Kontrolluntersuchung mit bösem Ende
Kontrolluntersuchung mit bösem Ende
Im Wartezimmer war es schon nicht einfach, aber in dem Moment, als ich das Behandlungszimmer betrete, steigert sich die Angst ins unermessliche. Hundert Gedanken fliegen mir durch den Kopf. Habe ich Löcher? Natürlich, schließlich tut es schon seit Wochen weh. Aber vielleicht findet er nichts. Vielleicht übersieht er bei der Kontrolle sie. Vielleicht komme ich davon.
Aber nein, er ist doch immer so gründlich. Und wird er gleich bohren? Hoffentlich nicht. Mit Betäubung? Ich hasse Spritzen. Und den Bohrer noch mehr. Bitte nicht. Wird das wieder so lange dauern? Ich will nicht. Der tut mir wieder so weh. Bitte, bitte, bitte... Vielleicht soll ich ja auch einen neuen Termin machen. Und dann komme ich dann einfach nicht. Ich könnte jetzt gehen. Einfach umdrehen und weg. Während ich mich auf den Stuhl setze höre ich hinter mir eine Stimme, die mich begrüßt.
Jetzt gibt es kein zurück mehr. Er ist da.
Mit routinierter Geschäftigkeit legt die Helferin von hinten das Lätzchen um, und befestigt es um den Hals. Währenddessen nimmt der Zahnarzt schwungvoll rechts neben dem Stuhl Platz. Während er seinen Mundschutz hochzieht, fängt der Stuhl an, sich zu bewegen. Die Rückenlehne fährt langsam nach hinten, während die Füße noch oben gefahren werden. Der Stuhl stoppt, die Behandlungslampe wird auf den Mund justiert." Sie waren lange nicht mehr zur Kontrolle" höre ich den Zahnarzt sagen, "mal sehen, was wir diesmal finden". Noch bevor ich etwas erwidern kann, schiebt sich der Spiegel in meinen Mund und hält ihn offen. Kurz darauf kratzt auch schon die Sonde über die Zähne.
Es dauert nur Sekunden, da verkündet er "Der 6er im 1. Quadranten ist kariös." Mir wird gleichzeitig heiß und kalt als ich das höre. Doch es geht noch weiter: "2. Quadrant, 6er, 5er und 4er ebenfalls kariös. Der 3. sieht soweit gut aus. Im 4. Ist der 6er kariös. "
"Tja", verkündet der Zahnarzt, "5 Löcher. Wurde höchste Zeit, dass sie zur Kontrolle gekommen sind." Nach einer kurzen Rückfrage zur Helferin fährt er fort "Sie haben Glück, der Patient nach ihnen hat abgesagt. Wir kümmern uns heute gleich um die Löcher oben. Ich hoffe, sie haben etwas Zeit mitgebracht."
Was, gleich fünf Löcher? denke ich perplex. Während ich die Information noch verarbeite, setzt sich der Behandlungsstuhl schon in Bewegung.
Die Lehne fährt weiter nach hinten, während die Beine immer weiter nach oben gefahren werden. Es fühlt sich fast so an, als würde ich kopfüber hängen. Die Helferin justiert noch die Kopfstütze und die Behandlungslampe, und nimmt dann links neben dem Behandlungsstuhl platz. "5 Löcher? Das kann doch gar nicht sein" denke ich und würde es vorher gerne noch mit dem Zahnarzt klären.
"Er hat mich doch gar nicht richtig untersucht und möchte sofort bohren?"
Ich versuche, ihn noch zu fragen, ob es sicher ist, allerdings hat mein Zahnarzt noch seine Hand in meinem Mund, es kommt nur unverständliches Genuschel aus meinem Mund. Ohne zu verstehen, speist er mich mit den üblichen Floskeln ab: "keine Angst, das wird nicht weh tun". Ich kann nichts mehr erwidern, weil die Assistentin bereits den Sauger zwischen die Zähne schiebt. Der Zahnarzt behält den Finger auf einem der kariösen Zähne, greift mit der anderen Hand gleichzeitig zu seiner Behandlungseinheit. "Keine Angst" höre ich ihn noch sagen, während in diesem Moment Sauger und Bohrer losheulen.
Mein Herz schlägt wie wild, als der Bohrer auf meinen Zahn trifft. Ich versuche mich zu entspannen und an etwas anderes zu denken, aber es geht nicht. Das Rumpeln des Bohrers, das sich durch meinen ganzen Kopf zieht ist alles worauf ich achte und ich hab nur noch einen Gedanken: hoffentlich ist es bald vorbei. Mein Blick wandert von der jungen Assistentin zum Zahnarzt und wieder zurück. Beide schauen hochkonzentriert in meinen Mund. Sie machen ihre Arbeit gründlich, aber es scheint sie nicht zu kümmern, wie es mir dabei geht. Nach etwa einer Minute spüre ich ein leichtes Ziehen im Zahn, das schnell stärker wird. Jetzt kommt der Schmerz, denke ich. In diesem Moment verstummt der Bohrer. Es ist vorbei. Gott sei dank! Der Zahnarzt greift wieder zu Spiegel und Sonde und
begutachtet den Zahn. "Mmh..." höre ich ihn murmeln. "Da werde ich wohl noch ein bisschen tiefer bohren müssen." Bitte nicht, denke ich, doch schon ist der Bohrer wieder in meinem Mund und langsam tut es wirklich weh.
Unvermittelt setzt das Ziehen wieder ein. Ich merke, wie sich meine Schultern hochziehen und ich immer mehr verkrampfe. Kurzzeitig lässt das Ziehen nach, nimmt dann wieder stärker zu. Ich kann mich nur noch auf den Bohrer und den Schmerz konzentrieren. Habe ich gerade gestöhnt, oder habe ich es mir vorgestellt? Zumindest spüre ich die Tränen in meine Augen steigen. "Weit offenlassen!" holt mich die harte Stimme des Zahnarztes wieder zurück. Automatisch reiße ich meinen Mund weiter auf, der Bohrer setzt nun von einer anderen Seite an. Das Ziehen hört auf, um dann aber wieder kurz darauf immer stärker werdend einzusetzen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hört das heulen des Turbinenbohrers auf. Der Zahnarzt legt den Bohrer zurück in seine Halterung. Meine Muskulatur entspannt, ich atme im Stuhl erleichtert auf. Ich freue mich schon darauf, den Mund schließen und das Kiefergelenk entspannen zu können. Der Zahnarzt begutachtet mit dem Spiegel die aufgebohrten Zähne. "Bald geschafft" meint er aufmunternd, "jetzt müssen wir nur noch die Karies entfernen". Einen kurzen Moment später durchzieht ein Vibrieren meinen Oberkiefer, und das metallische, sägende Geräusch des Rosenbohrers breitet sich in meinem Kopf aus.
Die Schmerzen sind jetzt schlimmer als jemals zuvor. Ich halte das nicht länger aus. "Aahhaaaahhh!!!" entfährt es mir. "Stillhalten!" ist alles was der Zahnarzt dazu sagt. "Aaaahhuuaaahh!!...Bitte aufhören!!! Aahhh!" "Jetzt stellen sie sich nicht so an," sagt die Zahnarzthelferin mit einem milden Lächeln im Gesicht. "Wir sind doch fast fertig." Endlich legt der Zahnarzt den Bohrer weg und beginnt mit der Füllung. Irgendwann folgt endlich dieser erlösende Moment, als der Stuhl zurück in seine Ausgangsposition fährt. Ich stehe auf, froh dass ich es endlich hinter mir habe, da sagt der Zahnarzt "Wir sehen uns nächste Woche. Dann kümmern wir uns um die großen Löcher.
" Die Helferin lächelt mir aufmunternd zu. Freundlich bittet sie mich, mir bei der Rezeption noch einen Termin für die Folgebehandlung geben zu lassen.Froh, das hier überstanden zu haben, gehe ich wie mechanisch zur Rezeption. Die Assistenten hinter der Rezeption erwartet mich bereits mit einem freundlichen Lächeln. "Du kriegst also noch einen Termin fürs Bohren?" ruft sie mir freudig und lautstark entgegen. Blicke aus dem Wartezimmer mustern mich bereits. Etwas schamvoll entgegne ich leise ein "ich glaube schon". Mit einem Blick in die Kartei fährt sie ungeniert fort "oben rechts werden noch 3 Füllungen gemacht, sowie eine große unten links" und zeigt dabei auf ihre obere rechte und untere linke Backe. "Bitte etwas Zeit mitbringen. Passt Donnerstag, 14:00 Uhr?" Ich nicke, während ich abschätzige Blicke aus dem Wartezimmer bemerke - 'was für schlechte Zähne er hat', werden die sich gerade denken. Die Assistentin füllt einen kleinen Terminzettel aus, den sie mir rüberschiebt. Mit einem verschwörerischen Ton gibt sie mir noch mit "Nimm Dir für den Donnerstag Nachmittag besser nichts weiteres vor, die Behandlung kann etwas dauern". Noch leicht benommen verlasse ich die Praxis. Endlich vorbei und überstanden, denke ich. Der nächste Termin ist zum Glück Ewigkeiten weit weg.
Wenige Tage später sitze ich wieder im Wartezimmer des Zahnarztes. Aus einem der Behandlungszimmer dröhnt das schrille Surren des Bohrers und ich meine hin und wieder ein leises Wimmern und Schluchzen zu hören. Nach einiger Zeit werde ich aufgerufen. Als ich an der Rezeption vorbeigehe, steht dort ein junges Mädchen mit roten verweinten Augen. Mit einer Hand hält sie sich die Backe, mit der anderen wischt sie sich eine Träne aus dem Gesicht. "Nächstes Mal solltest du einfach früher kommen," meint die Zahnarzthelferin unbekümmert. "Dann tut das Bohren auch nicht so weh." Dann fällt ihr Blick auf mich und mit einem süffisanten Lächeln sagt sie "Wie ich sehe, kommt da schon unser nächster unbelehrbarer Fall. Der Bohrer wartet schon."
"Du kriegst heute drei Füllungen, richtig?" ruft sie mir ins Gedächtnis. Offenbar ungerührt davon, dass bei dem Gedanken sofort große Nervosität in mir aufsteigt und die Knie weich werden. "Bitte in Zimmer 1" sagt sie bestimmend und fordert mich auf, ihr zu folgen