7 members like this


Aufrufe: 187 Created: Vor 1 Woche Updated: Vor 1 Woche

Man sieht sich immer zweimal im Leben

Die Retourkutsche trägt Weiß

„Nein… wirklich? Stefan Schultheiß aus Berlin-Tegel?“

Alexandra konnte die Überraschung kaum verbergen, als Irene mit ihrer gewohnt klaren Stimme die Namen der Patienten verlas. Es war früh am Morgen, und die beiden waren die Ersten in der Praxis – wie so oft.

Alex, 26, arbeitete als Medizinische Fachangestellte in einer renommierten Privatpraxis in Brandenburg – einer Gemeinschaftspraxis mit Dr. Behrend, einem sympathischen, aber etwas eigenwilligen älteren Arzt, und Irene Bachmann, einer eleganten, charismatischen Ärztin Anfang vierzig. Trotz des Altersunterschieds verstanden sich Alex und Irene ausgezeichnet – sie verband eine Mischung aus Kollegialität und Freundschaft, die sogar gelegentliche Treffen am Wochenende einschloss.

Irene blickte von der digitalen Patientenakte auf. Sie hatte sofort gespürt, dass dieser Name bei Alex etwas auslöste. „Was ist denn los?“ fragte sie neugierig und suchte den Geburtsort.

„Ja, schau… Berlin-Tegel. Aber gemeldet ist er hier bei uns“, bestätigte sie trocken und ging zur Kaffeemaschine. „Komm, ich mach uns Kaffee. Und du erzählst mir mal, was hinter diesem Namen steckt.“

Alex ließ sich auf einen der Stühle im kleinen Personalraum sinken. „Stefan war in meiner Oberstufe… so ein typisches Alpha-Männchen – laut, selbstverliebt, überheblich. Und besonders ich war oft sein Ziel. Er machte sich ständig über meine kleinen Brüste lustig. Immer diese doofen Kommentare, die genau dann kamen, wenn möglichst viele Leute in Hörweite waren… Ich hätte im Boden versinken können.“

Irene hörte still zu, schüttelte irgendwann nur noch den Kopf.

„Was für ein mieser Charakter“, sagte sie schließlich. „Kein Wunder, dass sein Arbeitgeber ihn zu uns schickt. Häufige Krankmeldungen – das schreit ja nach Aufmerksamkeit. Dem sollte man mal eine kleine… sagen wir: therapeutische Lektion erteilen.“ Ihre Augen funkelten dabei.

Alex hob die Augenbrauen, doch bevor sie etwas sagen konnte, hatte Irene schon einen Plan.

„Lass uns den Termin mit Herrn Schultheiß auf morgen 17:00 Uhr legen. Dann ist er der letzte Patient. Dr. Behrend ist da schon weg, und unsere beiden Mädels schicken wir früher heim. Dann sind wir allein… mit deinem Stefan.“

Alex schluckte. Halb neugierig, halb alarmiert. Irene suchte die Nummer des Patienten heraus, wählte und wartete. Nach dem vierten Klingeln meldete sich eine verschlafene Männerstimme.

„Herr Schultheiß? Hier ist die Praxis Dr. Behrend. Aufgrund einer Terminüberschneidung müssen wir Ihren heutigen Termin auf morgen, 17 Uhr, verschieben. Bitte seien Sie pünktlich – Sie sind der letzte Patient, und wir möchten pünktlich Feierabend machen.“

Nach dem Gespräch legte Irene auf, drehte sich zu Alex und grinste breit: „Na bitte. Das hat doch schon mal wunderbar geklappt.“

Die Mittagspause brachte etwas Ruhe – zumindest äußerlich. Alexandra saß allein in der kleinen Teeküche der Praxis, stocherte in ihrem mitgebrachten Salat und blätterte in der neuen Cosmopolitan, die sie sich heimlich aus dem Wartezimmer geschnappt hatte.

Als sie bei einem Artikel mit der Überschrift „Blutpenis oder Fleischpenis? Was Frauen wirklich wissen sollten“ hängen blieb, wurde ihr Blick schlagartig wacher. Zwischen medizinischer Sachlichkeit und frecher Aufklärung zeigte der Artikel Diagramme, Tabellen – und ja, auch diverse Vergleichsbilder.

So vertieft war sie, dass sie gar nicht mitbekam, wie Irene den Raum betrat.

„Na, was liest du denn da so angestrengt?“ fragte sie schmunzelnd und trat näher. Ihr Blick fiel direkt auf eine Abbildung mit unterschiedlich großen Penissen. Alexandra zuckte zusammen – und errötete sofort.

„Das muss dir doch nicht peinlich sein, Alex“, meinte Irene trocken, während sie sich eine Tasse Kaffee einschenkte. „Gerade bei dem Thema wird ja mehr gelogen als bei der Steuererklärung.“

Sie blätterte neugierig durch den Artikel. „Sieh dir das an. Japaner: schlaff im Schnitt 6 bis 8 cm – erigiert maximal 12. Europäer: schlaff 8 bis 9, steif 13 bis 14. Groß ist laut Studie erst ab 16 cm.“

Sie las die Fußnote. „British Journal of Urology International, 2015 – also sogar wissenschaftlich fundiert. Wer hätte gedacht, dass ein Penis mit 13 cm schon zum Durchschnitt gehört?“

Alex lachte leise. Die Mischung aus seriöser Fachlichkeit und Irenes unverblümtem Stil hatte etwas unglaublich Befreiendes. Doch das Gespräch wurde jäh unterbrochen, als Bettina, die Auszubildende, den Raum betrat. Reflexartig blätterte Alex um – auf eine Seite mit Gesichtsmasken und Detox-Tees.

„Schöne Haut ist auch wichtig“, murmelte Irene und warf Alex einen verschwörerischen Blick zu.

Am nächsten Tag war Alexandra nervös. Heute sollte das Wiedersehen mit ihrem einstigen Peiniger stattfinden – dem selbstgefälligen Jungen von damals, der sie regelmäßig zur Zielscheibe seiner pubertären Lächerlichkeit gemacht hatte. Wie würde er heute aussehen? Wie sehr hatte sich jemand wie Stefan wohl verändert?

Der Vormittag verging wie im Flug, die Sprechstunde war voll, ein kleiner Notfall brachte die Abläufe durcheinander – und doch tickte in Alex’ Kopf die Uhr rückwärts. 17 Uhr kam näher.

In der Mittagspause beschlossen die beiden Frauen, kurz in den gegenüberliegenden Lidl zu gehen. Alex hatte ihr belegtes Brötchen zu Hause liegen lassen.

In der Obstabteilung hielt Irene plötzlich inne, betrachtete die Auslage mit frischem Bio-Ingwer und zog mit einem spitzbübischen Grinsen eine etwa sechs Zentimeter lange Knolle aus dem Karton.

„Sieh mal, da ist der Japaner“, sagte sie trocken.

Alex prustete los. „Warte… dann ist das hier wohl der Mitteleuropäer?“ Sie zog ein imposantes Exemplar hervor – mindestens 15 Zentimeter lang, leicht gebogen.

„Na, der hat aber auch gute Gene“, lachte Irene.

„Meinst du, das ist schon groß – oder noch durchschnittlich?“ fragte Alex schelmisch.

Die beiden lachten so laut, dass ein älterer Herr sie irritiert ansah. Irene ließ sich nicht beirren, riss eine Tüte von der Rolle ab und steckte beide Knollen hinein.

„Die werden wir später nochmal vermessen“, sagte sie grinsend – und beide gönnten sich noch einen Salat aus dem Kühlregal, bevor sie zurück in die Praxis gingen.

Der Countdown läuft.

Dr. Behrend verabschiedete sich gegen 15 Uhr mit seiner üblichen Mischung aus Würde und Zerstreutheit. Die letzte Kollegin aus dem Team folgte um halb fünf.

Die Uhr schlug 17:00 – und nur noch ein Patient wartete im Flur.

Alex atmete tief durch. Gleich würde er hereinkommen. Stefan Schultheiß.

Comments

DrCastigo Vor 1 Woche
Popopatscher Vor 1 Woche