Elenas erster Ausbildungstag

Ein großes Mißverständnis?

Es war ein düsterer, grauer Morgen, Freitag, der 1. November. Als Elena aus dem Bus stieg, regnete es leicht, sie beeilte sich etwas, als sie auf den großen grauen Betonklotz zulief, der fast mit dem Nebel verschmolzen schien. "Klinikum für Psychiatrie und Neurologie" stand in großen Lettern auf der Tafel neben dem Eingang. Elena war aufgeregt, das würde ihr Arbeitsplatz werden. Die Neunzehnjährige hatte im Sommer ihr Abitur abgeschlossen, den Ausbildungsplatz zur Krankenpflegerin im Bereich Psychiatrie hatte sie eigentlich schon seit dem Frühjahr sicher, und heute würde es losgehen. Sie arbeitete gerne mit Menschen, und Krankenschwester wollte sie werden, seit sie damals mit 8 zwei Wochen im Krankenhaus gelegen hatte. Die Entscheidung für Psychiatrie war nochmal etwas anderes, sie wollte gerade den Menschen helfen, die besonders änfällig waren. Sie wusste, dass das ein Job mit ganz besonderen Herausforderungen sein würde, mit vielen fordernden Situation und noch mehr Verantwortung, aber Elena war optimistisch, das sie das packt. Aber jetzt, in dieses ewig langen Korridoren zu stehen, da musste sie doch erstmal schlucken.

Sie suchte sich ihren weg durch die Gänge und Flure, endlich hatte sie die richtige Abteilung gefunden: "Geschlossene Psychatrie - Personaleingang". Es war eine fest verschlossene Metalltür, daneben eine Klingel. Sie räusperte sich, ehe sie die Klingel betätigte, kurz darauf öffnete sich die Tür, Elena stellte sich dann als "Elena Markstein, die neue Auszubildene" vor. Schwester Wagner stellte sich ebenfalls kurz vor, begrüßte die Neue und führte sie weiter hinein. Es war schon ein mulmiges Gefühl für Elena, als die massive Metalltür hinter ihr ins Schloss fiel. Sie war jetzt hier eingesperrt, in der geschlossenen Abteilung, aber es war auch irgendwie aufregend. Schwester Wagner erklärt ihr, dass der Professor höchstpersönlich mit ihr sprechen wollte. Sie sollte gleich am ersten Tag mit dem Leiter der Abteilung sprechen? Elena wurde schon etwas nervös. "Deinen Rucksack kannst du hierlassen, ich bring dich dann gleich rüber zu ihm.", sagte Schwester Meier aufmunternd. Sie führte Elena nochmal einen Korridor entlang, nochmals vergitterte Türen, die auf- und wieder zugeschlossen wurden, bis sie schließlich vor einem Raum mit der Bezeichnung "U02" standen. Schwester Wagner verabschiedete sich, Elena schaute ihr nochmals kurz hinterher, sah wie die Schwester ihr aufmunternt zunickte.

Elena klopfte vorsichtig an, ein kräftiges "Herein!" folgte fast sofort. Sie betrat vorsichtig den Raum und sah sich um: An der einen Seite stand ein Schreibtisch, dahinter saß ein Mann, vielleicht Mitte 50, weißer Kittel, Brille. Neben dem Tisch stand eine Frau, ebenfalls im Kittel. Vermutlich eine Schwester, vielleicht so Anfang 30. An den Seiten des Raumes befanden sich Schränke und diverse medizinische Utensilien, und in der Mitte befand sich eine Untersuchungsliege. In einer Ecke war auch noch eine kleine Trennwand, was dahinter lag, konnte sie nicht erkennen. Das war jedenfalls kein Burö, sondern eher ein klinisch steriler Untersuchungsraum.

"Hallo Frau Markstein, mein Name ist Professor Lom, und das ist Schwester Meier, setzen sie sich doch bitte", begrüßte er die nervös dreinblickende junge Frau. Vorsichtig nahm sie auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch platz.

"Frau Markstein, sie befinden sich in der geschlossenen Psychiatrie", der Professor wurde mit seiner Stimme immer ernster, "Ich habe hier die Gerichtsakte. Akute Suizidgefahr, potentiell weiteres selbstverletzendes Verhalten, möglicherweise manisch. Sie wurden für eine eingehende psychiatrische Begutachtung eingewiesen." Elena verstand die Welt nicht mehr. "Nein, ich bin die Neue Auszubildende, Elena Markstein.", versuchte sie die Situatin zu erklären. Der Professor und die Schwester schauten sich wortlos an, dann sprach Schwester Meier sie an: "Frau Markstein, ich weiß, das ist schwer für sie, aber wir haben hier die Gerichtsakten." So langsam kam Panik bei Elena auf: "Nein! Das muss eine Verwechslung sein!", entgegnete sie aufgeregt, "Fragen Sie doch Schwester Wagner!" Weder die Schwester noch der Professor schienen ihren Worten eine besondere Bedeutung beizumessen. Elena setzte nach: "Ich hab die ganzen Dokumente... den Ausblidungsvertrag... in meinem Rucksack! ... drüben im Personalraum!".

Professor Lom sprach mit ruhiger, klarer Stimme: "Frau Markstein, bitte beruhigen Sie sich. Wir werden jetzt die Einweisung abschließen." Schwester Meier fügte hinzu, in einer sanfteren Stimmlage: "Sie brauchen keine Angst haben, Frau Markstein. Niemand wird Ihnen etwas tun. Wir werden uns ihre Perspektive genau anhören, wir werden Sie fair und ergebnisoffen beurteilen." Professor Lom ergänzte "Sie haben natürlich auch das Recht, mit einem Anwalt zu sprechen. Allerdings wird das bis nach der Aufnahme warten müssen."

Elena wusste überhaupt nicht mehr, was los war. Das war doch alles nur ein Mißverständnis! Es konnte doch unmöglich einen Gerichtsbeschluss mit ihrem Namen geben, oder war es eine Namensgleichheit? Die Worte kreisten nur so in ihrem Kopf: "Einweisung", "Beurteilung", "Suizidgefahr", "Anwalt". Sie schrie, "Nein!, Nein das stimmt doch alles gar nicht!" Und sie begann, langsam an ihrem Verstand zu zweifeln. War sie vielleicht doch verrückt? Eine gespaltene Persönlichkeit, die gesstern noch sonstwas angestellt hatte, und sich heute an nichts erinnern kann?

"Bitte beruhigen Sie sich, Frau Markstein!", die Worte der Schwester schienen an ihr abzuprallen, "Versuchen sie sich etwas zu entspannen. Ich weiß, dass das alles sehr stressig und unangenehm für Sie ist. Wir versuchen, das alles so erträglich wie möglich für Sie zu gestalten, aber dazu müssen Sie uns auch ein bisschen helfen." Professor Lom konkretiesierte: "Wenn Sie sich komplett verweigern oder aggressiv werden, müssen wir Sie fixieren und die Maßnahmen zwangsweise durchführen. Glauben Sie uns bitte, das möchten wir nicht. Damit ist weder ihnen noch uns geholfen." Elena schossen Tränen in die Augen: "Aber, Aber, ...Ähm" Sie wusste selbst nicht, was sie gerade eigentlich sagen wollte. Was konnte Sie denn auch noch sagen? Sie wurde für eine Verrückte gehalten, man glaubte ihr kein Wort. Die Tränen liefen ihr die Wangen hinunter, während ihr klar wurde, dass sie diesen fatalen Irrtum wohl nicht so schnell würde aufklären können...