Aufrufe: 2219 Created: 2018.10.27 Updated: 2018.10.27

Die Freifrau

Die Freifrau

Brunhild Freifrau von Hohenasten wohnte möbliert.

Das war nicht immer so.

Vor gut vier Jahren war sie noch stolze Gutsherrin in der Nähe von Insterburg, dem heutigen Tschernjachowsk. Es war ein imposantes Anwesen mit riesigen Feldern und Wäldern, einem Gutshaus, das im Süden Deutschlands sicher als Schloss bezeichnet worden wäre, mit etlichen Angestellten und später auch mit Zwangsarbeitern. Sie und ihr Mann Peter hatten die Ländereien auf das persönliche Geheiß Adolf Hitlers 1940 erhalten, als die Nazis mit dem Bau der Wolfsschanze begannen. Peter, ein hoher Wehrmachtsoffizier, dem Hitler bedingungslos vertraute, sollte dort sesshaft werden, um geheimste Kurierflüge für ihn zu erledigen. Niemand wusste, was in den Paketen war, die Peter meistens in einem Ostseehafen von einem U-Bootkommandanten in Empfang nahm und dann zur Wolfsschanze flog. Aber der Inhalt musste sehr sensibel sein, wenn Hitler nicht einmal den Piloten der SS traute. Für diese Flüge wurde eine Fieseler Storch auf dem Gut stationiert. Durch die extrem kurze Strecke, die das Kleinflugzeug für Start und Landung benötigte, war diese Maschine ideal, um damit von einer Wiese des Gutes aus zu operieren. Brunhild hatte zwar keinen Flugschein, aber ihr Mann hatte es sie soweit gelehrt, dass sie sicher starten, landen und natürlich auch fliegen konnte.

Es war eine schöne und unbekümmerte Zeit voller Lebensfreude, bis, ja bis ihr Mann, dieser leidenschaftliche Jäger, im Herbst 1943 mal wieder einen seiner Hochsitze bestieg. Die Beine des Hochsitzes standen in einem dichten Strauchwerk und genau dort hielt sich oft eine kleine Wildschweinrotte auf. Die Schwarzkittel liebten es, sich an den vier hölzernen Hochsitzbeinen kräftig das Fell zu schrubben. Allerdings wurde das Holz dadurch immer dünner und eines Tages hielt es Peters Gewicht nicht mehr stand. Er fiel mit dem Ansitz um, was nicht unbedingt böse hätte enden müssen, aber sein Kopf landete statt auf weichem Waldboden auf einem Stein. Er war sofort tot.

Das war für Brunhild der zweitschlimmste Tag in ihrem bisherigen Leben. Der schlimmste war der 14. August 1919. Da trat die Weimarer Verfassung in Kraft und der Adel verlor seinen herausragenden Status. Der Adelstitel wurde zu einem profanen Bestandteil des Namens. Was für eine Schmach. Der bisherige zweitschlimmste Tag rückte damit auf Position drei. Das war der Tag, an dem sie ihren ersten und einzigen Einlauf bekam. In einem englischen Internat.

Sie meldete den Tod ihres Mannes natürlich an die Wolfsschanze. Erstaunlicherweise konnte sie das Gut behalten und auch die Fieseler Storch holte niemand ab.

Brunhild war eine schlanke, durchaus attraktive, vielleicht etwas herbe Frau von 39 Jahren. Jetzt allerdings konnte man leicht verbitterte Züge in ihrem Gesicht erkennen. Sie war einsam. Die Ehe war kinderlos geblieben, sie hatte keine Freundin, keine Vertraute, keine Geschwister, ihre Eltern galten seit 1915 in Deutsch-Südwestafrika als vermisst, waren vermutlich bei der Eroberung durch die Südafrikanische Union ums Leben gekommen, was sie aber nicht besonders berührte. Sie kannte ihre Eltern kaum, die schon 1885 in die deutsche Kolonie gezogen waren. Dort wurde sie auch geboren. Die Erziehung übernahm eine Gouvernante und mit 6 Jahren gab man sie in ein englisches Internat. So kam es, dass sie jetzt den einzigen intellektuellen Austausch mit ihrem Arzt, Dr. Gerald, hatte, der sich nicht nur um die Gesundheit der Gutsarbeiter kümmerte, sondern ihr auch zuverlässig das Rizinusöl besorgte, das sie regelmäßig benötigte, um ihre chronische Verstopfung zu lösen. Zwar hatte er ihr einmal nahegelegt, sich besser Einläufe geben zu lassen, aber das tat er wirklich nur einmal, so heftig war die Reaktion der Freifrau, die stets wusste, was sie wollte und es auch durchzusetzen vermochte.

Sie führte das Gut jetzt mit preußischem Pflichtbewusstsein alleine weiter. Da sie überzeugt war, dass man ihr als Frau nur dann den nötigen Respekt entgegenbringen würde, wenn sie Disziplin und äußerste Härte an den Tag legt, tat sie das mit strenger Hand. Mit sehr strenger Hand.

Sie erstellte einen unmissverständlichen Regelkatalog, gegen den zu verstoßen nicht ratsam war; eine Züchtigung war unausweichlich.

Brunhild hatte in dem englischen Internat die eindrucksvolle Bekanntschaft mit dem Rohrstock gemacht, den die Briten aus ihren Kolonien importierten und der eine zentrale Rolle in der Erziehung der Kinder und Jugendlichen spielte. Gerne hätte sie ihn für die Züchtigungen auf ihrem Gut verwendet, aber da war in den Kriegszeiten natürlich nicht heranzukommen. Haselruten waren ein halbwegs brauchbarer Ersatz. Hermann, einer der Stallburschen, hatte dafür zu sorgen, dass stets frische Ruten in der Eingangshalle des Gutshauses in einer großen Milchkanne standen. Er war es auch, der die Züchtigungen bei den Männern durchzuführen hatte.

Bei den Frauen führte die Gutsherrin selbst die Rute, was ihr zunehmend lästig war.

Derart konsequent organisiert lief das Gut durchaus erfolgreich, wenn sich auch die Lebensfreude nach Peters Tod bei Brunhilde einfach nicht wieder einstellen wollte.

Im Januar 1944 stand plötzlich Dr. Gerald auf dem Anwesen. Mit einem kleinen Kanister, mehreren Kartons, einem Koffer und seiner Krankenschwester. Er erklärte der entsetzten Freifrau, dass er nicht mehr praktizieren dürfe, weil herausgekommen war, dass die Mutter seiner Frau einen jüdischen Vater hatte. Die Reichsärztekammer hatte ihm sofort die Approbation entzogen und ein Kommando der SS plünderte seine Praxis. Das einzige, was er jetzt noch an medizinischer Ausrüstung hatte waren ein paar Sachen aus dem Vorratslager, das die Schergen nicht entdeckt hatten: Ein kleiner Kanister Rizinusöl, vier emaillierte Irrigatoren, einige Schläuche, Mutterrohre und Darmrohre, ein paar Fieberthermometer, eine Ohrenspritze, ein Politzerball, Verbandszeug und etwas Jod. Und seine Krankenschwester Herta, eine junge, leicht vollschlanke blonde Frau von 25 Jahren. Die sollte auf dem Gut einziehen und sich fortan um die Gesundheit des Personals kümmern, gab es doch nun in der Gegend keinen Arzt mehr. Außerdem brauchte sie eine neue Anstellung, damit sie nicht in einem Frontlazarett arbeiten musste.

Dr. Gerald ließ die Utensilien und Schwester Herta auf dem Gut und machte sich eiligst davon. Er wollte versuchen, mit seiner Frau in die Schweiz zu fliehen, was allerdings nicht einfach werden würde.

Der Arzt hatte Schwester Herta gut ausgebildet. Sie wusste, wie man Kranken auch ohne Medikamente helfen kann. Die Erstmaßnahme war: der Einlauf. Jeder, der in ihr Behandlungszimmer kam (man hatte ihr ein recht großes Zimmer in dem Gutshaus als Behandlungszimmer eingerichtet) bekam einen Einlauf. Egal, welcher Art die Beschwerden waren. Das führte zum einen dazu, dass es den Kranken in der Regel hinterher besser ging, es führte aber auch dazu, dass es sich die Leute gut überlegten, ob sie krank waren, oder besser nicht. Woran es nun auch immer lag, jedenfalls sank der Krankenstand nicht unerheblich.

Für Brunhild Freifrau von Hohenasten galt das natürlich nicht. Zum einen war sie, abgesehen von ihrer chronischen Verstopfung, nie krank, zum anderen hätte sie es niemals zugelassen, dass man ihr einen Einlauf macht. Einen einzigen hatte sie in ihrem Leben bekommen. In dem englischen Internat. Dort hatte sie zum ersten Mal überhaupt eine Verstopfung und war zu den Schwestern gegangen, die sich aufopferungsvoll um die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler kümmerten. Sie musste sich ausziehen, durfte nur das Unterhemd anbehalten, der Bauch wurde abgetastet und mit einem Hörrohr forschten die Schwestern nach Verdauungsgeräuschen. Als sie dann mit dem Irrigator nahten, wusste Brunhild überhaupt nicht, was das ist. Erst als das Darmrohr in ihren After geschoben wurde begriff sie, was da passierte. Sie schrie, strampelte, schlug um sich, biss einer Schwester gar in die Hand, was ihr allerdings im Nachhinein eine Züchtigung mit dem Rohrstock einbrachte. Am Ende waren alle drei Schwestern und noch zwei herbeigerufene Mitschülerinnen nötig, um die Verstopfte zu bändigen und soweit zu fixieren, dass ihr gefahrlos der Einlauf gesetzt werden konnte. Bis auf den letzten Tropfen bekam sie die Kernseifenlösung verabreicht. Danach wollte sie natürlich sofort aufspringen und zur Toilette rennen, aber man stopfte ihr ein Handtuch in die Poritze und presste mit aller Gewalt die Gesäßbacken zusammen. Zehn lange Minuten wurde sie von den drei Schwestern und zwei Mitschülerinnen am Aufspringen gehindert. Zu allem Überfluss durfte sie danach nicht auf die Toilette laufen, hätte es sicher auch nicht geschafft, sondern musste sich in einen Eimer entleeren, den man ihr schnell neben die Liege stellte.

Dieser gegen ihren Willen und mit großer Gewalt durchgeführte Einlauf war das Schlimmste, was ihr bis dahin widerfahren war. Die Tatsache, dass zwei Mitschülerinnen dabei waren und ihr auch noch fasziniert zuguckten, als sie ihren Darminhalt in den Eimer kackte, machte das Ganze natürlich noch schlimmer und zum Thema Nummer eins auf dem Internat. Zum Glück war die Verstopfung noch nicht chronisch und das letzte halbe Jahr, das sie noch in dem Internat bleiben musste, bis sie ihren Abschluss hatte und nach Deutschland zurückkehren konnte, brauchte sie keinen Fuß mehr in das Schwesternzimmer zu setzen. Aber eines schwor sie sich: Nie, nie wieder, unter keinen Umständen, niemals würde sie noch einen Einlauf bei sich zulassen.

Ihr war klar, dass sie, bedingt durch Dr. Geralds Flucht, kein Rizinusöl mehr bekommen würde. Jetzt galt es, mit dem vorhandenen auszukommen. In dem Kanister von Dr. Gerald waren drei Liter. Sie benötigte mindestens einmal pro Woche zwei Esslöffel voll, also 30 ml. Sie hatte somit einen Vorrat für knapp zwei Jahre. Schwester Herta konnte sie jedenfalls nichts davon überlassen, obwohl sie schon danach gefragt hatte. Gab es doch unter den Leuten auf dem Gut einige, die eine panische Angst vor dem Einlauf hatten. Als die Freifrau das erfuhr, kam ihr eine Idee.

Schwester Herta war zunächst nicht bereit, Strafeinläufe zu geben, aber als ihre Gutsherrin ihr im Gegenzug zusicherte, dass der Regelkatalog auf sie nicht angewendet würde, sie somit nicht Gefahr lief, gezüchtigt zu werden, stimmte sie zu.

Brunhild Freifrau von Hohenasten hatte wohl doch eine kleine sadistische Ader. Jedenfalls war es ganz schön perfide, was sie sich da ausgedacht hatte. Wenn eine Frau, und diese Strafe erhielten ausschließlich Frauen, zu einem Strafeinlauf verurteilt wurde, musste sie sich bei Schwester Herta einen Irrigator abholen, in dem sich schon Kernseifenflocken und Salz befanden. Damit hatte sie dann in die Gutsküche zu gehen, wo man ihn mit kochend heißem Wasser füllte. Natürlich hatte Schwester Herta auch heißes Wasser in ihrem Behandlungszimmer, aber es gehörte zu der Strafe, möglichst viele Leute mit einzubeziehen. Das Schwesternzimmer und der neue, direkt daneben liegende, eigens für die Einläufe eingerichtete Raum gingen direkt von der Eingangshalle des Gutshauses ab. Neben der Tür standen als Wartebereich drei Stühle und auf einem musste die verurteile Frau mit dem Irrigator in der Hand sitzen, bis das Wasser auf 40 Grad abgekühlt war. Und in dieser Zeit liefen jede Menge Leute durch die Halle. Ab und zu kam Schwester Herta und kontrollierte die Wassertemperatur. Die ganze Situation war peinlich und demütigend. Und zu wissen, dass der ganze nach Kernseife riechende Inhalt des Irrigators, die ganzen zwei Liter, demnächst in ihren Darm laufen und dort für einiges Ungemach sorgen würde, machte die Situation keineswegs besser. Wenn das Wasser dann nach schier endloser Wartezeit die richtige Temperatur hatte, empfanden es viele Frauen geradezu als Erleichterung, endlich in das Einlaufzimmer gehen zu können. Aber hier begann ja erst die eigentlich Strafe. Es wurden, um es noch peinlicher zu machen und damit es auf dem Gut schnell die Runde machte, wie sich die Frauen bei dem Strafeinlauf verhielten, zwei Hausdamen hinzu geholt. Der Einlauf wurde selbstverständlich in der Knie-Ellenbogen-Lage verabreicht. Überflüssigerweise spreizten die Hausdamen dann den Po der Delinquentin und Schwester Herta führte das lange und dicke Darmrohr komplett ein. Dabei waren die Verurteilten meistens merkwürdig still, atmeten kaum. Das änderte sich stets schlagartig, wenn die Brühe einlief. Dann begann das große Stöhnen, Flehen, Jammern, Schreien und Zappeln. Die Hausdamen sorgten jetzt mit eisernen Griffen dafür, dass die Knie-Ellenbogen-Stellung auch beibehalten wurde oder presste die Pobacken kräftig zusammen, wenn schon etwas von dem Sud aus dem Darm herausspritzte. Es war eine Tortur für die Verurteilten, aber fast noch schlimmer waren die 10 Minuten, die sie, von Krämpfen geplagt, ausharren mussten, bis sie sich vor den Augen der Hausdamen in einen Eimer entleeren durften, ganz genau wie Brunhild damals in dem englischen Internat. Danach bekamen sie noch einen hohen Reinigungseinlauf mit Kochsalzlösung, um die Seifenreste herauszuspülen. Und erst nachdem sie sich auch nach diesem Einlauf in den Eimer entleert hatten, wurden die Hausdamen entlassen. Die sowieso schon hart bestraften Frauen mussten jetzt noch das Einlaufzimmer reinigen und zu guter Letzt den Eimer nach draußen tragen und den Inhalt auf den Misthaufen kippen. Damit auch das Stallpersonal seinen Spaß hatte.

Wenn Brunhild die Zeit fand, ging sie gerne in den Einlaufraum und beobachtete die Prozedur mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen, wenn die Erinnerung an ihren ersten und einzigen Einlauf wieder gegenwärtig wurde. Eine Gänsehaut bekam sie jedes Mal.

Am 24. November 1944 verließ Adolf Hitler die Wolfsschanze endgültig. Da war das Artilleriefeuer der näherrückenden Truppen der Roten Armee bei Nordostwind schon zu hören.

Im Januar 1945 hörte man das Artilleriefeuer auch bei Südwestwind und als am 29. Januar ein GAZ-64, ein sowjetischer „Jeep“, an dem Gut vorbeifuhr wusste sie, dass es höchste Zeit war.

Sie packte das Nötigste zusammen. Ein paar Klamotten, Geld, das Foto, auf dem sie, ihr Mann und Adolf Hitler gut gelaunt abgebildet waren, als der sogenannte Führer mal die Ostgebiete bereiste und verdienten Parteifreunden einen Besuch abstattete, und natürlich den Kanister mit dem Rest Rizinusöl.

Ohne irgendjemanden zu informieren bestieg sie am frühen Morgen des 30. Januar die Fieseler Storch und ließ das Gut, Hermann, Schwester Herta und alle anderen im Stich. Der Tank des Flugzeugs war ziemlich leer, bis nach Norddeutschland würde sie es nicht schaffen, würde vielleicht auch an der Navigation scheitern, aber bis zur Ostsee sollte der Sprit reichen. Und da musste sie ja nur nach Westen fliegen. Ziemlich schnell hatte sie das Meer erreicht und flog die Küste entlang. In Gotenhafen, dem jetzigen Gdynia, sah sie einen stolzen Passagierdampfer liegen. Sie erkannte ihn sofort. Peter und sie durften mal eine Kreuzfahrt auf dem KDF-Schiff, der Wilhelm Gustloff, machen. Auf das Schiff wollte sie. Allerdings sah es so aus, als würde es bald ablegen. Jedenfalls kam ordentlich Rauch aus den Schornsteinen. Sie landete schnell auf dem Eis der Ostsee, nahm ihre Tasche und den Kanister und lief zu dem Schiff. Ein SS-Sturmbannführer hielt sie auf, der Dampfer sei schon überfüllt, da käme keiner mehr rauf. Sie regte sich furchtbar auf, prahlte mit ihrem Namen und ihrer Verbindung zu Hitler persönlich, aber vergebens. Die Wilhelm Gustloff legte ohne sie ab. Später erfuhr sie, dass das Schiff von einem sowjetischen U-Boot, der S-13 unter dem Kommando von Alexander Iwanowitsch Marinesko, versenkt wurde. 1239 Personen überlebten, ca. 9000 Menschen fanden den Tod. Da war sie dem Sturmbannführer doch recht dankbar.

Aber zunächst lief sie wütend und aufgebracht durch den Hafen und entdeckte dabei einen heruntergekommenen Fischkutter. Sie wurde sich mit den Fischern schnell einig und sie brachten sie, hart an der Küste durch seichtes Gewässer fahrend, nach Kiel. Sie war jetzt weit genug im Westen, um vor der Roten Armee sicher zu sein, aber sie war jetzt auch so gut wie pleite. Die Fischer hatten sich ihre Dienste gut bezahlen lassen.

Sie kam zunächst auf einem Bauernhof unter, schlief in der Scheune auf Stroh. Man war nicht besonders nett zu ihr, sie war ein Flüchtling und Flüchtlinge mochte man nicht.

Nicht weit von ihr, in Flensburg, initiierte Großadmiral Karl Dönitz die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht, die am 7. Mai 1945 von Generaloberst Alfred Jodl in Reims in Frankreich unterzeichnet wurde und am 8. Mai in Kraft trat.

Das wars mit dem Traum von der Weltherrschaft, Deutschland war zerstört und die Siegermächte beschlossen, dieses kriegslüsterne Volk, das fast in Gänze „Sieg Heil“ gebrüllt hatte, erst mal ein bisschen leiden zu lassen. Im amerikanischen, englischen und französischen Sektor bis zum 8. April 1948, da wurde der Marshallplan beschlossen, im sowjetischen Sektor deutlich länger.

Brunhild Freifrau von Hohenasten wollte nicht leiden.

Im Norden Deutschlands richteten sich die Engländer ein. Das war ihre Chance. Sie sprach perfekt Englisch, kannte die Mentalität durch ihre Internatszeit nur zu gut. Also wurde sie bei der britischen Militärverwaltung vorstellig. Der englische Oberst, der sie empfing, Colonel Porter, hörte interessiert zu, als sie in bestem Oxfordenglisch erklärte, dass sie Englischlehrerin sei und von den Nazis, die sie schon immer verabscheut hätte, gezwungen wurde, nach Ostpreußen zu gehen. Ihre Papiere seien auf der Flucht verloren gegangen und ihr Name wäre Maria Stein. Als Colonel Porter dann noch erfuhr, dass sie auf dem gleichen Internat war wie er selbst, brachte er sie umgehend in einer Pension unter, wo sie ein kleines möbliertes Zimmer bezog. Und in einer nahe gelegenen Schule setzte er sie als Englischlehrerin ein.

Das war einfach.

Nur war sie eben keine Lehrerin. Sie hatte ihre Erfahrungen als Schülerin, die geprägt waren vom Rohrstock, und ihre Erfahrungen als Gutsherrin, wo sie mit härtester Hand für Disziplin sorgte. Diese Umstände machten sie zu einer gefürchteten Lehrerin. Es war kein Problem, von den Engländern ein paar Rohrstöcke zu bekommen, die sie sorgsam in Salzwasser wässerte, auf dass sie schön biegsam wurden und somit höllisch schmerzten, ohne ernsthaft zu verletzen. So kannte sie es aus dem Internat.

Eine Schülerin musste besonders unter ihr leiden. Johanna Zimmermann. Ihr Vater war Sozialdemokrat und im KZ Neuengamme umgebracht worden. Die Tochter eines Sozis! Schlimmer ging es für Brunhild, die sich jetzt Maria nannte, kaum. Die sechs Monate, die Johanna bei Maria Stein Unterricht hatte, bis sie mit der Schule fertig war und eine Ausbildung zur Krankenschwester begann, waren für sie die Hölle. Strafarbeiten, Nachsitzen, in der Ecke stehen, und immer wieder Züchtigungen mit dem Rohrstock. Kein Schüler, keine Schülerin musste unter Maria Stein so leiden, wie Johanna.

Natürlich wurde ihre Mutter bei der Lehrerin vorstellig, nur war sie eben die Witwe eines Sozialdemokraten und wurde von ihr kaum beachtet.

Aber man trifft sich immer zweimal im Leben. Mindestens.

Der Kanister war leer. Brunhild Freifrau von Hohenasten, alias Maria Stein, hatte kein Rizinusöl mehr. Also suchte sie eine der wenigen Arztpraxen auf, die es 1946 schon wieder gab. Dr. Hartmann hatte noch einen gewissen Vorrat. Aber er hatte auch eine Arzthelferin. Frau Schulz. Die Mutter von Johanna.

Zwei Jahre lief soweit alles gut. Maria Stein bewohnte immer noch in der Pension von Frau Bendfeld ein möbliertes Zimmer mit Etagenklo, arbeitete weiterhin als gefürchtete Englischlehrerin, bekam ihr Rizinusöl und die Rohrstöcke hielten, trotz intensiver Benutzung, dank guter Pflege auch noch.

Gegen Ende des Jahres 1948 erklärte Dr. Hartmann der ehemaligen Freifrau, dass sein Vorrat an Rizinusöl praktisch aufgebraucht wäre und er ihr ohnehin raten würde, lieber mit Einläufen abzuführen. Ihre Reaktion auf diesen Vorschlag beeindruckte ihn ähnlich, wie seinerzeit Dr. Gerald, als der ihr den gleichen Vorschlag machte. Maria flehte Dr. Hartmann an, alles Erdenkliche zu unternehmen, um noch etwas von dem Öl zu besorgen. Er versprach es und gab ihr seine unwiederbringlich letzte Dosis.

Wie zu erwarten war, stand Brunhild, alias Maria, nach zwei Wochen wieder in der Praxis, erfuhr aber nur, dass in einer Woche Ware kommen sollte, da könnte Rizinusöl dabei sein. Frau Schulz würde es dann vorbeibringen, sie wohne ja ganz in ihrer Nähe.

Die Ware kam, aber kein Rizinusöl. Im Lieferschein stand: Nicht lieferbar.

„Frau Zimmermann, wir müssen dringend etwas mit Frau Stein unternehmen“, sagte Dr. Hartmann, „gehen sie doch bitte nachher mal zu ihr nach Hause und sagen ihr, dass sie morgen in die Praxis kommen soll. Wir müssen ihr unbedingt einen Einlauf geben. Ob sie nun will, oder nicht.“

„Aber morgen habe ich frei, meine Tochter kommt doch gleich auf dem Bahnhof an. Ich bin ja so stolz, sie ist jetzt eine fertig ausgebildete Krankenschwester. Wir wollen morgen doch zusammen sein, wir haben uns so lange nicht gesehen.“

„Ach ja. Das hatte ich vergessen. Liebe Frau Zimmermann, dann seien sie doch bitte so gut und nehmen sie einen Irrigator mit zu Frau Stein und geben sie ihr den Einlauf zu Hause bei ihr. Ihre Tochter kann sie ja unterstützen.“

„Das kann ich gerne machen, Dr. Hartmann, aber Frau Stein wird nicht begeistert sein.“

„Ich gebe Ihnen eine Verordnung mit, geben Sie sie ihr, dann wird sie sich schon fügen.“

Also packte Frau Zimmermann eine Tasche mit allem, was man für den Einlauf so benötigt und ging zum Bahnhof.

Johanna war nie ein Luftikus gewesen, die schweren Jahre mit den Nazis, der frühe, gewaltsame Tod des geliebten Vaters, die entbehrungsreichen Jahre danach und als Krönung noch Maria Stein, an deren Ungerechtigkeit ihr gegenüber und an deren erbarmungslosen Züchtigungen sie fast zerbrochen wäre, hatten sie früh reifen lassen. Zudem war sie außergewöhnlich intelligent und aufregend schön.

Dank Colonel Porter konnte sie ihre Ausbildung in England machen. Das waren die zwei schönsten Jahre ihres Lebens. Man begegnete ihr, obwohl sie Deutsche war, mit großer Freundlichkeit und Respekt. Der Unterricht war streng, aber der Rohrstock, obwohl er optisch allgegenwärtig war, kam nicht zum Einsatz. Sie hat wunderbare Freundschaften geschlossen und ihr Selbstvertrauen wuchs und wuchs. Es schmerzte nur, dass sie es sich nicht leisten konnte, zu Weihnachten nach Hause zu ihrer Mutter zu fahren.

Und so kam es, dass Frau Zimmermann ihre Tochter nach zwei Jahren das erste Mal sah, als sie stolz, schön, streng und mit ihrem ganzen Körper eine beachtliche Autorität ausstrahlend in voller Schwesterntracht aus dem Zug stieg.

Mit Tränen in den Augen lagen sich Mutter und Tochter in den Armen.

„Wozu hast du die Tasche dabei? Willst du noch einen Hausbesuch machen?“, fragte Johanna.

„Ja, bei deiner alten Lehrerin, Frau Stein. Sie hat wieder eine schlimme Verstopfung und es gibt kein Rizinusöl mehr. Ich muss ihr einen Einlauf machen, sie hat aber große Angst davor. Magst du mir dabei helfen?“

Johanna stutzte einen Moment, willigte dann aber sofort ein.

Sie klopften bei der Wirtin, Frau Bendfeld, und erkundigten sich, in welchem Zimmer Maria Stein wohnt. Dann baten sie Frau Bendfeld, die Toilette auf Frau Steins Etage frei zu halten, weil sie ihr einen Einlauf geben müssten.

„Das wird aber auch Zeit“, sagte die Wirtin, „bei mir hat sie neulich nach Rizinusöl gefragt und als ich ihr meinen Irrigator für einen Einlauf anbot, wurde sie direkt beleidigend. Wenn sie nicht von den Engländern hier untergebracht worden wäre, hätte ich sie sofort aus dem Haus geworfen.“

„Ah, sie bringen mir mein Rizinusöl“, sagte Frau Stein, als sie die Tür öffnete und zunächst nur Frau Zimmermann sah.

„Nein, es tut mir leid, aber Rizinusöl wird es in der nächsten Zeit nicht geben. Wir sind gekommen, um Ihnen einen Einlauf zu machen“.

Ihrem ersten Impuls, die Tür sofort zuzuschlagen, widerstand Maria Stein mühsam, fragte stattdessen: „Was meinen sie mit ‚wir‘?“

Da schob sich auch Johanna in ihrer Schwesterntracht vor die Türöffnung und Frau Stein wurde noch blasser. „Ein Einlauf kommt überhaupt nicht infrage“, sagte sie bestimmt.

„Das ist richtig“, antwortete Frau Zimmermann schelmisch, „deshalb hat Dr. Hartmann auch zwei Einläufe angeordnet.“ Sie drückte der erschrockenen Lehrerin die Verordnung in die Hand.

Frau Stein stammelte, dass es ihr egal wäre, was der Arzt schreibt. Sie lehne einen Einlauf kategorisch ab.

Da schaltete sich Johanna ein. Mit ihrer für eine achtzehnjährige ganz außergewöhnlichen Autorität sagte sie: „Frau Stein, sie haben mich auf eine unmenschliche Art gequält. Aber wenn ich, außer Englisch, etwas bei Ihnen gelernt habe, dann sind das die Werte, die Sie uns immer wieder gepredigt haben. Dass wir vor Autoritäten wie Lehrern, Eltern, Polizisten, Ärzten Respekt haben müssten und deren Anordnungen Folge zu leisten hätten, auch wenn es unangenehm sein sollte. Und dass wir eventuelle Konsequenzen still und demutsvoll zu ertragen hätten. Das waren die Worte, die mich Ihre Züchtigungen ertragen ließen. Die dafür sorgten, dass ich nicht an Ihren Schlägen zerbrochen bin. Und jetzt stehen sie hier und verraten Ihre eigenen Werte? Was sind Sie nur für ein schwacher Mensch?“

Das saß. Dem hatte Maria Stein nichts mehr entgegenzusetzen. Vollkommen resigniert ließ sie die Witwe und die Tochter des Sozis in ihr Zimmer und musste hilflos und verzweifelt mit ansehen, wie auf ihrem kleinen Kocher Wasser erhitzt wurde, wie Frau Zimmermann die rote Gummiunterlage auf ihr Bett legte, wie Johanna eine ordentliche Menge Kernseife in den Irrigator raspelte, und zwar etwas mehr, als gemeinhin üblich, wie sie den Schlauch auf den Irrigatorstutzen steckte und mit der Schlauchklemme abklemmte, wie sie danach das Darmrohr, und zwar das dickste und längste, das es in der Praxis gab, aus der Tasche nahm und sorgfältig einfettete, wie Frau Zimmermann das erwärmte Wasser in den Irrigator füllte und kräftig umrührte, bis sich die Kernseife aufgelöst hatte und die Lauge ordentlich schäumte.

Wie durch Watte hörte Maria Stein ihre ehemalige Schülerin sagen, dass sie Schuhe, Rock und Mieder ausziehen und sich in linker Seitenlage auf das Gummituch legen und dann die Beine ein bisschen anwinkeln soll.

Wie eine Marionette an Fäden, in keiner Weise selbstbestimmt, ganz mechanisch folgte Frau Stein den Anweisungen. Starr und steif vor Angst, kaum des Atmens fähig. Und als Johanna beherzt die rechte Pobacke ergriff und nach oben zog und das Darmrohr langsam in den After schob, da wurde ihr heiß und kalt gleichzeitig, sie fühlte, dass sich etwas kolossal verändern würde, dass sie etwas verlieren würde, sie wusste nur nicht genau, was.

Für Johanna war es eine Genugtuung, ihre ehemalige Peinigerin hilflos und voller Angst zu erleben. Sie hatte gedacht, dass es eine Art Rache sein könnte, wenn sie ihr das dicke Darmrohr einführt und das Seifenwasser einlaufen lässt. Aber dieses Gefühl wollte sich nicht recht einstellen. Dazu war sie zu sehr Krankenschwester. Und sowieso stieß das Darmrohr sehr schnell auf einen Widerstand. Sollte das schon der verhärtete Kot sein? Sie bat ihre Mutter um Hilfe, die das Darmrohr ergriff und etwas zurückzog und wieder vorschob, hin und her. Frau Stein stöhnte deutlich vernehmbar auf.

“Ja, das ist der Kot. Na, da wird nicht viel hineinpassen“, sagte sie, während sie wieder zum Irrigator griff. Johanna verband jetzt den Schlauch mit dem Darmrohr und öffnete die Klemme. Frau Stein stöhnte noch lauter und kaum war ein viertel Liter eingelaufen, krallte sie sich in ihr Bettlaken, strampelte mit den Beinen und schrie: „Stopp, stopp, aufhören, ich kann nicht mehr“, und so weiter.

Johanna sah ihre Mutter fragend an, die nickte. Also schloss die Tochter die Klemme wieder und zog ganz langsam das Darmrohr aus Maria Steins Po.

Die wollte sofort zur Toilette laufen, musste aber noch ein paar Minuten ächzend und stöhnend aushalten, bevor sie ein Handtuch in die Gesäßritze bekam und aufstehen durfte. Schnell warf sie sich ihren Bademantel über und rannte aus dem Zimmer auf den Flur zur Etagentoilette. Merkwürdig viele Hausbewohner tummelten sich dort und guckten ihr sehr interessiert zu, wie sie mit verkniffenem Gesicht, eine Hand fest gegen ihren Po gepresst, zur Toilette lief. Natürlich hatte Frau Bendfeld eiligst ihre Mieter darüber informiert, was gleich mit Frau Stein geschehen würde, die in dem Haus nicht besonders beliebt war mir ihrer arroganten Art.

Nach geraumer Zeit kam sie wieder in ihr Zimmer, blass, verschwitzt, kleinlaut. Sie hatte zwar ordentlich Stuhlgang gehabt, war aber sehr entschlossen, alles zu versuchen, um wieder an Rizinusöl zu gelangen. Nicht nochmal einen Einlauf. Außer dem zweiten von Dr. Hartmann verordneten. Der musste sein, das fühlte sie selbst.

Trotzdem war sie einigermaßen entsetzt, dass sie nun die Knie-Ellenbogen-Lage einnehmen musste. Wie sie selbst damals im Internat und wie die armen Frauen, die auf ihrem Gut einen Strafeinlauf bekamen. Ach, ihr Gut …

Diese Stellung war einfach nur entwürdigend. Und jetzt fummelte ihre ehemalige Schülerin schon wieder an ihrem Po herum und führte das Darmrohr ein. Womit hatte sie das nur verdient, fragte sie sich und wusste es doch insgeheim.

Es war nicht einfach. Johanna musste es immer wieder ein Stück herausziehen und in einem etwas anderen Winkel wieder hineinschieben, die Prozedur war für Frau Stein äußerst unangenehm, aber am Ende war das Darmrohr komplett eingeführt. Bis zum Anschlag. Und genauso kompromisslos ließ Johanna die zwei Liter Seifenlauge in den Darm ihrer ehemaligen Lehrerin laufen, die, nachdem sie von Mutter und Tochter barsch aufgefordert wurde, endlich den Mund zu halten, tatsächlich mit dem Jammern und Flehen aufhörte und den Einlauf, abgesehen von leisem Stöhnen, still ertrug. Nur ihre Hände krallten sich wieder in das Bettlaken und ihr Gesicht zeigte die abenteuerlichsten Grimassen.

Volle zehn Minuten musste sie das Kernseifenwasser halten und es schienen ihr die längsten zehn Minuten ihres Lebens zu sein, dann durfte sie wieder auf das Etagenklo, wo sie ziemlich lange blieb.

Wenn Mutter und Tochter Zimmermann sich angemeldet hätten, dann, ja dann hätte Frau Stein wahrscheinlich an das Foto gedacht. Aber durch den Schreck, ja Schock fast, angesichts des drohenden Einlaufs, hatte sie es einfach vergessen. Johanna sah sich in dem Zimmer um, als sie auf Frau Stein warteten. Und da entdeckte sie es, das kleine gerahmte Foto, das Adolf Hitler, einen hohen Offizier der Wehrmacht und eine Frau abbildete, die eindeutig Frau Stein war. Hatte sie ihren Schülern nicht immer erzählt, dass sie die Nazis hasst? Dass sie gezwungen wurde, nach Ostpreußen zu gehen? Und außerdem kam ihr das Foto irgendwie bekannt vor. Was hatte das alles zu bedeuten? In ihrem Kopf arbeitete es.

Sie war etwas abwesend, als Frau Stein wieder ins Zimmer kam und von einem nahezu unvorstellbar ergiebigen Stuhlgang berichtete und dass sie aber immer noch starke Krämpfe hätte. „Die kommen von den Seifenresten in Ihrem Darm“, hörte sie ihre Mutter sagen, „dann sollten wir noch einen Klarwassereinlauf machen.“

Frau Stein war erneut fassungslos, aber die Krämpfe waren so stark, dass sie einwilligte. Als Johanna das Darmrohr ergriff, fragte sie sich, ob sie das jetzt tatsächlich in einen Naziarsch einführt. Bei dem Gedanken erschauderte sie.

Am nächsten Tag suchte Johanna eine Freundin auf, bei deren Opa sie früher gelegentlich in Propagandabüchern der Nazis blätterte. Tatsächlich hatte er die Bücher aufgehoben und auf dem Dachboden versteckt. Johanna durfte auf den Boden klettern. Sie suchte ein bestimmtes Buch. „Der Führer besucht die Ostgebiete“ hieß es. Sie fand es sehr schnell. Und auf Seite 64 fand sie auch das Foto, das bei Frau Stein auf dem Regal stand. Ihre Erinnerung hatte sie nicht getäuscht. „Der Führer bei Peter Herzog von Hohenasten und seiner Frau Brunhild Freifrau von Hohenasten“, stand unter dem Foto.

Sie fragte den Opa ihrer Freundin, ob sie das Buch habe könne; sie durfte. „Ostpreußen hat mich nie interessiert“, grummelte er.

Colonel Porter schwieg lange, als er das Foto betrachtete. Dann erkundigte er sich bei Johanna, warum sie Frau Stein denunzieren würde. Sie berichtete von der entsetzlichen Schulzeit mit ihr, von den grausamen Züchtigungen mit dem Rohrstock.

Colonel Porter ging es nicht gut, er fühlte sich mitschuldig. Hatte er die Stein doch leichtgläubig als Lehrerin eingesetzt und ihr auch noch die Rohrstöcke besorgt.

Er bedankte sich bei Johanna, behielt das Buch und begann zu telefonieren.

Nach einer guten Woche hatte er die Beweise zusammen: Frau Stein war Brunhild Freifrau von Hohenasten, geb. Brunhild von Often.

Die Militärpolizisten und Colonel Porter fuhren mit zwei Landrovern an der Schule vor, verhafteten die betrügerische Lehrerin und brachten sie in das Internierungslager Bad Fallingbostel. Dort wurde sie zwei Tage und Nächte verhört, bis sie alles zugab.

Wie es nun mit ihr weitergehen sollte, wurde ihr irgendwie nicht klar. Also lebte sie in dem Lager erst einmal vor sich hin und hatte viel Zeit, um über sich und ihre Vergangenheit nachzudenken.

Ihre Verdauung funktionierte nach den Einläufen von Johanna und ihrer Mutter erstaunlich gut, aber so langsam kehrte die Verstopfung zurück. Als es unangenehm wurde, machte sie sich auf den Weg in die Sanitätsbaracke. Sie war an dem Tag ihrer Einlieferung schon einmal dort gewesen. Man hatte sie untersucht, Blutdruck gemessen, abgehorcht, solche Sachen. Damals war sie nicht richtig bei der Sache gewesen, aber sie erinnerte sich, dass es nur zwei große Säle gab, einen für die Männer und einen für die Frauen. Keine Behandlung- oder Untersuchungszimmer, keine Séparées, keine Paravents, nichts. Sie wusste, dass der leitende Arzt Engländer war und war sich sicher, bei ihm Rizinusöl zu bekommen. Nie wieder einen Einlauf, das hatte sie sich nach der Behandlung von den Zimmermanns noch einmal geschworen.

In der Sanitätsbaracke wurde sie von zwei Schwestern empfangen, denen sie ihr Leid schilderte und um Rizinusöl bat.

Die beiden schickten die Freifrau auf Bett 11; sie solle dort warten, sie würden mit dem Arzt reden. In dem Saal standen 40 Betten, auf jeder Seite 20, sie befand sich also ungefähr in der Mitte des großen Raumes auf der linken Seite. Sie setzte sich auf die Bettkante und sah sich um. Ungefähr 30 Betten waren belegt. Ihr gegenüber, auf Bett 22, beziehungsweise neben Bett 22, saß eine Frau mit einem merkwürdig verzerrten Gesicht auf einem seltsamen Stuhl. Neben ihr stand eine Schwester und sagte: „Frau Schneider, nun lassen Sie es doch endlich raus. Verkrampfen Sie sich doch nicht so.“

Was sollte sie rauslassen? Brunhild war es ein Rätsel. Da veränderte sich das Gesicht von Frau Schneider, es wurde zu einer Grimasse und in dem Moment hörte Brunhild etwas plätschern und ihr wurde schlagartig klar: die Frau hatte einen Einlauf bekommen und saß auf einem Toilettenstuhl. Jetzt schlug sich die Frau ihre Hände vor’s Gesicht. Ganz offensichtlich vor Scham; sie ertrug es nicht, sich in der Öffentlichkeit zu entleeren. Das konnte die Freifrau nur zu gut verstehen. Die arme Frau, sie tat ihr unendlich leid. Zum Glück würde sie selbst Rizinusöl bekommen.

In diesem Moment nahten die beiden Schwestern, die sie empfangen hatten. Die eine schob einen Toilettenstuhl, die andere trug einen sehr großen Irrigator. Sie hielten vor Bett 11. Ihrem Bett.

„Anordnung vom Arzt“, bellte die Schwester, die den Irrigator trug, „zwei Wochen lang zwei hohe Einläufe pro Tag, morgens uns abends, danach langsam ausschleichen.“

Brunhild Freifrau von Hohenasten erstarrte. Und in dem Moment wurde dieses Gefühl, das sie so diffus überkam, als Johanna das erste Mal das Darmrohr in ihren Darm einführte, zu einem klaren Gedanken. Sie wusste jetzt, was sich verändern und was sie verlieren würde. Was sie neben all den materiellen Dingen, die sie durch ihre Flucht verloren hatte, zusätzlich noch zu verlieren im Begriff war: ihre Selbstachtung, ja, ihre Würde.

Beides würde dahinfließen in die Abwasserrohre des Internierungslagers in Bad Fallingbostel, herausgespült aus ihrem Innersten durch Einläufe, die ihrem Darm gut taten, aber ihre Seele angriffen.

Und sie ahnte, dass Johanna Zimmermann genau wusste, was mit ihr in diesem Lager geschehen würde. Und dass es der Preis war für all das, was sie in ihrem Leben seit Peters Tod so vielen Menschen angetan hatte.

Epilog:

Colonel Porter sorgte dafür, dass Brunhild Freifrau von Hohenasten kein Prozess gemacht wurde. Sie blieb einfach in dem Internierungslager.

Ob der Arzt in dem Lager sehr weise war, oder ob er der Nazifrau einfach nur die denkbar unangenehmste Therapie angedeihen lassen wollte, lässt sich nicht mehr klären. Fakt ist aber, dass sie von ihrer chronischen Verstopfung geheilt wurde. Sie hat auch nie wieder Rizinusöl genommen. Lediglich eine Klistierspritze hat sie sich, als es in Deutschland sowas wieder zu kaufen gab, besorgt. Der Reiz des Klistiers auf die Darmwand reichte nun bei ihr aus, um eine beginnende Darmträgheit im Keim zu ersticken.

Da die Besatzungsmächte ein Interesse daran hatten, dass Deutschland sich möglichst aus eigenen Kräften wieder aufbaut, konnten Lagerinsassen, die keinen Beruf erlernt hatten, eine Ausbildung machen. Brunhilds Karriere als Gutsherrin in Ostpreußen war definitiv beendet uns so wurde sie, weil sie sowieso den Großteil ihres Lageraufenthaltes in der Sanitätsbaracke verbringen musste, Hilfskrankenschwester.

Am 23. Mai 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Ungefähr zwei Wochen später lösten die Engländer das Internierungslager Bad Fallingbostel als eines der letzten auf.

Brunhild hatte sich in ihrer Internierungszeit mit einer Frau angefreundet, deren Eltern eine kleine private Kurklinik in Bad Pyrmont betrieben, die im Krieg nahezu unversehrt geblieben war. Dort begann sie nun zu arbeiten und wurde, Ironie des Schicksals, die Spezialistin für die subaqualen Darmbäder. Ein Jahr nach der Währungsreform gab es schon wieder einige wohlhabende Menschen in der BRD. Vor allem die Ehefrauen der Industriellen erholten sich in der Kureinrichtung von den Strapazen des Krieges und den ersten Jahren danach, in denen sogar die Privilegierten etwas kürzer treten mussten. Es waren also die eher wohlgenährten Gesäße, die Brunhild auf Darmrohr und Sattel setzte.

Sie blieb, auch nachdem sie in Rente gegangen war, in Bad Pyrmont, wo sie in einfachen Verhältnissen lebte und 1982 recht hochbetagt starb.

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Heinz Vor 6 Jahre  
complete bowel cleansing Vor 6 Jahre  
Heinz Vor 6 Jahre  
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Jupiter Vor 6 Jahre  
Ygo Vor 6 Jahre