Lilly und Leon - Die Reise
Kapitel 4 - nur ein kleiner Piks
Mit Leons starkem Arm um meine Taille verließen wir das kühle Hotelzimmer. Jeder Schritt war eine Qual. Mir war schwindelig, der Kopf pochte, und ich musste mich fest auf Leon konzentrieren, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Sonne und die feuchte Hitze waren überwältigend.
„Wir sind gleich da, Schatz, nur noch ein paar Meter“, redete Leon mir gut zu. Er ging langsam, achtete darauf, dass meine Füße sicher auf den unebenen Wegen landeten, und drückte mich sanft an sich. Sein Körper war meine Stütze, seine Stimme mein Anker in diesem Meer der Übelkeit.
Als wir die kleine, unauffällige Apotheke erreichten, schien der freundliche Mann vom Vormittag uns schon erwartet zu haben. Er sah mich besorgt an und führte uns sofort in einen kleinen Nebenraum. Der Raum war einfach, mit einem Tisch, zwei Stühlen und einem kleinen Vorratsschrank ausgestattet. Ich setzte mich schwer auf einen der Stühle.
In der kurzen Stille, in der der Apotheker den Raum kurz verließ, um die Sachen zu holen, huschten meine Augen nervös über die Umgebung. „Meinst du, das ist hier auch alles steril genug?“, flüsterte ich, meine Stimme zitterte leicht. Die Angst vor Keimen war fast so groß wie die vor der Nadel.
Leon beugte sich zu mir, sah mich direkt an und streichelte meine Wange. „Er ist ein Profi. Und es ist nur ein einfacher Zugang. Das kriegen wir hin, ganz ruhig.“
Der Apotheker kam mit einem kleinen, sauberen Tablett zurück, auf dem alles lag: die Infusionsflasche, ein Schlauchset, Alkohol-Tupfer und eine Kanüle. Ich konnte nicht wegschauen.
„Arm“, sagte der Mann freundlich und deutete auf meinen linken Arm. Ich schob meinen Ärmel hoch.
Leon griff sofort nach meiner Hand und streichelte meine Finger und meinen Handrücken. Seine Geste war beruhigend, die Wärme seiner Hand eine Barriere gegen die Kälte des Aluminiums des Stuhls.
Der Apotheker legte den Stauschlauch fest um meinen Oberarm, direkt über dem Bizeps. Ich spürte, wie sich der Druck aufbaute und die Venen an meinem Unterarm deutlicher hervortraten. Er klopfte zweimal sanft auf eine Stelle in der Armbeuge, wo eine Vene besonders gut sichtbar war. Dann nahm er einen Desinfektionstupfer und strich damit kalt und scharf über die Stelle.
Ich presste die Augen zusammen und krallte mich in Leons Hand.
„Ein kleiner Piks“, sagte der Apotheker ruhig. Ich spürte den scharfen, stechenden Schmerz der Nadel, der sofort von einem unangenehmen Druckgefühl abgelöst wurde, als der kleine Plastikmantel der Kanüle in meine Vene geschoben wurde. Ich atmete scharf ein, doch Leon flüsterte mir sofort etwas Beruhigendes ins Ohr.
Der Apotheker löste den Stauschlauch, und ich sah einen kurzen, winzigen Blitz von Blut in der Kanüle aufleuchten – ein Zeichen dafür, dass sie richtig lag. Geschickt sicherte er den Zugang mit einem durchsichtigen Pflaster, das ihn fest auf meiner Haut fixierte. Die Nadel war verschwunden, nur ein kleiner Plastikstutzen ragte jetzt aus meinem Arm.
Er befestigte das Infusionsschlauch-Set. Ich spürte, wie die erste kühle Flüssigkeit langsam in meinen Arm lief. Der Schmerz ließ sofort nach. Leon sah mich stolz an. Er streichelte meinen Arm weiter, ohne auch nur eine Sekunde loszulassen, bis die erste Flasche des Elektrolyt-Cocktails angeschlossen war.
Das kühle Gefühl der Infusionslösung in meinem Arm breitete sich langsam in meinem Körper aus. Es war eine sofortige, heilende Wohltat. Die pochenden Kopfschmerzen wurden dumpfer, und die ständige Übelkeit zog sich zurück. Ich entspannte mich so sehr, dass ich in einen Dämmerzustand verfiel, in dem ich die Welt nur noch durch einen weichen Schleier wahrnahm. Ich wusste, dass Leon die ganze Zeit neben mir saß. Seine Hand hielt fest meine, und seine Anwesenheit war das reinste Beruhigungsmittel.
In meinem Halbschlaf hörte ich, wie der Apotheker in den Raum kam. Er wechselte auf Englisch ein paar Worte mit Leon. Ich versuchte, mich zu konzentrieren, aber die Sätze verschwammen in meinem Kopf. Ich hörte nur Fetzen von Wörtern und verstand in meinem Zustand kaum etwas. Der Apotheker reichte Leon dann etwas Kleines, Verpacktes. „I’ll pay later“, hörte ich Leon noch sagen, bevor der Mann lächelnd den Raum verließ.
Nach einer Weile, als sich die erste Infusion dem Ende neigte und ich mich klarer fühlte, blickte ich zu Leon. Er steckte gerade etwas in seine Tasche.
„Was hat er dir da gegeben?“, fragte ich leise, meine Stimme klang noch rau.
Leon zögerte einen Moment und erklärte mir dann vorsichtig die Situation. „Er hat mir etwas gegen die Übelkeit gegeben, falls es heute Abend wieder schlimm wird.“ Er sah mich entschuldigend an. „Er hat gesagt, weil dein Magen nichts bei sich behalten kann, wären Tabletten nutzlos.“ Er holte die kleine Packung heraus. „Es sind Zäpfchen, Lilly. Gegen die Übelkeit.“
Die Worte trafen mich wie ein Schlag. Ich erstarrte. Der Gedanke an die Anwendung ließ mich innerlich zusammenzucken. Meine Erholung war mit einem Mal vergessen, und ich spürte eine Welle der Panik aufsteigen.
„Nein! Auf keinen Fall!“, stieß ich hervor. „Das... das mache ich nicht! Ich übergebe mich lieber noch zehn Mal!“
Leon beugte sich sofort vor und nahm mein Gesicht sanft in seine Hände. „Hey! Ganz ruhig“, sagte er bestimmt, aber liebevoll. „Es ist nur für den Notfall, verstehst du? Nur wenn es ganz schlimm wird und du wieder stundenlang leidest. Wenn es dir so weit gut geht, lassen wir sie einfach in der Tasche. Okay?“ Er küsste meine Stirn. Seine Beruhigung war ehrlich, und ich atmete tief durch. Der bloße Anblick der kleinen Packung reichte aber schon, um mir klarzumachen, wie schlecht es mir wirklich gegangen war.