Ein unerwarteter Termin

5. Ein ungeschickter Anfang

Obwohl er vor einigen Jahren schon mal hier gewesen war, schien es ihm alles neu und ungewohnt. An der Rezeption sprach er eine Mitarbeiterin an. Ein hoher Tresen trennte ihn von der Sprechstundenhilfe mit etwas größerer Statur. Wie alt mag sie wohl sein, fragte er sich, jedenfalls jenseits der Vierzig. Ihr schwarzes Haar trug sie frei. Während Stefan sie musterte, schaute sie auf. Er erschrak. Mit solch einer Selbstsicherheit in ihrer Stimme hatte er nicht gerechnet. Sie weiß, was sie tut, dachte er sich. „Wie kann ich helfen?“ fragte sie ihn, welcher seinen Namen nannte, sich den Grund des Besuchs allerdings verkniff. Zu peinlich erschien es ihm in diesem Moment. Er war sich nicht sicher, ob ihm noch eine weitere Patientin zuhörte. Allein das Wort Untersuchung triggerte normalerweise ihn ungemein. „Alles klar“, fuhr die Sprechstundenhilfe fort. Dann schaute sie an die Seite und ergriff etwas, was Stefan anfangs nicht erkannte. Zu hoch war der Tresen, der ihm auch die Sicht auf den Schreibtisch der Frau versperrte. „Hier ist ein Becher. Hier bitte einmal dort links auf dem Patienten-WC eine Urinprobe vorbereiten und die Probe danach hier bitte wieder herbringen, ja?“ Stefan bekam einen Becher und ein Stäbchen. Mist, dachte Stefan. Ob das jemand im Wartezimmer gehört hat? Es war ihm peinlich, obwohl jeder, der hier herkommt, aus dem gleichen Grund hierher kam. Dieser rettende Gedanke half ihm wenig. Immer weiter versank er gedanklich. Schamgefühle überkamen ihn. Sekunden schienen zu vergehen, ohne dass er merkte, dass er noch weitere Angaben erhielt. Die Sprechstundenhilfe erklärte ihm die Funktionsweise des Stäbchens. Doch um dies zu verstehen, war es zu spät. Noch ehe er sich aus den Fängen der Gedanken befreien konnte und wieder begann zuzuhören, hatte die Sprechstundenhilfe alles erklärt. Unsicher nahm Stefan die Utensilien und begann sich auf den Weg zur Toilette zu machen. Der Weg führte ihn durchs Wartezimmer, in dem sich auch die Tür zur Toilette befand. Die Tür öffnend bemerkte er, wie eine junge Frau das Wartezimmer betrat. Umso schneller verschwand Stefan im Raum und verschloss die Tür schnell hinter sich. Ein Glück, erstmal allein sein, dachte er sich und stellte den Becher auf die Ablage unter dem Spiegel am Waschbecken. Er klappte die WC-Brille hoch. Erst noch den Becher, dachte er sich und wandte sich diesem zu. Er schraubte den Deckel ab und stellte beides wieder auf die Ablage. Dann nahm er den Stab. Er begann sich damit zu beschäftigen. Doch nichts funktionierte. Stefan ärgerte sich. Mist, warum habe ich denn nicht zugehört? Hilflos fummelte er mit dem Stab in seinen Fingern herum. Da er auch die Jacke noch nicht ausgezogen hatte, wurde ihm schnell sehr warm. Mehr und mehr wurde ihm bewusst, dass er sich hoffnungslos verschätzt hatte. Nichts klappt, das Stäbchen will nicht aus der Hülle. Ob er es wollte oder nicht, er musste zurück nach vorne. Stefan griff Becher, Deckel und Stäbchen und öffnete die Tür. Im Wartezimmer saß die eine junge Frau, die soeben das Zimmer von außen betrat. Schnell huschte Stefan an ihr vorbei und ging zur Sprechstundenhilfe.

(Fortsetzung folgt!)