Mareike und Karl
War da was?
Seit der Untersuchung waren ein paar Tage vergangen. Der Alltag hatte sich wieder über alles gelegt – Hausaufgaben, Vokabeltests, Vertretungsstunden. Nur für Karl nicht ganz. Etwas war anders geblieben, vibrierte unterschwellig in jeder Pause, jedem Blick in Mareikes Richtung.
Sie hatte ihn geküsst. Auf die Wange, ja – aber es war mehr gewesen als nur ein Dankeschön. Zumindest für ihn.
Es war in einer Mittagspause, als er sie allein an ihrem Spind stehen sah, mit einem Stapel Bücher auf dem Arm und dem Handy zwischen Schulter und Ohr. Ihre Stirn war leicht gerunzelt. Als sie ihn bemerkte, nahm sie das Handy kurz vom Ohr.
„Hey, Karl“, sagte sie. „Alles klar?“
„Ja, eh… du?“
Er zögerte, trat dann einen halben Schritt näher.
„Ich wollt nur fragen… also, wegen dem Zahnarzt… hast du da schon einen Termin gemacht?“
Mareikes Blick wurde für einen Moment undurchdringlich. Dann schüttelte sie lächelnd den Kopf.
„Ach, das hat Zeit. Ich kenn das schon – die tun da immer so dramatisch.“
„Aber… da war doch eine Stelle, wo die Sonde richtig… äh…“
Sie winkte ab.
„Ja ja. Ich mach das schon. Du, sorry ich muss jetzt los.“
⸻
Ein paar Tage später, auf dem Schulhof.
Karl saß allein auf der niedrigen Mauer neben dem Fahrradständer. Es war große Pause, die Frühlingssonne schien flach über den Hof, und die Schüler verteilten sich in Gruppen.
Er sah sie aus dem Augenwinkel. Mareike, zusammen mit zwei Freundinnen, mitten in einer dieser typischen Halbkreise, Lachen, Gesten, Stimmen. In ihrer Hand: eine große, halbvolle Colaflasche. Sie trank direkt aus der Flasche, reichte sie dann weiter.
Karl sah hin, schluckte, dann atmete tief ein. Vielleicht war es dumm. Vielleicht auch nicht.
Er stand auf, ging langsam zu ihnen hin.
„Hey, Mareike.“
Sie drehte sich um, leicht überrascht, dann hob sie die Augenbrauen.
„Karl, hi.“
Er deutete auf die Flasche.
„Ähm… Cola ist nicht gerade gut für Zähne. Also… ich mein…“
Er kam nicht weiter.
Eine der Freundinnen, Lissi, verdrehte sofort die Augen.
„Was bist du denn für ein Moralapostel? Willst du jetzt allen sagen, was sie trinken dürfen? Wie uncool ist das denn bitte?“
Sie stemmte eine Hand in die Hüfte, bereit zur Standpauke.
Aber bevor sie weitermachen konnte, hob Mareike ruhig die Hand.
„Lissi, lass mal.“
Sie sah Karl an, ernst, fast sanft.
„Er hat ja recht.“
Lissi starrte sie an.
„Was?“
„Na ja… ich hab beim Schulzahnarzt ein bisschen was abgekriegt. Und ja, Cola ist halt Mist. Ich weiß das.“
Dann wandte sie sich wieder Karl zu.
„Danke, dass du ehrlich bist.“
Ein paar Sekunden lang sagte niemand etwas. Lissi schnaubte leise, zog sich zurück, die andere Freundin kicherte unsicher.
Karl nickte nur, völlig überrumpelt. Dann wandte er sich langsam zum Gehen. Er hatte bekommen, was er nie erwartet hätte: Nicht nur keine Abfuhr – sondern Unterstützung.