Ich war gestern im Krankenhaus in einer Spezialambulanz zur Nachkontrolle. Um mir die vorraussichtlich lange Wartezeit zu vertreiben, hatte ich meinen Tolino dabei. Gebannt las ich gerade das nächste Kapitel von „Gone Girl“ als plötzlich eine alte Frau im Rolltstuhl mir gegenüber einfach abgestellt wurde. Der junge Mann vom Transportdienst bremste den Rollstuhl ein und rief ihr zu: „Die Schwester kommt gleich“ und verschwand einfach wieder. „Was haben Sie gesagt?“, rief die Alte ihm hinterher, aber der Krankenhausmitarbeiter war längst fort. Sie schien mir etwas verunsichert, vielleicht auch ein wenig ängstlich. Ich las in meinem Buch weiter, konnte mich jedoch nicht weiter auf den Inhalt konzentrieren. Das laute Schnaufen der alten Dame irritierte mich zusehends. Ich begann sie zu beobachten. Sie keuchte durch den geöffneten Mund, die Lippen leicht zyanotisch, und sah sich hilfesuchend um. Mir war klar, dass ihre Atemfrequez zu hoch war, trotzdem zählte ich 15 Sekunden lang mit. Ich kam zu einem Ergebnis von 32 Atemzügen pro Minute, eindeutig zu schnell. Ich wollte schon Hilfe holen, da tauchte plötzlich eine Krankenschwester auf. Sie fragte die alte Dame nach ihrer Ambulanzkarte, nahm sie entgegen und war schon wieder verschwunden. Wahnsinn, wie schnell hier das Personal auftauchte und wieder verschwand. War der Krankenschwester der Zustand der alten Dame nicht aufgefallen? Das fiel mir schwer zu glauben. Im nächsten Moment wurde die Patientin aufgerufen. Eine andere Krankenschwester kam und führte die Dame im Rollstuhl in den Untersuchungsraum. Aus irgendeinem Grund blieb die Türe offen stehen. Um es an dieser Stelle abzukürzen: die Frau war dement und schwerhörig, die Ärztin unnachgiebig, denn ständig fragte sie die Alte: „Welche Medikamente nehmen Sie?“ „Haben Sie eine Medikamentenliste mit?“ „Können wir jemanden anrufen und fragen, welche Medikamente Sie nehmen?“ Darauf die Patientin: „Im Heim wissen sie es“. Die Ärztin ganz erfreut: „Haben Sie eine Telefonnummer?“. (Was für eine Frage an einen demente Patientin) Sie musste die Frage ein paar Mal wiederholen, die alte Dame hörte ja schlecht. „Nein ich weiß die Nummer nicht“, war schließlich ihre Antwort. „In welchem Heim wohnen Sie denn?“, fragte die Medzinierin, sichtlich langsam der Verzweiflung nahe. Nach kurzer Überlegung, wie ich vermute, antwortete die Dame: „Na, jetzt bin schon ganz blöd“. So ging das noch eine Zeit lang weiter bis die Ärztin fragte: „Wissen Sie, dass Sie unter Vorhofflimmern leiden?“
„Was habe ich?“ Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie die Ärztin mit den Augen rollte. „Ihr Herz schlägt nicht richtig im Takt, haben Sie das gewusst?“ Kurze Pause. „Nein, das weiß ich nicht. Ist das schlimm?“. Mich überkam der Gedanke, dass der Ärztin bald der Geduldsfaden reißen würde. Sie ließ die Erklärung des Vorhofflimmerns einfach aus und kam zum nächsten Thma, als wäre es ihr gerade erst aufgefallen. War vielleicht auch wirklich so. „Seit wann kriegen Sie denn so schlecht Luft?“, wollte die Ärztin wissen. Die Alte schien die Frage (akustisch?) nicht ganz verstanden zu haben, denn sie antwortete: „Im Heim habe ich eine Sauerstoffflasche“. Zwei Krankenschwestern brachten einen rollbaren Monitor. Obwohl beide schon seit mindestens 5 Jahren in der Ambulanz arbeiteten, meinte die eine Schwester: „Oh gut, dann kann ich dir gleich zuschauen.“ Ich hoffe mal nicht, dass das in Zusammenhang mit dem Monitor stand. Danach hörte ich nur, wie am Gerät herum hantiert wurde, danach ein paar Fehlalarme. „Der spinnt schon wieder“, erklärte die eine Krankenschwester. Kurz darauf war ein halbwegs rhythmisches Piepsen zu hören. „98“ rief die ältere Krankenschwester zur Ärztin hinüber. Falls sie damit die Sauerstoffsättigung gemeint hatte, glaube ich nicht, dass der Wert gestimmt hat. Wenige Zeit später wurde die alte Dame wieder zurück in den Warteraum gerollt. „Frau Sowieso, Sie werden gleich zum Lungenröntgen abgeholt, Sie müssen hier kurz warten“ rief die jüngere Krankenschwester und weg war sie. Leider weiß ich nicht, wie die Geschichte ausgegangen ist, denn als nächstes wurde ich aufgerufen und nachdem ich fertig war, war die alte Dame nicht mehr da.