Der Nachbar ist Zeuge

Akt 3

"Verstopft", "Unrat", "großes Geschäft" – für Sandrine Worte wie Schlangenbisse. Bei jedem Einzelnen muss sie schlucken und jedes Einzelne brennt in ihr die Ohren.

Frau Winterschwang zupft mit spitzen Fingern am Gummihandschuh.

"Du wirst mir ab sofort bedingungslos gehorchen, ist das klar?!"

"Ja, Tante."

Genau viermal zupft sie, um sich von ihm befreien, nicht fünfmal. Sie hat da ihre Technik. Das eben noch mächtige Gummitier fällt schlaff in sich zusammen, ist nichts mehr als gelbe Hülle mit braunen Schandflecken. Er verschwindet in einem weißen Hygienebeutel.

"Und Du wirst mich nicht mehr belügen?"

"Ja, Tante."

"Wenn Du allerdings darauf bestehst, von Deinen Versprechen abzurücken, verfüge ich über Methoden und Instrumente, Dir Nachhilfeunterricht zu erteilen. Nachhilfe in Disziplin und Gehorsam. Denk ja nicht, mir würde es Spaß machen, meine Zeit in die nachträgliche Erziehung einer jungen Frau zu investieren, aber wenn es sein muss, dann muss es sein. Dann werden wir auch das gründlich, Du verstehst – g-r-ü-n-d-l-i-c-h – besorgen."

Und nach einer Pause, die sie wie einen Doppelpunkt, eine Fermate setzt, die – Musikern ist das bekannt – für die Ausübenden eine besondere Prüfung darstellt, weil sie Fermaten individuell ausfüllen und damit Farbe bekennen müssen.

"Zum letzten Mal meine Frage: Wann hattest Du Stuhlgang?"

Sandrine, die sich weiterhin in beschämender Lage befindet, auf dem Rücken liegend, die Beine zu sich gezogen, das Geschlecht, jener kleine, enge Schmollmund und den geöffneten Po dem Deckenlicht entgegenstreckend, ist wehrlos dieser verbalen Untersuchung ausgeliefert. Es fällt ihr weiter schwer, auf diese Frage, diesen Übergriff in ihr Privatestes zu antworten.

Aber ist die Beichte nicht der erste Schritt zur Erleichterung? Ist die Konfession nicht schon ein Teil der Austreibung von Sünden, von allem Schlechten und Faulen in uns? Die Unterrichteten wissen: Nichts Unreines kann in den Himmel kommen, es bedarf der Reue und des heiligen Opfers. Daher gibt es das Purgatorium, den Läuterungsort, den Ort der Reinigung, und uns, den unbeteiligten Zeugen, schwebt vor, nein, wir hoffen es, Frau Winterschwang könnte eine Hohepriesterin für diese Art der Befreiung von Geist und Körper sein. Schließlich ist Reinheit für sie ein Dogma, ich habe es selbst vielmals aus ihrem eigenen Munde gehört, wenn wir uns im Treppenhaus oder am Briefkasten oder sonstwo trafen. Für sie liegt in der Reinheit die Kontrolle über das Chaos, das Böse, das Diabolische – das Zerstörerische also.

"Vor drei Tagen, ich gebe es zu… ich war wegen der Reise so aufgeregt… und dann unterwegs… ich, ich, ich kann doch nicht, wenn fremde Menschen in der Nähe sind… das ist mir unangenehm… und dann habe ich Fieber bekommen, und ich wollte doch zu Dir… es tut mir alles so leid… verzeih mir…"

Ja, Sandrine, wollen wir ihr, der noch immer Verzagten, aufmunternd zurufen. "Wie leicht wird einem nach der Bekenntnis einer Schuld, eines Fehlverhaltens, einer tadelswerten Handlung! Wie groß ist die helfende Kraft der Gedanken, die zum gesprochenen Wort geformt, uns verlassen und uns dadurch erleichtern!" Doch wir möchten uns als interessierte Beobachter nicht verraten. Deshalb rufen wir nicht, sondern vertrauen auf Telepathie. Zugleich bezweifeln wir, ob in den Augen der gestrengen Tante das pure Geständnis und die pure Seelenreinigung, ausreicht, um ihren Ansprüchen Genüge zu tun.

"Verzeihen muss man sich erarbeiten", sagt Frau Winterschwang prompt und kurz angebunden. "Und nun komm hoch und zieh Dich komplett aus."

Während Sandrine sich ihrer letzten Hüllen bis zur kompletten Nacktheit entledigt, nicht ohne wieder ängstlich darauf zu achten, sie ordentlich zusammenzufalten und auf dem Sofa abzulegen, rückt ihre Gebieterin einen breiten, eher niedrigen Lederarmchair mit Lehnen aus Holz heran. Für wen und welche Zwecke ist er bestimmt? Ist er Thron oder Büßerschemel? Wohl, im Wortsinn, beides. Denn Sandrine, verwandelt zur nackten Nymphe mit kleinen festen Brüsten, wie wir jetzt sehen, mit einem durch die Intimrasur mädchenhaft wirkenden Schlitz, einer schmalen Taille und zwei festen, nicht allzu voluminösen Pobacken, die rund und strotzend von einem kecken Spalt getrennt werden, Sandrine also wird geheißen, das weiße Tuch vor dem Armchair auszubreiten und sich dann rücklings auf das lederne Möbel zu hocken und nach vorne Richtung Rückenlehne zu bücken.

Wozu, frage ich, fragen wir uns? Soll nun die zur Unwahrheit neigende Ader der Sünderin mit beißendem Bambus behandelt werden? Ist es das, was Frau Winterschwang mit der Frevlerin vorhat, und sie daher – nachdem die weiße Fahne der Reinlichkeit am gebotenen Ort niedergelegt ist – in diese zweifelhafte Position auf dem Lederstuhl dirigiert und mit Autorität und Sätzen wie "die Füße weiter zum Rand" und "der Rücken muss mehr durchgedrückt, das Gesäß mehr herausgestreckt sein" lenkt?

Aber nein, statt mit erzieherischem Röhricht kommt die Weißbeschürzte mit einer Henkelschüssel aus Porzellan zurück aus der Tiefe des Wohnzimmers. Sie ist schlicht, die Schüssel, so schlicht, wie ihre Funktion: Sie soll nur das, was ihr geboten wird, aufnehmen und verwahren und das möglichst vollumfänglich. Aber trotz ihrer Schlichtheit (man erinnere sich: ich hatte sie niemals bemerkt), verfügt sie über eine bizarre Aura. Diese einfache Schüssel, dieses Gefäß ohne jeglichen Zierrat, verfügt über Macht. Die Macht, Bilder in uns zu evozieren, die Frau Winterschwang ein höhnisches Lächeln entlocken und ihre Nichte erbleichen – und wir glauben, auch ihr unteres Loch zusammenkrampfen – lassen. Seien wir ehrlich: Auch bei uns ruft sie Schauer und eine seltsame Faszination hervor. Denn, es ist eine Art Nachttopf, nur etwas feiner, den die Lächelnde nun unter den für die kommende Handlung so sorgfältig in Position gebrachten Hintern stellt.

"Drei Tage, hast Du gesagt, das ist geradezu impertinent. So, in diesem Zustand, wagst Du es, zu mir zu kommen? Hat Dir denn niemand beigebracht, wie wichtig es ist, regelmäßig Stuhlgang zu haben?", redet sich die Tante, nun neben ihrer hockenden Nichte stehend, in kalte Rage. Wir kennen dieses Mantra nun schon, diese wieder und wieder wiederholten Psalmen der Reinlichkeit.

Ob sie überhaupt wisse, wie man sich richtig entleert? Nein? Ja? Wie könne man nur so gleichgültig sich selbst gegenüber sein? Der Unrat in ihr, der allein mache sie krank und lasse sie ungehorsam und verlogen werden! Ob ihr das klar sei? Nur in einem reinen Raum könne sich der Geist ungestört entfalten. Deshalb solle sie froh sein, dass das alles an's Tageslicht gekommen sei und dass nun Abhilfe geschaffen werde.

Erkennt Sandrine die Besessenheit, die in diesen Sätzen steckt? Erkennt sie, welches Evangelium ihr vorgetragen wird, und welche Konsequenzen es erwarten lässt? Oh schreckliches, oh befreiendes Purgatorium!

Sie muss nicht überlegen, die Tante nimmt ihr das kurz und knapp ab: "Es wird Zeit, dass Du Dich von dem Schmutz befreist. Deshalb wirst Du jetzt hier auf der Stelle Dein großes Geschäft erledigen und zwar vor meinen Augen, damit ich weiß, wie ernsthaft Du bei der Sache bist.“

Wir halten hinter der dünnen Wand die Luft an. Was wird Sandrine tun? Warum geht sie nicht? Warum flieht sie nicht aus dieser aberwitzigen Situation? Haben ihre Eltern ihr eine vorzeitige Rückkehr untersagt? Haben sie ihrer Tochter bei Strafe befohlen, ihrer Tante voll und ganz zu gehorchen? Oder ist es die Dominanz ihrer Tante, die sie gefesselt hält? Oder ist es etwas ganz anderes, etwas Innerliches? Wir wissen es nicht. Wir sehen nur, wie sie leicht nach vorn gebeugt, mit klaffenden Pobacken über einem Nachttopf hockt, wir sehen den Anflug von Gänsehaut über ihre Schenkel wandern, die möglicherweise vom eisigen Bewusstsein herrühren, sich den Anweisungen ihrer Tante unterwerfen und jegliche Kontrolle über sie sich selbst abgeben zu müssen. Wir sehen eine junge Frau verwandelt zu einem kleinen Mädchen, das über ihrem Töpfchen hockt und sich unter den Augen einer Respektperson entleeren soll.

Und wir sehen schließlich, nach Sekunden der Besinnung schon ihre endgültige Kapitulation: Sandrine beginnt zu weinen und sie beginnt zu pressen. Ihr Anus wölbt sich unwürdig nach außen und zieht sich wieder zurück, während sich kleine salzige Tropfen an ihren Augenwinkeln sammeln. Wir hören sie keuchen, sehen, wie sie drückt, wie rot ihr Gesicht wird vor Anstrengung und Scham, wie ihre Hände die Lehnen umklammern, wie ihre Brüste schwingen, wie sich wieder und wieder ihr Löchlein zum Loch weitet, wie zu einem Versprechen, nun etwas herzugeben, abzugeben, abzuführen, zu entleeren. Aber ach, in ihr kämpfen Widerstand und Drang, Unwille und Wille, Scham und der Wunsch nach Erlösung gegeneinander, sie ist so schwach, so klein und soll doch so Großes verrichten. Wieder verzerrt sich ihr Gesicht ebenso wie ihre runzlige, sich zum Krater auffaltende Hinteröffnung. Einmal erscheint kurz das Köpfchen braun-verdichteter Masse, um sogleich wieder zu verschwinden. Aber es soll doch hinaus, es soll doch so dringend hinaus. Sandrine hockt und presst und drückt und stöhnt, sie schwitzt und tränt und sie spürt den Schmutz, hart und übermächtig und schmerzend und sie fühlt die glutheiße Scham und zu allem hört ihre Tante, ihre Gebieterin, ihre Hohepriesterin: "Entschlossenheit! Entschlossenheit! Ent-schließe Dich, öffne Dich! Entlasse den Kot, entlasse das stinkend Schlechte!", doch die wartende Schüssel unter ihrem zuckenden Po bleibt vorerst leer. Keine Befreiung von der Sünde für Sandrine und keine Befreiung aus ihrer misslichen Lage.

Unterdessen wollen wir, dass dieses herrliche Schauspiel nicht so bald endet. Wir fragen nicht, warum Frau Winterschwang die Sinnlosigkeit des Unterfangens nicht begreift, warum sie ihrer gequälten Nichte nicht die Wohltat abführender Hilfe zuteil werden lässt. Nein, wir sind dankbar, dass sie es nicht tut und malen uns aus, in das Wohnzimmer zu treten, um noch näher dieser schändlich inszenierten Notdurft zu sein und mit unserer inspizierenden Anwesenheit die Hauptdarstellerin weiter zu beunruhigen.

Aber das ist nur Imagination. Stattdessen greift Frau Winterschwang tatsächlich und tatkräftig in das Geschehen ein. Erst versetzt sie den immer noch nutzlos klaffenden Halbkugeln einige kräftige Schläge.

"Gib" -- Klatsch! -- "Dir" -- Klatsch! -- "mehr" -- Klatsch! -- "Mühe" -- Klatsch, Klatsch. -- "Mühe" -- Klatsch! -- "sage" -- Klatsch! -- "ich" -- Klatsch! -- "Dir".

Dann – war es Bestrafung, war es Aufmunterung – zieht sie die ihr ausgelieferten Backen ihrer Nichte noch weiter auseinander und befiehlt: "Drück." Und es geschieht: Der Hinterausgang weitet sich abermals, aus dem Äuglein in der Mitte des strahlenförmigen Heiligenscheins wird ein Auge, Sandrine weint, die Tante, den Blick scharf auf das Geschehen gerichtet, murmelt "alles wird gut, alles wird gut", und es zwängt sich das inkarnierte Böse, das Unreine endlich, endlich ans Licht, steht zögerlich wie ein stumpfes Ausrufezeichen inmitten der weit aufgerissenen Spalte, eine bröcklige Vorhut ist es, hart und lose zugleich, hebt sich augenblicksweise obszön und mit herbem Geruch aus dem Loch des zum kleinen Mädchens degradierten Frau, scheint vom Annulus fest umfangen der Schwerkraft zu trotzen, erniedrigt durch dieses Bild seine Schöpferin noch mehr, um dann abzustürzen in den Orkus, während sich oben unter kommentierend murmelnder Aufsicht ein weiteres Stück hervorschiebt, größer noch und gepresster und peinigender – und trotz des strengen Ansporns der Tante, Sandrine müsse sich jetzt Mühe geben, das Unausweichliche zulassen, sie habe sich jetzt nur einer Aufgabe, nur einem Dienst zu verschreiben, dem Dienst an der Reinheit – Halt macht, nicht weiter will, nicht weiter hinaus will, nicht Platz macht für das nachdrängende Geschiebe, krampft und bleibt.

Treten wir ein Stück zurück, zurück hinter unsere Wand, so bietet sich uns das Bild einer unter Aufsicht gestellten nackten Frau, die auf einem ledernen Armchair rücklings über einer weißen Schüssel hockt und der zwischen ihren durch Schläge geröteten Pobacken das Produkt ihres Stuhlgang-Bemühens steckt. Ist es ein Bühnenstück? Für uns ja, auch wenn die Hauptdarstellerin keine Schauspielerin ist. Was sie dort tut, das tut sie nicht freiwillig, das erleidet sie, weil sie sich offenbar etwas Höherem unterwerfen muss. Aber vielleicht ist das Höhere nichts Äußeres, sondern ist ein Teil von ihr selbst: Der Hang zum Devoten, zum Unterworfenseinwollen, welcher sie zwingt, mitzutun. Es ist wahrhaftig, sie schluchzt und stöhnt wirklich, sie weint ehrlich vor Scham, weil sie weiß, gerade dabei zu sein, sich unter dem wachsamen Blick eines anderen Menschen in einen Topf zu entleeren. Das ist etwas, was sie sich niemals hätte vorstellen können, niemals hätte zulassen wollen. Und doch passiert es und vielleicht weint sie auch, weil sie sich für sich selbst schämt, weil sie etwas Verbotenes in ihr entdeckt hat, das sie nur fühlt, aber nicht versteht.

Alldieweil hat sich die Lage in Frau Winterschwangs Wohnzimmer geändert. Aus Sandrines Pobacken schaut nichts mehr hervor, ihr After presst und entspannt sich, wieder und wieder, ohne noch etwas hervorzubringen, ihr Gesicht ist tränenüberströmt, ihre Bemühungen lassen nach, sie ist erschöpft, sie bringt all ihren Mut auf und wispert vorsichtig und flehend: "Tante, ich kann nicht mehr. Ich will Dich nicht enttäuschen, aber glaube mir bitte, ich kann nicht mehr."

Die so Adressierte beugt sich über den Hintern ihrer Nicht hinweg und inspiziert den Inhalt der Schüssel.

"Das soll alles sein? Wie wäre es, wenn wir noch einmal den gelben Gummihandschuh zu Rate ziehen? Wer verstopft ist, der ist auch verstockt, merk Dir das."

"Bitte Tante, glaube mir doch, ich kann nicht mehr."

"Was kannst Du nicht mehr?"

"Ich… ich… ich kann nicht mehr groß…"

"Aha… 'groß'…"

Offenbar gibt es bei Frau Winterschwang ein Einsehen. Aber wir alle wissen, es ist ein Einsehen auf Zeit. Niemals könnte das Wenige von Sandrine in die weiße Schüssel Dargebrachte das rigide Hygienebedürfnis ihrer Tante befriedigen. Ihre Nichte hat sich nicht wirklich erleichtert, nicht wirklich befreit. Das Purgatorium ist noch nicht zu Ende, es bleibt der Hohepriesterin der Sauberkeit noch viel zu tun. Denn was zu tun ist, muss gründlich getan werden.

Doch jetzt öffnet sich die einstweilen verschlossen gebliebene "Tasche der Gründlichkeit", und dieses Mal enthebt sich ihr eine knisternde Packung Feuchttücher.

"Du weißt, wofür die da sind", unterstellt Frau Winterschwang ihrer Nichte. Sie solle sich weiter nach vorne beugen und ihren Po in die Höhe strecken. Wer die Sprache der Kinder nutzt, solle auch wie ein Kind behandelt werden, und bekäme das von "Groß" verdreckte, kleine Poloch von einem Erwachsenen abgewischt, bis es so rein sei, wie die Schürze ihrer Tante.