… damals:
Es gibt kaum Ausnahmen: Alles geht irgendwann einmal den Weg alles Irdischen.
Auch Klistierspritzen. Mutters Exemplar, welches sie mir bereits in meinen frühen Kindheitstagen hatte angedeihen lassen, blickte wohl auch schon lange vor meinen rückwärtigen Empfängen auf eine jubiläumsverdächtige Dienstzeit zurück.
Wenn sie erst einmal dunkelrotbraun und speckig glänzend anzuschauen sind, sich an der Oberfläche feine Risse als Folge zahlloser Saugdruckfrequenzen gebildet haben und die Flussmündung mehr und mehr abzubröckeln droht, findet der unvermeidliche Totalcrash so sicher statt wie der nächste Sonnenuntergang.
Als es passierte, begann sich Mutters Gesichtsausdruck tatsächlich vergleichbar mit einer heraufziehenden Nacht zu verfinstern. Im konkav gewölbten Boden des Bällchens offenbarte sich das Unheil: Ein klaffender Spalt im Gummi verursachte bei Mutter sicht- und hörbare Frusterscheinungen. Immerhin stand ich schon eine Weile in tief gebeugter Stellung und harrte voll hasenherziger Erwartung der unvermeidlichen seifigen Fontäne. Da half auch nicht Mutters vergeblicher Versuch, das böse Leck notdürftig mit überkreuz geklebten Leukoplaststreifen zu verschließen. Irgendwie war ihre etwas naive Idee zur Problemlösung auch wiederum verständlich, da zur damaligen Zeit das Wirtschaftsgeld mehr als knapp war!
Nach ihrer Überlegung konnte letzten Endes nur noch ein in warmem Wasser gleitfähig gemachter, fast fingerdicker Kernseifenspan, als Notzäpfchen dienend, meine Verstopfung auflösen. Weit gefehlt, nur das Torpedo fand als Einzeltreffer der erwarteten Salve den Weg in die Porzellanschüssel, auch wenn Mutter strenge Anweisungen wie „nicht drücken, fest einhalten“ etc. von sich gebend, wie immer mit Plastikschürze bewehrt und in die Hüften gestemmten Armen, voll Erwartung vor mir stand.
Es nützte alles nichts: Eine neue Spritze musste her! Also am nächsten Tag nichts wie hin in die örtliche Drogerie. Ich kannte einen Teil des dortigen Angebotes bereits aus dem Schaufenster. Auf einer Glasplatte aufgereiht standen sie, exakt nach Maß sortiert mit dem Hinweis auf einem mit Kunstschrift beschriebenen Kärtchen: „Klistiere in allen Größen“ Mutter nahm mich mit und mir kam es fast vor, als hätte die neue Gummispritze erst der Anatomie meines Rektums entsprechend angepasst werden müssen. Wie sich aber später herausstellte, sollte sich diese Maßnahme als Auftakt zu einem auditiven Festival meiner Sinnesfreuden erweisen. Zum ersten Mal wohnte ich einem „fachlich qualifizierten“ Austausch zwischen einer Drogistin und meiner Mutter bei.
Wir wurden von der Ladeninhaberin, einer schwarz bekittelten, hageren Frau mit strengem Haarknoten, bar aller weiblichen Attribute und den spröden Charme einer alternativen Strickliesel versprühend in einer gelinde gesagt, finsteren und antiquierten Ladeneinrichtung empfangen. Es entspann sich, so weit ich diese aus meiner Erinnerung wiedergeben kann, die folgende Debatte:
Mutter, mit Blick auf mich gerichtet: „Unser(!) Klistierbällchen ist gestern kaputtgegangen und leckt“
Drogistin: „Da wollen wir aber schnell Abhilfe schaffen“
Sie holte einige verschiedene Größen und Ausführungen, sowohl mit als auch ohne schwarzem Hartgummi-Klistierrohr, aus einem düsteren Wandschrank hervor und baute sie vor uns auf dem Verkaufstresen auf. Eine Furcht einflößende, gewaltige Macht demonstrierende Parade formierte sich direkt vor meinem Gesicht. Ich konnte damals bei meiner Größe gerade eben über die Verkaufstheke schauen, weswegen mir der strenge Geruch von Gummi, nicht einmal als unangenehm empfunden, in die Nase stieg.
Drogistin: „So, da haben wir alle wichtigen Größen“
Mutter: „Er (auf mich weisend) ist nun doch schon größer geworden, da brauche ich schon etwas mehr Inhalt“
Drogistin: „Darauf kommt es aber nicht an. Wichtig ist, dass Ihnen der Ball gut in der Hand liegt und Sie mit dem Druck den wirksamensten Fluss bestimmen können“
Sie nahm eine mit schwarzem Darmrohr, dessen Ende eine mandelförmige Ausprägung krönte und gab sie Mutter in die Hand: „und jetzt probieren Sie mal“.
Mutter: Nö, die ist mir zu groß. Da brauche ich ja beide Hände zu“
Drogistin: „Sie sagten aber doch, dass der Junge größer geworden sei, also diese Inhaltsmenge ist schon richtig“
Mutter: „Nein, ich mache ja immer mehrere Spritzen nacheinander“
Ich: „Die tut aber bestimmt weh“
Drogistin: „Nein, nein, ein Klistier tut doch nicht weh, kleiner Sonnyboy!“
Mutter zu mir: „Du bist jetzt mal still!“
Drogistin: „Nun, wenn er Angst hat, dass es ihm wehtun könnte…“
Mutter: „Ja, am liebsten hätte er, dass ich überhaupt keine mehr kaufe, aber das wäre ja noch schöner“
Drogistin: „Nehmen Sie diese (die größte mit weicher Spitze) mal in die Hand…“
Mutter: „Die ist schon besser, geht mir aber nicht tief genug hinein“
Drogistin: „Ich habe hier noch mal die gleiche Größe, aber mit Kanüle“
Pffft – hffft – pffft – hffft … Mutter war in ihrem Element.
Mutter: „Der Ball ist aber sehr dünn, die Spritze hält bestimmt nicht lange“
Drogistin: „Die sind aber alle so“
Mutter: „Nun, ich nehme sie, aber wenn die schnell kaputt ist, bringe ich sie Ihnen zurück. Ich brauche die sehr oft“
Drogistin: „Ich habe die gleiche Spritze seit Jahren im Gebrauch!“
Mutter: „Auch mit Kernseife und Glyzerin?“
Drogistin: „Mit Seife und Kamillentee“
Mutter: „Damit haben Sie Erfolg?“
Drogistin: „Ja, es muss nur gut warm sein“
Mutter: „Ja, das weiß ich auch“
Es ging noch eine Weile so weiter, es hatten sich inzwischen zwei weitere Kundinnen eingefunden, von denen sich eine ebenfalls am Gespräch beteiligte. Mir sträubten sich die Nackenhaare, als diese fette Matrone allen Ernstes empfahl, das Klistier mit weißem Pfeffer zu versetzen und so spürbar warm wie eben auszuhalten sei, zu verabreichen. Aber Mutter ließ sich glücklicherweise von solchen Empfehlungen nicht beeinflussen und wusste schließlich über Mischung Seifendosis, Verweilzeiten usw. ohnehin alles besser.
Sie kaufte die nach ihrer Ansicht sehr „dünnwandige“ Klistierspritze letztendlich doch und musste für damalige Verhältnisse recht tief ins Portemonnaie greifen. Sie erwähnte das mir gegenüber auch mit dem deutlichem Unterton, dass ich dafür recht dankbar sein könne (!) Ähem…na ja, Mutter war halt so.
…und nun über die Jahrzehnte bis heute:
Meine Frau hatte vor Jahren in einem Sanitätshaus als Ersatz für eine, wie sie meinte, vom Gebrauch „unansehnlich“ gewordene Gummiklistierspritze mit Hartgummirohr gekauft. Nach etwa einem halben Jahr in Gebrauch, stellte sie im seitlichen Druckbereich feine Oberflächenrisse fest.
Das war aber, zumindest nach Überzeugung meiner Frau, ein gerechtfertigter Reklamationsgrund. Hatte sie doch wie fast immer, noch den passenden Kassenbon parat.
Wir betraten gemeinsam das Geschäft und meine Frau steuerte die erstbeste Verkäuferin an, während ich in einigen Abstand hielt. In einem für alle anderen anwesenden Kunden doch recht vernehmbaren „Flüsterton“ sagte sie: „Schauen Sie sich diese Klistierspritze an, nennen Sie das etwa Qualität? Die habe ich erst vor kurzem bei Ihnen gekauft!“ Die Verkäuferin starrte erst auf den Gummiball, dann auf den Kassenbon. Sie meinte entschuldigend, „ich sehe aber keine Risse und die Spritze ist ja fast schon ein halbes Jahr alt“.
„Dann rufen Sie mir ihren Geschäftsführer“.
Die ersten Leute im Laden drehten sich bereits um, als eine Dame reiferen Alters erschien. Sie gab sich sehr freundlich und begleitete meine Frau zu einem Herrn, den sie ihr als Vertreter ihres Lieferanten vorstellte.
„Nun, da bin ich ja bei Ihnen richtig, schauen sie mal hier“.
„Verehrte Frau, das ist doch gewiss einem intensiven Gebrauch geschuldet“
„Na und? Dafür ist eine Klistierspritze ja schließlich da, oder haben Sie etwa eine zu Hause, die sie nicht gebrauchen?“ (oh, oh!)
Der junge Mann wandte sich (sicherlich genervt) mit leisen Worten an die Geschäftsführerin und diese ließ umgehend eine Warengutschrift erstellen…
That’s my wife, live!
Einige Zeit her. Meine Frau beim Kauf, unter anderem, eines Ballondarmrohres im Sanitätshaus. Das Darmrohr war akzeptiert. Normalerweise hätte sie den alten Pumpball wieder gebrauchen können. Den hatte ich aber bei der Wartung unseres Rasenmähers zweckentfremdet und daher wies er dunkle Ölspuren auf und roch nach Benzin. Das ging nun schon mal gar nicht!
„So, nun legen Sie mir noch den Pumpball dazu, dann habe ich alles“.
„Tut mir leid, aber den haben wir im Moment nicht vorrätig, es geht aber auch ohne“.
„Was? Ohne? Übernehmen Sie die Verantwortung, wenn ich von oben bis unten voll eingesegnet werde? Wie können Sie mir einen solch dummerhaften Rat geben?“
Die anderen Anwesenden kamen voll auf ihre Kosten.
Kürzlich erst passiert. Wie bereits erwähnt, ersetzt meine Frau stets „unansehnlich“ gewordene Klistiergeräte durch Neuanschaffung. Dieses Mal eine mittelgroße Gummispritze mit weicher Spitze, welche sie zur Selbstanwendung bei sich selbst bevorzugt.
Der Weg führte uns zum Sanitätsgeschäft, in das sie eintrat, während ich im Auto sitzen blieb. Die sehr transparent gestaltete Schaufensterdekoration ermöglichte mir den freien Blick ins Ladeninnere. Ich beobachtete, dass die Verkäuferin meine Frau ansprach und vernahm, dass sie meiner Frau eine Zeit lang regungslos zuhörte und das Gespräch dann mit einem Kopfschütteln beendete.
Zurück im Wagen folgte ein heftiger Kommentar: „Es kann ja wohl nicht wahr sein, diese Ramschläden verkaufen nur noch Badeanzüge, Stützstrümpfe und alles andere teure und überflüssige Gerät. Ich möge mich für meine Klistierspritze an die Apotheke wenden.“
Na super, dann nix wie hin! Ich stand zur Abwechslung mal wieder als Beobachter ein wenig abseits hinter dem Hühneraugenpflaster-Display.
Meine Frau, schon etwas direkter im Ton:
„Gibt es hier wenigstens noch Klistierspritzen zu kaufen?“
„Ja selbstverständlich, welche Ausführung wünschen Sie denn?“
„Darf ich die mal sehen?“
„Leider sind keine vorrätig, wir müssen sie bestellen“
Meine Frau mit erhobener Stimme:
„Verstehe ich nicht, bin doch nicht die Einzige die noch Klistiere macht, oder?
Im Verkaufsraum entstand schlagartig Totenstille.
„Nein sicherlich nicht, aber mit welcher Form können wir …“
„Ganz einfach, ich möchte einen Klistierball mit weicher Spitze, etwa Größe 6“
Nun gut. Das Bestellte, genau nach Wunsch notiert, sei nach drei Tagen verfügbar.
Der Tag der Abholung. In Sachen Fußpflege mittlerweile fachkundig geworden, stand ich wieder auf meinem angestammten Posten.
Meine Frau auf freundliche Weise:
„Ich möchte die bestellte Klistierspritze abholen“
Nach einiger Zeit und akribischer Suche erschien die Verkäuferin mit einem grauen, neutralen (!) Karton und packte eine blaue Gummispritze mit weißem Kunststoffrohr aus. Von dem Moment an nahm das verbale Unheil seinen unaufhaltsamen Lauf.
Meine Frau: „Hören Sie, ich habe eine rote Gummiklistierspritze mit weicher Spitze bestellt und nicht so ein „amerikanisches Plastikzeug“ (sie hatte die „blauen Dinger“ in den USA gesehen und mit Geringschätzung ignoriert)
Apothekerin: „Das sind aber die heute gebräuchlichen Klistierspritzen“
„Nein, ich will eine rote Gummiklistierspritze mit weicher Spitze, ist das denn so schwierig zu verstehen?“ (Der Ton steigerte sich schon auf Position „leicht gereizt“)
Apothekerin: „Was Sie meinen ist eine Ohrenspritze“
„Ich höre wohl nicht recht. Wenn ich eine Ohrenspritze haben will, dann nenne ich die auch so. Die von mir bestellte Spritze in rot und mit weicher Spitze ist für’s Klistier. Ich bin in diesem Fach lange erfahren und Sie müssen mir nicht erklären, was eine Ohren- und eine Klistierspritze ist. Das Ding da können Sie wegpacken“ (meine Frau hatte inzwischen wieder ein zahlreiches, aufhorchendes Publikum im Laden um sich versammelt)
Die Apothekerin gab sich geschlagen und holte eine einigermaßen große Ohrenspritze hervor.
Meine Frau: „Na bitte, warum nicht gleich so?“
Sprach’s, zahlte und entschwand … mit mir im Schlepptau.
Im „normalen Leben“ ist sie eine sehr umgängliche und ruhige Person, die sich allenthalben sehr vielen Sympathien erfreut. Es sei denn man legt sich mit ihr angesichts ihres zweifelsohne hohen Fachwissens und ihrer reichen beruflichen Erfahrung durch Besserwisserei an.
Ciao