Festivalgewitter mit Folgen
Lean und Sophia
Mein Kopf pochte vor Panik, die mir etwas Kraft gab, um irgendwie verzweifelt zu reagieren.
“Bitte tun Sie mir nichts!" flehte ich ihn leise an. Meine Stimme war schwach und ich war froh zumindest irgendein Wort sagen zu können. Ich versuchte von ihm weg zu rücken.
"Ganz ruhig, ich will Ihnen nur helfen. Ich bin Sanitäter", versuchte er mich mit sanfter Stimme zu beruhigen.
Meine Atmung war schnell und flach und ich war weit davon entfernt mich zu beruhigen. Ein Teil in mir wollte ihm das sofort abkaufen, dass er Sanitäter war, in der Hoffnung, dass mir so Hilfe zukommen würde, die ich dringend benötigte. Ein anderer Teil war jedoch extrem skeptisch und dem kam die ganze Situation hier ganz und gar nicht koscher vor. Offenbar siegte gerade der misstrauische Teil oder vielleicht auch einfach das Chaos in meinem Kopf, das die Puzzelteile nicht wirklich zusammenfügen konnte: "Bitte nicht, nein, bitte, tun Sie mir nichts, bitte", flehte ich ihn erneut mit zittriger Stimme an.
"Schhhh, ganz ruhig. Ich will Ihnen nichts antun, ich will Ihnen helfen. Sie scheinen unterkühlt zu sein und die Hand sollte dringend versorgt werden." Er machte eine kurze Pause. "Ich heiße Lean Smith. Ich bin Notfallsänitäter bei der Bundeswehr. Ich will Ihnen wirklich nur helfen."
Ich versuchte tief zu atmen, um einen klareren Kopf zu bekommen und versuchte mich aufzurichten.
Er hatte recht, ich war wirklich total durchgefroren und definitiv auf fremde Hilfe angewiesen, wenn ich diese Nacht irgendwie überstehen wollte. Hier draußen liegen zu bleiben war jedenfalls keine Lösung und nun hatte ich ja offenbar endlich einen Menschen gefunden, der mir helfen konnte und nachdem ich bevor ich mich in das Vorzelt gelegt habe ja verzweifelt gesucht hatte. Mir wurde klar, dass mir eigentlich nichts anderes übrig blieb, als ihm seine Geschichte zu glauben und mir von ihm helfen zu lassen.
Um ihm zu signalisieren, dass ich seine Hilfe annahm, verriet ich ihm leise meinen Namen: "Ich heiße Sophia."
Erst jetzt fiel mir auf, dass er mich bisher gesiezt hatte, was definitiv sein professionelles Auftreten unterstrich. Gleichzeitig fühlte ich mich gleich wohler, wie es hier auf dem Festival natürlich üblich war, sich gleich mit Vornamen vorzustellen und zu duzen.
"Hallo Sophia, es tut mir leid, dass ich dich so erschreckt habe. Aber du brauchst dringend Hilfe, bitte lass mich dir helfen."
Ich antwortete ihm nicht.
"Wie ist die Verletzung an deiner Hand passiert? Hast du noch weitere Verletzungen? Bist du gestürzt?"
So viele Fragen. Ich musste mich konzentrieren, um Lean antworten zu können: "Ich bin vor der Bühne in der panischen Menschenmasse gewesen. Ich bin angerempelt worden und auf irgendwas spitzes draufgefallen. Ansonsten tut mir nichts weh."
"Verstehe. Wie viel Alkohol hast du heute getrunken? Hast du noch andere Drogen konsumiert?", fragte er ziemlich besorgt.
"Nur Alkohol. Warum?", fragte ich ihn verwirrt. Was tat das denn jetzt zur Sache? Hatte das gerade irgendeine medizinische Relevanz?
"Darf ich einen kurzen Bodycheck bei dir machen, nur um sicher zu gehen, dass du dir in der Menschenmasse nicht doch weitere Verletzungen zugezogen hast? Eventuell merkst du da gerade noch nichts von, weil dein Körper so im Stress ist."
"Adrenalin und so, ich weiß, studiere Medizin", murmelte ich leise.
"Ah, jemand vom Fach, dann muss ich mir ja besonders viel Mühe geben, dass ich auch alles richtig mache. Darf ich?"
Offenbar war das Eis jetzt doch ein wenig gebrochen und ich traute ihm vorerst.
"Bitte", willigte ich ein und legte mich flach auf den Rücken, um ihn den Bodycheck durchführen zu lassen.
Er inspizierte und tastete genau nach dem Standardschema, wie ich es selbst im Rettungssanitäterlehrgang gelernt hatte, meinen Körper von Kopf bis Fuß ab.
"Okay, bis auf eine Tachykardie, eine verlängerte Recap-Zeit und eine periphere Zyanose, die wohl der Kälte zuzuschreiben sind, habe ich nichts auffälliges gefunden. Ich pack dich erstmal ein in eine Rettungsdecke und schau mir dann deine Hand an, okay?"