Mareike und Karl
Und die anderen Löcher?
Montag. Erste große Pause. Der Schulhof war laut, belebt, erfüllt vom Gemisch aus Gesprächen, Gelächter und Pausenbrottüten. Karl lehnte wie immer an der hinteren Mauer beim Fahrradstand. Er hatte Mareike seit dem Zahnarztbesuch nur flüchtig gesehen – sie war in Bio demonstrativ mit ihren Freundinnen zusammengesessen, hatte ihn kaum beachtet. Kein Blick, kein „Hi“. Nichts.
Dienstag war es genauso. Sie kam mit Lissi über den Hof, ein frisches Getränk in der Hand – diesmal kein Cola, sondern ein Smoothie. Als sich ihre Blicke kurz trafen, sah sie schnell weg. Lissi flüsterte ihr etwas zu, beide lachten.
Karl wurde heiß im Gesicht. Was hatte er falsch gemacht? Er hatte doch nur helfen wollen. Oder war es ihr jetzt einfach peinlich, dass er sie so verletzlich erlebt hatte?
Er sagte nichts. Tat, als würde er sein Matheheft durchsehen, obwohl der Wind ihm die Seiten aufblätterte.
In den nächsten Tagen wurde es nicht besser. In der Mittagspause ging Mareike demonstrativ an ihm vorbei. Im Unterricht meldete sie sich wieder öfter, lachte über banale Witze, war wieder das Mareike-Mädchen, das alle mochten.
Karl spürte, wie sich eine Mischung aus Enttäuschung und Resignation in ihm festsetzte. Vielleicht war es wirklich besser, sich nichts einzubilden.
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In der folgenden Woche, Donnerstagnachmittag. Schulflur, kurz nach Unterrichtsschluss.
Karl war gerade dabei, seinen Ordner in den Rucksack zu stopfen, als er Schritte hinter sich hörte. Er drehte sich um – da stand Mareike. Allein. Keine Lissi, kein Lächeln.
Sie sah etwas unsicher aus, spielte mit dem Reißverschluss ihrer Jacke.
„Hey.“
„Hey“, erwiderte er, vorsichtig.
„Du… hast du kurz Zeit?“
Er nickte.
„Klar.“
Sie trat näher, senkte leicht den Blick.
„Ich wollte mich… entschuldigen. Für die letzten Tage. Ich war irgendwie… komisch.“
„Schon okay.“
„Nein, eigentlich nicht. Ich hab so getan, als wär nix gewesen. Dabei… war das voll krass für mich, dieser Termin. Und du warst echt… so da, wie noch niemand vorher.“
Karl schwieg. Er wollte sie nicht unterbrechen.
„Und jetzt muss ich halt noch zweimal hin. Eine Füllung links oben, eine noch unten… Zahn… weiß ich nicht mehr. Und irgendwie… dachte ich…“
Sie stockte. Dann, fast flüsternd:
„Willst du vielleicht wieder mitkommen? Also… wenn du magst.“
Er hob den Kopf, schaute sie an. Ihr Blick war nicht kokett, nicht gespielt – sondern ehrlich. Verwundbar.
„Klar“, sagte er leise. „Wenn du das willst.“
Sie nickte.
„Ich fühl mich einfach… sicherer, wenn du dabei bist.“
Dann schob sie noch schnell hinterher:
„Aber du darfst das niemandem sagen. Nicht, dass es wieder irgendwie…“
„Mach ich nicht“, unterbrach er sie. „Versprochen.“
Ein kleines Lächeln zuckte über ihr Gesicht. Nicht das breite, selbstbewusste Mareike-Lächeln – sondern ein echtes.
„Danke, Karl.“
Dann ging sie. Diesmal ohne sich noch mal umzudrehen. Aber ihre Schritte waren ruhiger.
Und Karl blieb zurück mit einem Gefühl, das schwer zu benennen war.
Sehr schöne Geschichte. Ich hoffe, dass…
Sehr schön wieder von dir zu lesen. War…