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Aufrufe: 640 Created: Vor 10 Monate Updated: Vor 10 Monate

Ein unerwarteter Termin

7. Das Untersuchungszimmer

Unsicher und vorsichtig überschritt Stefan die Schwelle in das Untersuchungszimmer. Das Zimmer war gar nicht so groß. Zur Linken stand die Liege, daneben ein paar Geräte und ein Regal mit irgendwelchen Sachen. „Guten Tag“, begrüßte ihn die Ärztin, die rechts vom Eingang mit dem Rücken zu einem Fenster an einem Schreibtisch saß. „Nehmen Sie bitte Platz.“ Stefan nickte schüchtern und setzte sich auf den Stuhl vor den Schreibtisch. Nun saß er der Ärztin gegenüber. Sie wirkte etwas älter, aber erfahren. Jalousien verdeckten hinter ihr die Sicht nach draußen. Vor ihr lagen Papiere, in ihrer rechten Hand ein Stift. Sie trug ihr Haar gebunden und trug einen weißen Kittel. An ihrem Hals klemmte ein Stethoskop, was Stefan die letzte Hoffnung nahm, sich hier in diesem Raum nicht entkleiden zu müssen. „Wie ist die allgemeine Gefühlslage?“ fragte die Ärztin. Was will sie das denn wissen, dachte Stefan sich und zögerte einen Moment, bevor er antwortete. „Ganz gut. Etwas aufgeregt.“ Die Ärztin nickte und begann, mit ihren Fragen. Das Übliche. Vorerkrankungen, Erkrankungen in der Familie, Auffälliges und so weiter. Stefan beruhigte sich etwas, obwohl er sich fühlte wie in einem durch seinen Arbeitgeber initiiertes Verhör. „Gut, dann beginnen wir jetzt mit der Untersuchung. Bitte dafür einmal bis auf die Unterhose freimachen.“ Stefan brauchte einen kurzen Moment, um nun zu realisieren, was als nächstes kommt. Jetzt geht es los, dachte er und sah, wie die Ärztin aufstand und an ihm vorbei zur Untersuchungsliege ging. Dann stand auch er auf und schaute sich kurz um. Wohin denn mit meinen Sachen, dachte er sich. In der Hoffnung, dass die Ärztin ihm einen Tipp gab, hielt er kurz inne. Es gab in dem Raum keine Umkleidekabine und auch keine Ablagefläche. Dann entschied er, sich direkt dort auszuziehen, wo er stand. Die Kleidung legte er auf den Stuhl, auf dem er soeben noch saß. Erst die Jacke, dann sein T-Shirt und im Anschluss, nachdem er seine Schuhe ausgezogen hatte, auch die Hose. Da stand er nun, hilflos, abwartend und wie ein kleiner Junge, der in seiner Unterhose dastand. Die Ärztin schaute zu ihm. Sie hielt mittlerweile ein Blutdruckmessgerät in der Hand. „Bitte einmal auf der Liege Platz nehmen.“ Stefan folgte ihren Anweisungen, setzte sich und beobachtete, wie die Ärztin ihm die Manschette um den Arm wickelte. Ein komisches Gefühl, dachte Stefan, der sich an die Jugenduntersuchung beim Kinderarzt erinnerte. Damals saß er genauso auf der Liege, nur in Unterhose bekleidet. Es war ihm sehr peinlich damals. Heute war das Gefühl ähnlich. Nicht wissend, was als Nächstes kommt, saß er der Ärztin ausgeliefert auf der Liege. Kontrolle und Gewissheit ließen ihn im Stich. Scham über kam ihm, als die Ärztin ihr Stethoskop in die Ohren steckte und die Membran auf seinen Unterarm drückte. Wie damals - während der Untersuchung beim Kinderarzt. Die Ärztin begann, die Blutdruckmanschette aufzupumpen. Stefan hatte das Gefühl schon lange vergessen. Je mehr sie pumpte, desto fester wurde sie. Dabei spürte er, wie sein aufgeregtes Herz das Blut durch die Adern unter der Manschette presste. Konzentriert beobachtete die Ärztin die Anzeige über dem Pumpball, dann lies sie die Luft mit einem hörbaren Zischen ab. „Ok. Das sieht gut aus. Etwas erhöht, ist aber sicherlich nur das Weißkittelsysndrom.“ Das was? Stefan wunderte sich über den Begriff, den er noch nie hörte. Dann zog die Ärztin die Manschette vom Arm. Wie eine Befreiung fühlte es sich an. Stefan strich sich mit der Hand über die Stelle und erwartete neue Anweisungen. Nachdem sie das Blutdruckmessgerät aufs Regal gelegt hatte, kam sie zurück zu Stefan und begann, seinen Hals abzutasten. Mit den Daumen drückte sie leicht an einigen Stellen. Dann nahm sie sich einen Holzstab und bat ihn, seinen Mund zu öffnen. Sie schaute kurz hinein, nahm den Spatel aus seinem Mund und ging kurz zum Schreibtisch, um sich die ersten Ergebnisse zu notieren. Dann kam sie zurück und steckte sich die Oliven ihres Stethoskops in die Ohren.

(Fortsetzung folgt)

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Bochumer93 Vor 10 Monate 2