Kurz darauf steht sie im OP-Hemdchen der Schwester gegenüber, die sichtlich zufrieden wirkt. “Folgen sie mir, bitte”, ordnet diese knapp an und geht zielstrebig in den medizinischen Bereich.

Anna hastet hinterher. ‘Wenn sie doch wenigstens sagen würde, was jetzt ansteht… ‘

Im schnellen Schritt passieren sie mehrere Untersuchungsstationen. Dann stockt Anna der Atem: die Schwester marschiert zielstrebig in Richtung des Dentalbereiches! ‘Nein, bitte nicht nochmal!...’

Anna bleibt unwillkürlich stehen. Ihr Inneres sträubt sich, weiterzugehen. Allein durch den Anblick des Behandlungsstuhls ist Anna unwillkürlich das Gefühl des Bohrers in ihren Zähnen von heute früh präsent.

„Frau Keller, bitte hier entlang“, ertönt eine Stimme von vorne. Eine der Helferinnen aus dem Dentalbereich deutet mit einer einladenden Geste auf einen der Behandlungsstühle.

Anna steht immer noch erstarrt im Raum.

Die Schwester fasst sie sanft an den Oberarm. “Bitte kommen Sie”, sagt sie mit gedämpfter Stimme und zieht Anna weiter. Anna gehorcht - widerstrebend. Ihre Gedanken rasen und drehen sich im Kreis. Sie war doch schon beim Zahnarzt.

“Bitte platz nehmen”, instruiert die Helferin und beide Assistentinnen schieben Anna auf den Stuhl. Das kalte Leder fühlt sich genauso unangenehm auf der nackten Haut an wie beim letzten Mal.

Ein leises Rascheln ertönt, dann das scharfe Ratsch-Geräusch eines Klettverschlusses. Die Helferin legt ihr ein Lätzchen um den Hals – ein großer, wiederverwendbarer Umhang aus PVC, der ihr bis zu den Oberschenkeln reicht. Das Material fühlt sich kühl und glatt an. Sorgfältig schließt sie den Klettverschluss im Nacken, sodass die Halsmanschette eng anliegend fixiert ist.

“Herr Doktor hat jetzt mehr Zeit für Sie”, erklärt die Helferin knapp und betätigt eine Taste am Kopfteil des Stuhls. Dieser hebt sich leicht an, bevor er langsam nach hinten kippt.

Anna verfolgt das Geschehen eingeschüchtert. “Aber ich wurde doch schon heute früh behandelt”, wirft sie ein.

“Besprechen Sie das mit Dr. Kaltenstein”, erwidert die Helferin mit einem kurzen Lächeln, “er ist gleich hier.”.

‘Worauf du dich verlassen kannst!’. denkt sich Anna verärgert, nickt aber nur. Normalerweise hätte sie in diesem Moment das Lätzchen vom Hals gerissen und wäre aufgestanden. Weil sie aber in der Probezeit nicht gleich so auffallen wollte, wählte sie den diplomatischeren Weg.

Stattdessen zupft sie an ihrem OP-Hemdchen und dem PVC-Lätzchen, überprüft den Sitz ihrer Haare und richtet sich mühsam auf - in der zurückgelehnten Stuhlposition gar nicht so einfach! Sie wird den Doktor gleich aufrecht sitzend begrüßen und auf Augenhöhe mit ihm sprechen. Sie ist schließlich nicht eine der Patientinnen, sondern Anna Keller, angehende Mitarbeiterin bei Ambitech, und vielversprechende Master-Absolventin ihrer Bio-Science-Fakultät.