Irgendwann legt Dr. Braun das Untersuchungsbesteck klirrend in das Metall-Tablett zurück und lässt die Stuhllehne auch wieder ein Stück nach oben fahren.

Sophie atmet erleichtert durch. Das Schlimmste ist überstanden, gleich kann sie endlich aufstehen. Sie streckt ihren Rücken durch, bereit, sich gleich aufzurichten.

Allerdings kommt es nicht so weit - der Stuhl stoppt überraschend auf halben Weg in die Sitzposition. Sie hängt halb sitzend, halb liegend im Stuhl - etwa in derselben Position, in der sie auf Dr. Braun gewartet hatte. Mühsam hebt sie ihren Kopf und sieht Laura, die scheinbar wissend grinsend auf dem Besucherstuhl sitzt.

Sophie wirft ein kurzes, verwirrtes Lächeln zurück, dann schaut sie ihren Zahnarzt an.

“So, Frau Bäumler. Eine Frage: Nutzen sie Zahnseide?”.

Sophie zuckt mit den Achseln: “manchmal”, lügt sie, denn sie hat es in der letzten Zeit tatsächlich vernachlässigt.

“Hmm, sie sollten sie öfter benutzen! Gerade in den Zahnzwischenräumen kann sich sonst leicht Karies bilden.”

‘jaja, ist gut’, denkt Sophie genervt - auf diese Belehrungen hat sie nun wirklich keine Lust.

“Ja, sie haben wahrscheinlich recht, Herr Doktor”, gibt sie ihm Recht, um ihre Ruhe zu haben. “Ich werde es beherzigen.”, richtet ihren Oberkörper auf und signalisiert damit, aus dem Stuhl aufstehen zu wollen.

“Nicht so schnell, junge Damen, ich fürchte, wir müssen vorher noch schnell ein paar kleine Löcher stopfen.”

“Löcher?”, Sophie wird blass. “Aber was… wieso? …. kann ich nicht einfach ein anderes Mal….?”. Sophie stammelt sichtlich irritiert herum.

“Leider nicht, sie wollen doch schließlich einen Stempel für ihr Bonusheft?”

“ja, schon”, stammelt Sophie, “aber muss das jetzt sein?”. Sophie schaut Dr. Braun an, dann nach hilfesuchend zur Helferin und schließlich auch unglücklich in Richtung Laura. In welche Situation ist sie hier reingeraten?

“Ja, leider, sonst gibt es keine Möglichkeit mehr in diesem Jahr. Aber keine Sorge, wir machen es schnell, dann haben sie die nächste Zeit wieder Ruhe. Sie möchten doch, dass alles in Ordnung ist!?”

Sophie nickt gedankenverloren. Natürlich will sie Ruhe haben, blöde Frage - aber muss die Behandlung gleich hier in dieser Praxis sein? Warum hat sie sich nicht rechtzeitig um einen Termin bei ihrer Zahnärztin gekümmert?

Angestrengt überlegt Sophie, ob ihr der Stempel wirklich so wichtig ist. Sie hatte doch gute Zähne, über einen baldigen Zahnersatz müsse sie sich doch wirklich keine Gedanken machen. Sie doch nicht. Ein Plan formte sich in ihrem Kopf - sie würde einfach ablehnen, aufstehen und gehen. Der Stempel war ihr doch eigentlich egal.

Noch bevor sie ihre Gedanken sortieren konnte, wurde sie aus ihrem Gedankenspiel gerissen: “Sie müssen auch wirklich keine Angst haben”, erklärt die Helferin ein und legt ihr eine Hand auf die Schulter, während der Stuhl sich wieder in Bewegung setzt. Er fährt noch ein Stück rauf und kippt dann wieder nach hinten. Sie gerät in leichte Panik und fragt sich, was genau denn überhaupt gemacht werden muss - und wo?

Sophies Beine werden weiter angehoben während der Oberkörper nach hinten kippt. Es fühlt sich an, als würden ihre Beine hoch in der Luft schweben.

Anschließend kippt die Lehne wieder weiter nach hinten. Es ist merkwürdig, es wirkt so, als wäre die Kopfstütze, die gerade noch perfekt an ihrem Hinterkopf lag, jetzt weiter hinten. Sophie muss etwas im Stuhl herumrutschen, um wieder eine halbwegs bequeme Position zu finden.

Der Stuhl stoppt, und sie liegt jetzt weit zurückgelehnt im Stuhl. Nach vorne kann sie nichts mehr erkennen, nur im Augenwinkel sieht sie noch das Tray vor sich, nach oben sieht sie nur die Behandlungslampe und die Gesichter von Zahnarzt und Assistentin.

Einen kurzen Moment denkt Sophie an Laura, die auf dem Besucherstuhl sitzt und das ganze Debakel mitverfolgen kann. Peinlich! Ausgerechnet, wo sie sonst immer Lauras Zähne belächelt hat. Zum Glück sprach Dr. Braun etwas von “kleinen Löchern”, also wohl keine große Sache. Trotzdem fühlt sie sich gar nicht wohl, hier in dieser Praxis behandelt zu werden - erst recht nicht, nachdem sie so überrumpelt wurde.

Sophie nimmt einen weiteren Anlauf, die Sache auszudiskutieren: “Sind sie denn überhaupt sicher, dass ich Karies habe?”, fragt sie in letzter Verzweiflung, während ihr diese ausgelieferte Liegeposition den Hals zugeschnürt.

Dr. Braun lacht trocken auf: “Glauben sie mir, ich mache den Job schon etwas länger. Jetzt bitte aufmachen.”

Sophie gehorcht gezwungenermaßen und im selben Moment platziert die Helferin das stabile Kunststoffrohr des Saugers in ihrem Mund. Unsanft schiebt sie damit unsanft den linken Mundwinkel zurück, während die Absaugspitze irgendwo oben rechts. Fast zeitgleich bringt Dr. Braun den Bohrer in Position.

Sophie hält die Luft an. ‘Wo kommt eigentlich der Bohrer so plötzlich her?’, geht es ihr durch den Kopf, bevor die hochfrequent pfeifende Turbine an ihrem Zahn angesetzt wird.

Ohne weitere Vorwarnung frisst sich der Bohrer in ihren Zahn.