Die Verarbeitung eines Kindheitstraumas

Der Puls rast

Autobahn, Tempo 120 km/h – ich habe noch Zeit. Den Termin im Studio um 16:00 Uhr schaffe ich locker. Das Zeichen der Ausfahrt verkündet, keine halbe Stunde mehr und ich stehe vor der Tür mit der Aufschrift „Studio“.

Ich atme tief durch, wohl wissend, dass es kein zurück mehr gibt, wenn ich die Klingel drücke. Seltsam surrend kündigt der Ton meine Ankunft an. Es ist Punkt 16:00 Uhr. Nichts. Es gehört zum Spiel, den Kunden etwas warten zu lassen, denke ich jedesmal. Nichts. Keine Geräusche, kein klacken hoher Absätze, keine Türen die geschlossen werden, keine Gespräche sind zu vernehmen. Wurde die Klingel vielleicht diesmal überhört. Gerade als ich mich erneut der Klingel nähere, vernehme ich Schritte und sofort steigt mein Puls. Dieses ungewohnte aber vertraute, laute klacken von hohen Absätzen lässt mich immer wieder erschaudern. Wie mich die Dame des Hauses wohl empfangen wird? Die Schritte kommen näher. Ein Schüssel wird in der Tür gedreht – gleich ist es soweit, denke ich und kann nicht mehr klar denken. Mein Mund ist trocken, der Puls rast. Die Tür geht auf und vor mir steht eine strenge Frau Doktor. Die Ärztin trägt einen langen schneeweißen Arztkittel der den Blick auf ein tolles Dekollette freigibt. Die oberen Knöpfe der metallic glänzende Satinbluse sind geöffnet und lassen einen wundervoll geformten Oberkörper erahnen. Der knielange, weinrote Lederrock gibt dem Outfit eine gewisse Strenge. Die hochhackigen schwarz glänzenden Pumps lassen die ohnehin schon hochgewachsene schlanke Ärztin noch größer erscheinen. Wie verabredet trägt sie ein Stethoskop um den Hals. Das untrügliche Erkennungszeichen der ärztlichen Zunft. Mit einem Lächeln bittet Sie mich herein. Mein Gaumen ist so trocken, dass es mir schwerfällt ein „Hallo“ über die Lippen zu bringen. Es wirkt eher wie ein krächzen eines Raben. Ihren freundlichen Blick erwidere ich dafür mit einem leichten Kopfnicken und einem Lächeln. Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde fällt die Anspannung des wochenlangen Wartens ab. Der Rest ist Routine. Schuhe ausziehen und ab in das Beratungszimmer.

Die Ärztin nimmt hinter einem weißen Schreibtisch Platz und überkreuzt lasziv die Beine und fragt während sie ein Glas Wasser eingießt: „Bist Du gut durchgekommen.“ Ich nicke nehme hastig einen Schluck, der meine Zunge löst. Artig, antworte ich „Ja, Frau Doktor“. „Prima, dann hole ich mal die Patientin dazu.“ Jetzt wird mir doch wieder mulmig. Habe ich mich wirklich darauf eingelassen. Soll ich mich meinen innersten Wünschen jetzt und heute ergeben? So stell ich mir ein Outing vor. Noch nie – nichteinmal im Karnelval – wo es wenig auffällig wäre – habe ich mich als Arzt verkleidet. Selbst im Chemieunterricht war mir das Anlegen eines weißen Kittels unangenehm, weil ich dachte man könne damit auf meine sexuellen Vorlieben für Doktorspiele Rückschlüsse ziehen. Und jetzt saß ich hier und wollte im Beisein von Frau Doktor eine bereitwillige Patientin untersuchen? Die Patientin betrat den Raum, sie wirkte schüchtern, welch ein Wunder – aber freundlich. Wir besprachen den Ablauf ohne zu viel in das Detail zu gehen – den groben Plan hatten wir im Vorfeld bereits per email abgestimmt. Insofern war diese erste Zusammenkunft nur ein kurzes „Abtasten“. Der Eindruck war durchweg positiv und lies eine wundervolle Sitzung erwarten.