In meiner Kindheit passierten die von dir beschriebenen Situationen tatsächlich
immer wieder.
Sowohl dass darüber gesprochen wurde, dass ich Zäpfchen erhalten habe / werde
oder mir rektal gemessen wurde / werde, als auch dass diese Maßnahmen bei
anderen durchgeführt wurden / werden.
An einige kann ich mich auch bis heute lebhaft erinnern.
Peinlich waren mir beide Situationen. Auch wenn ich die Geschichten über andere
Leidensgenossen hörten schämte ich mich und fühlte mich unwohl.
Einmal unterhielten sich meine Mutter und meine Tante darüber, dass sie ihren
Kindern bei Krankheit die Temperatur rektal messen würden. Ich muss damals so
um die 6 Jahre alt gewesen sein. Meine Mutter berichtete, dass ich kein großes
Theater machen würde. Sie beschrieb wie sie mir mit einem Finger den After ein-
cremte und mir dann das Thermometer "ein bisschen tiefer, damit es auch bleibt
wo es ist" einführte und sie meist die ganze Zeit neben mir sitzen bleiben würde
um es festzuhalten. Als wäre diese genaue Erläuterung nicht bereits peinlich ge-
nug gab sie auch bekannt, dass mir im Fall von Fieber auch noch Zäpfchen geben
würde. "Die wirken dich viel schneller und besser". Ich wäre fast in den Boden
versunken. Dass ich noch Zäpfchen bekam empfand ich sehr demütigend.
Meine Tante berichtete anschließend, dass ihre Kinder (meine Cousinen und mein
Cousin) beim rektalen Fiebermessen und Zäpfchen immer tobten, als würde man
ihnen nach dem Leben trachten und es jedes Mal Geschrei und Tränen gäbe.
Dennoch gäbe es "kein Pardon, denn was sein muss muss sein" und notfalls
müsse jemand das Kind festhalten oder es gäbe auch mal einen hinten drauf.
Das hat mich sehr geschockt, da ich dies von meiner Familie überhaupt nicht
kannte.
Mir fallen noch einige ähnliche Begebenheiten ein.
Besonders unangenehm war es mir auch immer, wenn solche Gespräche nicht
zu Hause oder in geschütztem Rahmen, sondern in der Öffentlichkeit stattfanden.
Beispielsweise auf dem Spielplatz oder in einem Café sitzend, wo alle herum-
sitzenden jedes Wort mitkriegen konnten.
Aber auch wenn diese Details vor Menschen ausgesprochen oder ihnen direkt
erzählt wurden die ich kannte.
Beispielsweise rief meine Mutter während meiner Grundschulzeit mal in der
Schule an um mich vom Sportunterricht zu befreien. Sie erzählte frei heraus,
dass ich in den vergangenen Tagen einen Magen-Darm-Virus hatte, der aber
inzwischen Dank der Medikamente wieder abgeklungen sei. Sie werde mich
zur Schule schicken, aber am Sportunterricht solle ich an diesem Tag noch
nicht wieder teilnehmen, da mir noch ein wenig flau sei. Anstatt es hiermit
gut sein zu lassen fügte sie aber noch hinzu. "Ich gebe ihr bevor ich sie los-
schicke gleich noch ein Zäpfchen gegen Übelkeit, dann wird das schon gehen".