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Aufrufe: 2655 Created: 2017.08.25 Updated: 2017.08.25

Die City Praxis

Die City Praxis

Jede Ähnlichkeit zu realen Charakteren ist rein zufälliger Natur und ohne böse Absicht. Beim Schreiben dieser Geschichte sind keine User zu Schaden gekommen 😉

Viel Spass beim Lesen!

LG,

Lana

Etwas unsicher drückte ich den Knopf der Gegensprechanlage. Ich war ein bisschen nervös, schließlich war dies mein erster Arbeitstag in der in Gemeinschaftspraxis von Dr. Sommer und Dr. Winter. Die Tür wurde mit einem Summen geöffnet und ich trat ein. Neugierig beäugten mich die wartenden Patienten als ich an ihnnen vorbei in die Praxis ging. Eleonora, eine erfahrene Krankenschwester, arbeitete als Arzthelferin in der Ordination. Wir stellten uns einander vor und dann zeigte sie mir, wo ich mich umziehen konnte. Die Ärzte waren schon in den jeweiligen Behandlungsräumen.

„Am Freitag kommen unsere ganz besonderen Patienten, musst du wissen“ erklärte mir Eleonora. Auf meine Frage hin, ob sie damit Privatpatienten meine, zwinkerte sie mir zu und sagte: „Ja, so in der Art“. „Womit soll ich denn anfangen?“ fragte ich voller Eifer. „Valentina, heute schaust du hauptsächlich nur zu und lernst einmal unsere Patienten kennen. Sie haben alle sehr unterschiedliche und spezielle Vorlieben, die wir berücksichtigen wollen.“ Nach einem Blick auf die Uhr, schickte sie mich die Tür der Ordination für die Patienten zu öffnen. Zurück am Schalter, schob sie mir einen Bürohocker heran und ich nahm neben ihr Platz. Da kam auch gleich ein Herr in Anzughose, weißem Hemd und Krawatte gekleidet an den Schalter. „Guten Tag Herr W. Sie brauchen wieder ihre übliche Therapie?“ Grinsend sah er mich an und nickte zustimmend. „Gut, sie können schon zur Frau Doktor Sommer rein gehen, sie erwartet Sie bereits. Damit verschwand Herr W. im Behandlungsraum 1. Eleonora wandte sich mir zu. „Das ist einer unser langjährigsten Patienten. Er kommt jede Woche her, um seine „Vitaminspritzen“ zu erhalten. Er ist Kassenpatient und möchte die Medivitan-Spritzen nicht privat zahlen. Deswegen bekommt er nur gekühltes NaCl“. Ich wusste nicht genau, wie ich reagieren sollte. „Aber die helfen ihm dann doch gar nicht“ warf ich ein. „Doch, doch, aber auf einer ganz anderen Ebene“ beruhigte mich die Krankenschwester und sah mich mit einem amüsierten Lächeln an. „Am liebsten hat er es, wenn die Frau Doktor etwas streng mit ihm ist. Und, er tut immer so, als wäre er ganz überrascht, dass er jetzt eine Spritze braucht“ erzählte Eleonora weiter. „Nächste Woche kannst du Frau Dokotor Sommer assistieren und ihn festhalten, da wird er sich besonders freuen“ fügte sie noch hinzu. Ich fand das ein wenig merkwürdig, doch ich hatte gar nicht erst die Möglichkeit, genauer nachzufragen.

Da schritten plötzlich zwei Herren in weißen Tunikas und mt Lorbeerkränzen auf den Köpfen an uns vorbei und nahmen gleich direkt im Wartezimmer Platz. Die Fragezeichen standen mir ins Gesicht geschrieben. „Ah ja, die zwei sind ganz harmlos. Sie halten sich für römische Götter und verbringen die meiste Zeit im Warteraum. Dort diskutieren sie über Gott und die Welt. Sie treffen sich hier öfter auch mit anderen Herren und besprechen alle erdenklichen Arten von Einläufen.“ Mir fiel die Kinnlade runter, darauf hatte ich keinen Kommentar parat. Langsam musste ich mich fragen, was für eine Art Praxis das hier war.

Dann stand plötzlich eine junge Frau vor mir. Sie sah ganz normal aus. Eleonora nickte ihr wissend zu und bat sie, gleich weiter in Behandlungsraum 2 zu gehen. „Das wird etwas länger dauern. Frau L. wünscht sich immer sehr ausführliche Untersuchungen. Dr. Winter betreut sie zwar erst seit etwa eineinhalb Jahren, aber er dürfte seine Sache sehr gut machen. Sie verlässt die Praxis immer mit einem zufriedenen Lächeln.“ „Um himmels Willen, was macht er denn mit ihr da drinnen?“ fragte ich und konnte meine Empörung nicht verbergen. „Im Prinzip nimmt er sich sehr viel Zeit für seine Patienten, ist einfühlsam und geht auf ihre Wünsch ein. Zum Beispiel simuliert Frau L. In regelmäßigen Abständen eine Blinddarmentzündung, nur um rektal gemessen zu werden“ sagte Eleonora, als ob dies ganz selbstverständlich wäre. „Das ist aber auch ein bisschen seltsam“ bemerkte ich spitz. „Viel seltsamer ist, dass ihr der Blinddarm schon als Kind entfernt wurde“ kicherte die sonst so professionelle Krankenschwester.

In der Zwischenzeit war Herr W. mit seiner Behandlung fertig. Mit leidendem Gesichtsausdruck verließ er die Praxis und rieb sich seine schmerzende Pobacke. Da stand auch schon wieder der nächste Patient, gekleidet in Sportklamotten und Laufschuhen, am Schalter. „Guten Tag Herr Rs, wie ich sehe, sind Sie ja bestens vorbereitet“ begrüßte Eleonora den jungen Mann. „Kommen Sie bitte mit, Behandlungsraum 3, hier wird die Ergometrie durchgeführt. Ich schließe Sie mal ans EKG-Gerät an und die Frau Doktor kommt dann zu Ihnen. Übrigens, sie trägt heute einen schwarzen Spitzen-BH“ hörte ich meine Kollegin noch sagen, bevor sie die Tür hinter sich schloss.

Einen Augenblick später kam ein älterer Mann in die Praxis herein. Freudig kam er auf mich zu und fragte mich, wie es mir ging. Ich war etwas überrascht von dieser Frage und gestand, dass ich ein wenig müde war. Das alles hier war neu für mich und ich bemühte mich, mir möglichst viel zu merken. Er lehnte sich an der Theke an, während er mich zu mustern schien. „Haben Sie schon mal Rizinusöl eingenommen?“ Irgendwie fehlte mir da jetzt der Kontext und ich schüttelte schweigend den Kopf. „Ich sag‘ Ihnen Fräulein, 60ml Rizinusöl ab und an bewirken wahre Wunder.“ Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, aber das störte den Alten nicht. Unbeirrt fuhr er fort: “Rizinusöl kann auch täglich eingenommen werden. Mit Verlaub, ich halte es für unbedenklich und es bringt auch keinen Gewöhnungseffekt mit sich.“ Ich konnte mir gerade noch ein Gähnen unterdrücken, als Eleonora wieder neben mir auftauchte. „Ihre Bestellung, Herr Ri ist hinten im Lagerraum. Sind sie sicher, dass Sie den 60l-Kanister selbst transportieren wollen?“ Der alte Mann ließ meine Kollegin gar nicht weiter reden. „Ich maße es mir an, zu sagen, dass ich mich bester Gesundheit erfreue und diese Aufgabe mit Leichtigkeit meistern werden. Schließlich…“ „trinke ich jeden Tag mein Rizinusöl“ beendte Eleonora den Satz für ihn.

Die Patienten schienen sich heute die Türklinke gegenseitig in die Hand zu drücken. Schon stand wieder eine Frau vor mir. Sie sah mich kurz an, schüttelte den Kopf und ging direkt weiter ins Wartezimmer. „Wer war die Dame?“ wollte ich von meiner Kollegin wissen. „Ach ja, das ist die Frau C. Sie ist nicht direkt Patientin bei uns, aber sie kommt ab und zu vorbei. Dann lässt sie ein paar Kommentare fallen, befindet unsere Praxis für skurril und geht dann wieder.“ Vom Schalter aus konnte ich hören, dass die Frau sich im Wartezimmer mit den anderen Leuten unterhielt, konnte jedoch kein einziges Wort verstehen. Mein Versuch, dem Gespräch zu lauschen wurde vom nächsten Besucher unterbrochen.

Ein etwas älterer, jedoch charmanter Herr begrüßte mich überschwänglich und stellte sich auch gleich bei mir vor. Herr Doktor E. war hier ebenfalls kein Patient, sondern der Vertretungsarzt. Wir plauderten sehr nett miteinander und schließlich bot er mir auch eine ausführliche Gesundenuntersuchung an, inklusive Gyn-Vorsorge, gerne auch außerhalb der üblichen Ordinationszeiten. Ich versprach ihm, über sein Angebot nachzudenken. Er hatte noch ein wenig Zeit und holte einen großen Karton aus dem Auto. Eleonora bat mich, den Inhalt in den Kühlschrank zu räumen. Also verstaute ich genau 100 Packungen Diclofenac-Zäpfchen von Ratiopharm. „Was hat’s denn mit den vielen Zäpfchen auf sich?“ Obwohl meine Frage an die Krankenschwester gerichtet war, antwortete mir Dr. E.: Tja, das kann ich Ihnen schon sagen. Ich mach‘ hier in 2 Wochen die Praxisvertretung und dann hab‘ ich gerne einen Vorrat da“ erklärte er und zwinkerte mir dabei zu. „Schwester Valentina, ich freue mich schon auf die gemeinsame Zusammenarbeit! Baba und bis in 2 Wochen“ verabschiedete sich er von mir und weg war er.

Der Vorschlag einer „ausführlichen Gesundenuntersuchung“ war ja ganz interessant und gewiss etwas, worüber ich nachdenken würde. Aber das war nicht das Einzige. Die Eindrücke des Tages und die vielen besonderen Patienten, würden mir ebenfalls nicht so schnell aus dem Kopf gehen. Allesamt wirken sie ja ganz sympathisch. Ich bin definitiv schon auf meine nächsten Arbeitstage hier gespannt.

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DerBehandler Vor 5 Jahre  
Ygo Vor 7 Jahre  
n/a Vor 7 Jahre  
Wildflower Vor 7 Jahre  
Ygo Vor 7 Jahre  
Wildflower Vor 7 Jahre  
Cait Vor 7 Jahre  
Wildflower Vor 7 Jahre  
JochenK Vor 7 Jahre  
Cait Vor 7 Jahre  
Master1309 Vor 7 Jahre  
n/a Vor 7 Jahre  
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Heinz Vor 7 Jahre