilder für euch alle. Der Rohrstock verletzt beim kleinsten Anwendungsfehler nicht nur die Epidermis und die Unterhaut, sondern es entstehen auch Vernarbungen im Binde- und Fettgewebe, im schlimmsten Fall Schäden in der Muskulatur oder sogar an den Nevensträngen.“ Baldur – klein, pechschwarze Haare, Nachname Vucik – zog auf vermutlich urgermanische Weise die Nase hoch.„Wir müssen die Frau doch festhalten, während Sie ihr die Spritze setzen“, versuchte es Dudek, „sie wird sich wieder wehren.“ Alois: „Also fünf von uns könnten sie auf die Liege drücken, und ich mache ihren Po frei. Vorsichtig, damit die teure Hose nicht zerreißt.“

„Jetzt raus mit euch“, donnerte ich. „Hier wird keine Patientin auf die Liege gedrückt für eine Spritze, jedenfalls nicht für Spritzen, die ich setze. Ich habe noch nie Klagen über meine Spritzen gehört. Ihr trollt Euch jetzt in Euren Beobachtungsraum. Und überhört mit den nächsten Notruf nicht. Hier draußen geraten ständig allein reisende Touristinnen in Gefahrensituationen und brauchen meine ärztliche Hilfe.“So ganz langesam gehen sie. Dudek sieht als erster ein, Alois als letzter. Er dreht sich in der Tür nochmal um und fragt: „Soll ich nicht bleiben und bei ihrer Hose helfen?“ Ich schicke auch ihn raus. Meine Patientin ist allerdings eine schlaue junge Dame und versucht, sich gleich mit durch die Tür zu drücken. Ich stelle mich den Rahmen, ziehe die Tür zu und streiche mit der Chipkarte über das elektronische Schloss.